Nahost-Konflikt

Profi-Fotografen, als vergewaltigt und gemordet wurde

Der Verdacht, Fotografen der Agentur AP könnten vorab vom Hamas-Terror gewusst, aber nichts gesagt haben, schlägt gerade hohe Wellen. Das wissen wir.

20 Minuten
Profi-Fotografen, als vergewaltigt und gemordet wurde
Der Hamas-Chef Yahya Sinwar (links) küsst Fotograf Hassan Eslaiah auf die Wange. Das Bild löste einen gigantischen Shitstorm aus und lässt an der Unabhängigkeit des Fotografen, dessen Bilder die Agentur AP und CNN veröffentlicht haben, zweifeln.
X (ehemals Twitter)

Was ist passiert?

Ein Report der Seite Honestreporting.com wirft hohe Wellen: Darin wird suggeriert, Fotografen, die die renommierten Agenturen AP und Reuters als Freelancer beschäftigten, hätten möglicherweise schon vor den Terrorangriffen der Hamas auf Israel am 7. Oktober gewusst, aber weder ihre Arbeitgeber noch die Behörden darüber informiert. Es kursiert etwa ein Foto, auf dem die 72-jährige Adina Moshe auf einem Motorrad von Hamas-Terroristen aus Israel in den Gazastreifen entführt wird. Mehrere Fotografen, teils mit, teils ohne Weste und Helm, halten die Verschleppung fest.

Wie werden die Vorwürfe begründet?

Es gibt keinerlei Beweise. Der Report stützt sich darauf, dass die Fotografen an diesem Samstagmorgen extrem schnell an der Grenze zum Gazastreifen gestanden und Fotos an AP und Reuters geliefert hätten. Üblicherweise seien "an einem ruhigen Samstagmorgen" keine Journalisten an der Grenze zu erwarten.

Wer hat den Report verfasst?

Honestreporting ist eine NGO, die nach eigenen Angaben "die Medien auf Voreingenommenheit gegenüber Israel überwacht". Verschiedene Nachrichtenagenturen haben Honestreporting bereits früher als "pro-israelische Medienüberwachungsgruppe" beschrieben.

Wer sind die Fotografen?

Der Bericht erhebt Vorwürfe gegen

  1. 1

    Hassan Eslaiah

    Seine Fotos wurden laut "Bild" von AP und CNN verbreitet. Der Vorwurf: Er stehe in engstem Kontakt mit der Terrororganisation Hamas. Auf einem Foto ist zu sehen, wie der Hamas-Chef Yahya Sinwar ihn auf die Wange küsst, Eslaiah lächelt in die Kamera. Das Bild verbreitete er über seinen privaten X-Account. Ein anderes Bild zeigt ihn am Tag des Überfalls vor einem brennenden Panzer der israelischen Armee – ohne Presseweste oder Helm.
  2. 2

    Ali Mahmud

    Er soll den Pick-up mit der ermordeten deutschen Shani Louk fotografiert haben, die in den Gazastreifen verschleppt worden ist. Das Foto soll wenige Stunden nach dem Beginn des Überfalls aufgenommen worden sein.
  3. 3

    Die Agentur Reuters

    Diese soll ein Foto veröffentlicht haben, das einen Lynchmob beim Foltern eines israelischen Panzerfahrers zeigt.
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    Das israelische Militär fliegt nun fast täglich Vergeltungsschläge auf den Gazastreifen.
    Das israelische Militär fliegt nun fast täglich Vergeltungsschläge auf den Gazastreifen.
    REUTERS

    Was sagen die Fotografen?

    Hassan Eslaiah wehrt sich auf seinem Telegram-Kanal: "Ich bin derzeit einer großen Hetzkampagne in den hebräischen Medien ausgesetzt, nachdem ich über den laufenden Krieg in Gaza berichtet habe. Angesichts dieser systematischen Medienhetze gegen mich mache ich die zuständigen Behörden verantwortlich und warne davor, die Presseteams und lokalen Nachrichtenagenturen, die im Gazastreifen tätig sind, ins Visier zu nehmen." Eine Anfrage von 20 Minuten an Eslaiah blieb bislang unbeantwortet.

    Was sagt AP?

    Die Associated Press (AP) teilt mit: "AP hatte keine Kenntnis von den Anschlägen vom 7. Oktober, bevor sie stattfanden. Die ersten Bilder, die AP von einem freien Mitarbeiter erhielt, zeigen, dass sie mehr als eine Stunde nach Beginn der Angriffe aufgenommen wurden." Zum Zeitpunkt der Anschläge habe sich kein AP-Mitarbeiter an der Grenze befunden, auch habe kein AP-Mitarbeiter "die Grenze zu irgendeinem Zeitpunkt überquert".

    Arbeiten die Fotografen noch für AP?

    AP hat sich in der Zwischenzeit von dem Freelance-Fotografen Hassan Eslaiah getrennt, der sich mit Hamas-Führer Yahya Sanwar ablichten ließ. Weiter schreibt die Agentur: "AP verwendet Bilder, die von Freiberuflern auf der ganzen Welt aufgenommen werden. Wenn wir Fotos von Freiberuflern akzeptieren, unternehmen wir große Schritte, um die Echtheit der Bilder zu überprüfen und sicherzustellen, dass sie das zeigen, was behauptet wird." Die Aufgabe von AP bestehe darin, Informationen über aktuelle Ereignisse auf der ganzen Welt zu sammeln, wo auch immer sie sich ereigneten, "selbst wenn diese Ereignisse schrecklich sind und viele Menschenleben fordern".

    Was sagt Reuters?

    Reuters hat ebenfalls reagiert und weist jegliche Anschuldigungen zurück, vom Angriff gewusst zu haben. "Wir sind uns des Berichts und der Anschuldigungen bewusst", so Reuters. "Reuters hat Fotos von zwei im Gazastreifen ansässigen freiberuflichen Fotografen, die sich am Morgen des 7. Oktober an der Grenze aufhielten und zu denen es keine vorherige Beziehung gab", heißt es von der Agentur. Die von Reuters veröffentlichten Fotos seien zwei Stunden, nachdem die Hamas Raketen auf den Süden Israels abgefeuert habe, und mehr als 45 Minuten, nachdem Israel gesagt habe, dass Bewaffnete die Grenze überschritten hätten, aufgenommen worden. Des Weiteren stellt Reuters klar: "Reuters-Mitarbeitende waren nicht an den Orten, auf die sich der Honestreporting-Artikel bezieht."

    Wie reagiert Israel?

    Mittlerweile hat sich auch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zum Vorfall geäußert. Er ließ erklären: "Diese Journalisten waren Komplizen bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ihr Handeln verstieß gegen die Berufsethik."

    Alte Diskussion

    Bereits in der Vergangenheit wurde ausgiebig darüber diskutiert, wie Journalisten in Kriegsgebieten und in Situationen, in denen sie Hilfe leisten können, vorgehen sollten. Bekanntes Beispiel ist etwa die Aufnahme eines verhungerten sudanesischen Kindes, über dem ein Geier kreist. Das Foto wurde 1993 in der "New York Times" gezeigt und später mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Auch damals tobte eine Diskussion über die ethische Verantwortung eines Fotografen und darüber, wann jemand eingreifen soll. Den umgekehrten Fall gab es 2010, als CNN-Reporter Dr. Sanjay Gupta vom Erdbeben in Haiti berichtete und als Doktor gleichzeitig Erdbebenopfern half. Auch dies sorgte für Diskussionen, zumal ein Grundsatz für Journalisten lautet: Werde nicht Teil der Geschichte.

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