Düsterer Blick auf Ukraine

Oberst Reisner: "Viele verstehen das noch immer nicht"

Der Fall von Wuhledar verdeutlicht die grausame Realität in der Ukraine. Putin schickt seine Truppen ohne Rücksicht auf Verluste weiter vor.

Roman Palman
Oberst Reisner: "Viele verstehen das noch immer nicht"
Oberst Markus Reisner begleitet den Ukraine-Krieg seit Beginn mit seinen Analysen.
YouTube/Österreichisches Bundesheer

Wuhledar ist in die Hände der Russen gefallen. Wladimir Putins Invasionsarmee hat Anfang Oktober 2024 die mehr als zwei Jahre umkämpfte Bergarbeiterstadt im Osten der Ukraine erobert. Unzählige Tote sind der Preis, den die russische Armee für diese Ruinen zahlen musste. Zwei Brigaden der russischen Streitkräfte wurden dort aufgerieben.

Durch den Verlust des wichtigen Stützpunktes Wuhledar hätten die Ukrainer ihr "Scharnier" zwischen der Donbass- und der Südfront verloren. Die Bedeutung der Stadt sei allerdings nur von operativ-taktischer und nicht strategischer Natur, analysiert Oberst Markus Reisner im Gespräch mit ntv am 7. Oktober: "Wuhledar war wie ein Stachel in diese russischen Stellungen hinein, von dem aus man die Versorgungsrouten bedrohen konnte."

Völlige Vernichtung drohte

Für ihn ist die Eroberung von Wuhledar ein "klassisches Beispiel" eines Abnützungskriegs. Vor eineinhalb Jahren sei die dort stationierte Elite-Einheit der 72. Mechanisierte Brigade noch sehr erfolgreich bei der Abwehr russischer Angriffe, hatte ihnen hohe Verluste zugefügt.

BILDER: So kämpften Ukrainer um Wuhledar

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    Im Februar 2023 hatte Putins Invasionsarmee noch eine "epische Panzerschlacht"...
    Im Februar 2023 hatte Putins Invasionsarmee noch eine "epische Panzerschlacht"...
    Evgeniy Maloletka / AP / picturedesk.com

    "Nach dieser Niederlage haben die [Russen] aber nicht aufgehört, sondern die Stadt weiter angegriffen. Mit Artillerie, Raketen-Artillerie, mit Gleitbomben. Woche für Woche, Monat für Monat. Und jetzt sind wir eineinhalb Jahre später. Eineinhalb Jahre mit ständigen Angriffen. Der Stützpunkt, diese wichtige Festung, war einfach sturmreif geschossen."

    Die 72. Mechanisierte Brigade sei gezwungen gewesen, die Stadt aufzugeben, um nicht bei der drohenden Einkesselung völlig vernichtet zu werden. Schonungslos beleuchtet er die grausame Realität in der Ukraine: "Es sind Einheiten im Einsatz in diesem Krieg, die kämpfen seit 955 Tagen. Und die werden sukzessive abgenutzt, die können irgendwann nicht mehr."

    BILDER: Orthodoxe Messe für die Verteidiger von Wuhledar

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      Bilder einer orthodoxen Messe für die Verteidiger von Wuhledar, die 72. Mechanisierte Brigade, am 15. Dezember 2023.
      Bilder einer orthodoxen Messe für die Verteidiger von Wuhledar, die 72. Mechanisierte Brigade, am 15. Dezember 2023.
      Valentyn Kuzan / AP / picturedesk.com

      "Sie werden einfach zerschmettert"

      "Die Dramatik des Abnutzungskrieges nenne ich das, und viele verstehen das noch immer nicht. Wenn sich nichts verbessert, wenn also die Ukraine weiter nichts bekommt, um gegen Gleitbomben vorzugehen, wenn sie nichts hat, um mit Gegen-Artilleriefeuer die feindliche Artillerie zu treffen, dann können Sie noch so ein Elitekämpfer sein. Sie werden einfach zerschmettert. Über die Zeitachse. Genau dieser Rechnung folgt ein Abnutzungskrieg."

      Reisner zeichnet ein düsteres Bild der Zukunft: "Wenn es die Ukraine nicht schafft, dieser Dramatik des Abnützungskrieges zu entkommen, wird sich das weiter fortsetzen." Daraus erklärten sich auch die fortgesetzten Bitten von Präsident Wolodimir Selenski nach mehr Unterstützung und neuen Waffensystemen.

      Selbst die extremen Verluste auf russischer Seite haben Putins Invasionstruppen bisher nicht aufhalten können. "Monat zu Monat stellen wir fest, dass die russischen Streitkräfte immer noch in der Lage sind, vorzumarschieren."

      Ursächlich sieht Reisner hier die zögerlichen Waffenlieferungen des Westens. Kiew bekomme nicht das, was es für einen durchschlagenden Erfolg benötige: "Die Ukraine kämpft faktisch mit einer Hand auf den Rücken gebunden."

      BILDER: So zerstört ist Ukraine-Frontstadt Wuhledar

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        Eines der letzten verfügbaren Satellitenbilder vor dem Fall: Die Frontstadt <strong>Wuhledar</strong> in der Oblast Donezk am 29. September 2024.
        Eines der letzten verfügbaren Satellitenbilder vor dem Fall: Die Frontstadt Wuhledar in der Oblast Donezk am 29. September 2024.
        Planet Labs Inc. via REUTERS

        Die entscheidende Frage

        Im Kreml sei man derweil offensichtlich bereit, weiterhin die eigenen jungen Männer für Putins imperialistische Ambitionen in den Fleischwolf zu schicken. Aktuell würden monatlich 30.000 bis 35.000 Mann der russischen Armee zulaufen, dazu seien offenbar noch genügend Waffensysteme vorhanden.

        Doch auch die Russen wären laut internationaler Einschätzung nicht in der Lage, das lange fortzuführen, betont Reisner: "Man geht davon aus, dass Russland das mindestens noch zwei, drei Jahre durchhalten kann. Die Frage ist: Kann die Ukraine es auch so lange durchhalten." Die Antwort darauf finde sich in Brüssel und dem Weißen Haus: "Der Westen muss entscheiden, wie er mit der Ukraine weitermachen möchte".

        USA wollen deeskalieren

        Wie lange können die USA, die auch mit dem Nahost-Konflikt als Unterstützer Israels militärisch gefordert sind, der Ukraine in dieser angespannten Lage überhaupt noch beistehen? "Solange der politische Wille da ist und solange Ressourcen da sind", betont Reisner.

        Letzteres bereitet bereits Probleme, wie der Offizier am Beispiel der Panzerabwehrlenkwaffe "Javelin" verdeutlicht. Davon seien bereits 8.500 Stück an Kiew geliefert worden – mehr als die zehnfache Jahresproduktion der US-Waffenindustrie.

        Reisner: "Das zeigt, dass die USA zunehmend [...] ein Interesse daran haben, hier deeskalierend zu wirken und einen Konsens zu erzielen. Ob das gelingen wird, ist fraglich, weil es natürlich auch von der anderen Seite abhängt. In der Ukraine von Russland, bei der Hisbollah vom Iran."

        Die Bilder des Tages

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          Linz AG / fotokerschi.at

          Auf den Punkt gebracht

          • Der Fall von Wuhledar zeigt die brutale Realität des Abnutzungskriegs in der Ukraine
          • Oberst Markus Reisner betont, dass die Ukraine dringend mehr Unterstützung und neue Waffensysteme benötigt, um gegen die fortgesetzten Angriffe bestehen zu können
          • Dabei sei sie aber völlig abhängig vom Westen
          rcp
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