Ex-Mitarbeiterin packt aus
Personalnot – Kinder bekommen nur Süßigkeiten zu essen
Einer Wohngemeinschaft in Wien fehlt es an Personal. Wie eine ehemalige Mitarbeiterin berichtet, wirkt sich das auch auf die Ernährung der Kinder aus.
Schockierende Zustände in einer betreuten WG in Wien. Die Realität, beschrieben von einer ehemaligen Mitarbeiterin, ist – zumindest in diesem Fall – völlig konträr zum Vorsatz von SOS-Kinderdorf, das Kindern und Jugendlichen kurz- oder langfristige Betreuung in Wohngruppen bietet. Man gibt dort den "jungen Menschen ein liebevolles Zuhause und begleitet sie auf dem Weg in ein selbstbestimmtes Leben", wie es auf der Webseite heißt.
Grundsätzlich ist für das Essen ein Hauswirtschafter bzw. eine Hauswirtschafterin zuständig. Diese Person kauft unter anderem Lebensmittel ein und bereitet diese auch zu. Wenn sie nicht da ist, kümmern sich die Betreuer darum, wie Ingrid K. (Name von der Redaktion geändert) im Gespräch mit "Heute" erklärt.
Ingrid K. beschreibt schlimme Zustände
So war es auch der Fall an einem Tag, an dem Ingrid Dienst hatte. Als sie sich bei dem zuständigen Kollegen informierte, sagte dieser: "Mittagessen sollen sie selbst nehmen", am Abend werde dann für die Kinder gekocht.
Mehrere Kinder mussten von ihrem eigenen Taschengeld Lebensmittel im Supermarkt einkaufen gehen. Bei einem Kind gab es daher nur Süßigkeiten zu Mittag, ein anderes kaufte sich Fertig-Nudeln.
Fleisch vom Vortag, altes Brot
Ingrid stoppte ein 6-Jähriges, das sich am Herd Fleisch, das seit dem Vortag in der Pfanne lag, aufwärmen wollte. Das Abendessen? Das war nicht wirklich nahrhafter. Die Kinder bekamen von Ingrids Kollegen altes Brot und Fleischlaberl aus dem Tiefkühlfach. Frische Zutaten oder Gemüse gab es gar nicht.
Laut Ingrid sind nicht unbedingt die einzelnen Betreuer Schuld an solchen Situationen, sondern der enorme Personalmangel. Dies wirke sich nicht nur auf die Ernährung, sondern auch auf die Betreuung selbst aus.
So habe man bereits vor rund einem halben Jahr Einzelbetreuung für ein oft aggressives und verhaltensauffälliges Kind beantragt – vergebens. "Viele Betreuer sind schon völlig fertig und überlegen zu kündigen", so Ingrid. Das Problem betreffe Wohngruppen von Organisationen in der gesamten Branche.
Seitens SOS-Kinderdorf heißt es, dass man auch vom allgemeinen Fachkräftemangel betroffen sei. Man bemühe sich, offene Stellen rasch zu besetzen, um die "hohe Qualität der Betreuung aufrechtzuerhalten".
SOS-Kinderdorf wird Fall prüfen
Die hier beschriebenen Umstände widersprechen den "strengen Qualitäts-Standards, die regeln, wie der Alltag in den WGs gestaltet werden soll", erklärt SOS-Kinderdorf-Sprecher Thomas Resch. Man nehme die Vorwürfe sehr ernst und werde dem gewissenhaft nachgehen.
Gemeinsames Essen sei prinzipiell ein Fixpunkt. "Dabei ist es uns wichtig, den Kindern ein Gefühl für gesunde Ernährung und Respekt vor den Lebensmitteln zu vermitteln. Wir wollen sie früh mit unterschiedlichen frischen und regionalen Produkten in Berührung bringen, damit ihre Neugier und der natürliche Zugang zum Essen bewahrt bleiben", sagt Resch.
Man ermuntere die Kinder auch schon früh, sich beim Kochen altersentsprechend miteinzubringen und frage danach, was ihnen schmeckt und was sie sich wünschen. "Ältere Jugendliche, die in sogenannten "Trainingswohnungen" weitgehend selbstständig leben, sind für ihr Essen bereits selbst verantwortlich. Sie werden aber von ihren Betreuer*innen weiterhin beraten und begleitet", so Resch.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Eine ehemalige Mitarbeiterin berichtet von Personalnot und Fehlernährung in einer Wohngemeinschaft des SOS-Kinderdorfs in Wien
- Der Mangel an Personal wirkt sich nicht nur auf die Ernährung, sondern auch auf die Betreuung der Kinder aus
- SOS-Kinderdorf betont, dass die beschriebenen Umstände den Qualitätsstandards widersprechen und sie die Vorwürfe ernst nehmen
- Sie legen Wert auf gesunde Ernährung und die Einbindung der Kinder beim Kochen