Ukraine

"Wie leben?" – Oligarch steht wegen Sanktionen vor Ruin

Seit Kriegsbeginn straft die EU Oligarchen gnadenlos für ihre Nähe zum Kreml ab. Jetzt erzählt ein Russe erstmals von den Auswirkungen der Sanktionen.

Nikolaus Pichler
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Pjotr Awen (rechts) zählt zu den von den Sanktionen betroffenen Oligarchen.
Pjotr Awen (rechts) zählt zu den von den Sanktionen betroffenen Oligarchen.
imago images / ITAR-TASS

Auf dem Papier ist Oligarch Pjotr Awen ein schwerreicher Mann. Das US-Magazin Forbes führt den in London lebenden Geschäftsmann aktuell mit einem Vermögen von 4,4 Milliarden Dollar (4 Milliarden Euro). Doch de facto weiß der 67-Jährige derzeit nicht, wie er seine täglichen Rechnungen bezahlen soll, wie er der "Financial Times" erzählte.

Awen gehört zu jenen russischen Oligarchen, die von der EU und Großbritannien wegen Putins Krieg mit Sanktionen belegt wurden. Sein Vermögen ist eingefroren. Kurz vor dem Inkrafttreten der Sanktionen hatte seine Frau noch hektisch an verschiedenen Bankautomaten so viel Cash wie möglich abgehoben, berichtet die FT. Denn Awens Luxus-Leben hat sich über Nacht auf den Kopf gestellt. "Unser Business ist komplett zerstört. Alles, was wir in 30 Jahren aufgebaut haben, ist jetzt komplett ruiniert. Und wir müssen irgendwie ein neues Leben anfangen", beschwert sich Awen in einem Gespräch mit der FT.

Plötzlich sieht sich der Multimilliardär mit ungewohnten Alltagsproblemen konfrontiert. "Darf ich noch eine Reinigungskraft oder einen Fahrer haben?", fragte Awen in dem Interview. "Ich fahre gar nicht selbst…vielleicht fährt meine Stieftochter mich. Wir wissen nicht, wie wir überleben sollen." Deplatzierte Worte aus dem Mund eines Mannes, der immerhin aktuell noch in einer Luxus-Wohnung in London sitzt und nicht in einem Kiewer Keller.

Mit Öl und Bankgeschäften reich geworden

Aber Awen fühlt sich wie sein langjähriger Geschäftspartner Michail Friedman zu Unrecht bestraft für Putins Krieg. Die Vorwürfe gegen ihn beruhten auf "böswilligen und vorsätzlichen Unwahrheiten", sagte Awen schon kurz nach Verhängung der Sanktionen. Den Krieg haben die Beiden zumindest vorsichtig kritisiert. Die EU hingegen zählt Awen zu "einem der Putin am engsten vertrauten Oligarchen", weshalb sie ihn für dessen Politik mitverantwortlich macht. Für die britischen Behörden ist er ebenfalls einer der prominentesten kremltreuen Oligarchen.

Awen wurde in Moskau geboren, wo er Wirtschaft studierte und in den 90er Jahren gemeinsam mit Michail Fridman die Alfa-Group aufbaute. Zu dem Finanzimperium zählt mit der Alfa-Bank auch die größte russische Privatbank. Reich wurde er unter anderem mit Investments im Öl-Geschäft, das er 2013 an die staatliche Rosneft unter Putin-Freund Igor Setschin verkaufte. Anschließend gründete er mit LetterOne eine milliardenschwere Investmentfirma.

Awen gilt seit Jahren als Putin-nahe. Händeschüttel-Fotos mit dem Russen-Präsidenten sprechen Bände. Doch eine Nähe zu Putins Politik weist er zurück. "Das ist sehr seltsam, nur weil man den Präsidenten trifft, wird man sanktioniert. Wir versuchen, uns absolut aus der Politik herauszuhalten. Bei Putin habe ich die Alfa-Gruppe vorgestellt, nicht mich selbst."

Pjotr Awen will Sanktionen anfechten

Nun sind seine Anteile an LetterOne eingefroren, er könne nicht einmal mehr ins Büro gehen und sich mit Mitarbeitern der Firma treffen, sagte Awen. Vom Posten als Präsident der Alfa-Bank ist er zurückgetreten. Awen will mit seiner Familie in London wohnen bleiben und die Sanktionen gegen ihn anfechten, hat aber nach eigener Aussage Probleme, überhaupt Anwälte zu finden, die ihn vertreten. "Britische Anwälte wollen nicht mit Russen arbeiten", sagte Awen. "Mir wurde gesagt, dass es fast unmöglich ist, die Sanktionen zu ändern."

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    Mariupol-Bewohnerin Valentina Demura (70) in Tränen vor ihrem zerstörten Appartement.
    Mariupol-Bewohnerin Valentina Demura (70) in Tränen vor ihrem zerstörten Appartement.
    REUTERS/Alexander Ermochenko

    Awen argumentiert, dass die aktuellen Sanktionen gegen prominente Russen keine Auswirkungen auf Putin haben werden. "Es ist verständlich. Aber es ist nicht fair", sagt er über die Verhängung von Sanktionen gegen Russen nach der Invasion. Aber er wolle sich nicht beschweren, da anderswo Menschen sterben würden.

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