Empörung über Skandalurteil
Opfer wehrte sich "zu spät": Freispruch für Grapscher
Ein Gewerkschafter soll eine Flugbegleiterin sexuell belästigt haben. Laut Gericht hat sie sich dabei jedoch "20 Sekunden zu spät" gewehrt.
"Dieses Urteil wirft uns 30 Jahre zurück", kommentierte Anwältin Maria Teresa Manente das Skandal-Urteil des Mailänder Berufungsgerichts vom Dienstag. Dieses bestätigte den Freispruch gegen den Ex-Gewerkschafter Raffaele M. aus dem Jahr 2022. Er soll bereits 2018 die Stewardess Barbara D. in seinem Büro am Mailänder Flughafen betatscht, massiert und gegen ihren Willen geküsst haben. Dabei hätte sie bei diesem Termin eigentlich um seine Unterstützung als Gewerkschafter in einem Arbeitsrechtskonflikt gebeten.
Urteil "von sexistischen Vorurteilen durchdrungen"
Die Frau wandte sich danach an den Frauenschutzverein Differenza Donna, die den Fall vor Gericht brachte. Doch das Gericht entschied im erstinstanzlichen Verfahren zu M.s Gunsten: Die 20 Sekunden, die sie brauchte, um auf die Belästigung zu reagieren, seien "zu lang" gewesen, begründeten die Richter. Ein Skandal, kritisierte Anwältin Manente: "Das Urteil ist von sexistischen Vorurteilen durchdrungen und schiebt die Verantwortung für das Verbrechen erneut auf die Frau". Ein Rückschritt in der italienischen Rechtssprechung der letzten Jahrzehnte.
Laut Manente geht bereits "seit über zehn Jahren" aus Urteilen des Obersten Gerichtshofs von Italien eindeutig hervor: "Eine sexuelle Handlung, die plötzlich und ohne Einverständnis der Frau durchgeführt wird, stellt sexuelle Gewalt dar". Auch die Klägerin, Barbara D., versteht das Urteil nicht: "Hat eine Frau nicht das Recht, angesichts von Belästigungen versteinert und gelähmt zu bleiben?", sagte sie gegenüber einer italienischen Tageszeitung.
Beweislast liegt beim Opfer
Rechtlich gesehen ist in Italien jede sexuelle oder sexualisierte Handlung, die nicht einvernehmlich stattfindet, eine Vergewaltigung. Die Beweislast liegt jedoch beim mutmaßlichen Opfer, und das mache Frauen "ein zweites Mal zu Opfern", kritisiert die Anwältin. Sie fordert die Umsetzung der (in Österreich bereits eingeführten) Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen im italienischen Recht.
Manente gibt sich jedenfalls nicht geschlagen: "Wir werden beim Obersten Gerichtshof Berufung einlegen, weil uns dieses Urteil 30 Jahre zurückversetzt". Zumindest die Gewerkschaft hat reagiert und Meola längst entlassen.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Ein Gewerkschafter wurde in Italien freigesprochen, nachdem er eine Stewardess sexuell belästigt hatte, da das Gericht entschied, dass sie sich "20 Sekunden zu spät" gewehrt habe
- Dieses Urteil hat zu Empörung geführt und wird als Rückschritt in der italienischen Rechtssprechung der letzten Jahrzehnte angesehen
- Die Beweislast liegt beim Opfer, was dazu führt, dass Frauen "ein zweites Mal zu Opfern" gemacht werden, und es wird gefordert, die Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen im italienischen Recht umzusetzen