Die Mariahilfer Straße ist das Aushängeschild des Wiener Handels, war bis vor kurzem eine Einkaufsmeile voller Leben. An vielen Stellen prägen nun aber leerstehende Geschäfte und verwaiste Auslagen das Bild. Während sich Geschäftsleute über sinkende Umsätze beklagen, kämpfen die Anrainer der Barnabitengasse mit ganz anderen Problemen.
Die kleine Querstraße der Mariahilfer Straße hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Brennpunkt entwickelt. Hier ist auch das Obdachlosen-Zentrum "Gruft" beheimatet. Immer häufiger schlafen Obdachlose in Hauseingängen oder in den Stiegenhäusern, Drogen werden offen konsumiert, oft liegen Spritzen, Müll und Fäkalien am Boden. "Ich sperre die Wohnungstür auf und weiß nie, ob jemand davor liegt. Ich gehe nachts immer mit dem Schlüssel in der Faust, damit ich mich notfalls wehren kann", erzählt eine verängstigte Anwohnerin.
In ihrer Verzweiflung haben sich die Anrainer an "Heute" gewandt, um auf die angeblich schlimmer werdenden Zustände aufmerksam zu machen. "Es ist nicht nur die Drogenszene, die hier wütet, sondern auch die Unverschämtheit der Leute, die einfach ihre Notdurft in unsere Eingänge verrichten." So beschreibt ein Anwohner die dramatische Lage in seiner Straße.
Der nunmehrige Bildungminister und frühere Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) hält die Situation für untragbar. "Wir fordern seit geraumer Zeit ein umfassendes Maßnahmenpaket. Weitere Schritte müssen jetzt gesetzt werden, damit diese zu wirken beginnen, bevor es wieder wärmer wird."
Seit ein bis zwei Jahren hat sich die Lage dramatisch verschärft. "Es ist einfach nicht mehr zum Aushalten. Der ganze Bereich hier rund um die Mariahilfer Straße hat sich verändert. Wir erleben täglich, wie der Raum zunehmend unsicherer wird", so ein Anwohner. Die Gruft, eine Tagesstätte für Obdachlose, kann den Ansturm laut den Anrainern nicht mehr bewältigen. Ursprünglich für rund 50 Personen ausgelegt, werden hier mittlerweile täglich bis zu 250 Menschen mit Essen versorgt, die 60 Schlafplätze sind fast immer belegt. Doch das reicht anscheinend nicht aus – viele sollen in der Umgebung bleiben und suchen sich alternative Plätze zum Übernachten.
Besonders Frauen fühlen sich bedroht. "Ich war auf dem Heimweg, als mir plötzlich jemand nachrief. Ich ging schneller, doch dann packte mich ein Mann von hinten und flüsterte mir etwas ins Ohr. Ich konnte mich losreißen und ins Haus flüchten, aber seitdem habe ich immer Pfefferspray dabei", erzählt eine Anrainerin.
Diese Szenen sollen keine Einzelfälle sein. Immer wieder berichten Anrainer von aggressiven Bettlern und betrunkenen Männern, die ihnen hinterhergehen oder in den Hauseingängen auf sie warten. "Es ist erschreckend, wie die Situationen eskalieren. Es geht hier nicht mehr nur um Obdachlose, sondern auch um die Sicherheit der Menschen, die hier leben."
Die Bewohner der Barnabitengasse haben klare Forderungen an die Stadt. Sie fordern mehr Sicherheitspersonal, um Übergriffe zu verhindern, und ein Alkoholverbot in der Umgebung der Gruft. "In Floridsdorf gibt es eine Alkoholverbotszone, warum nicht hier?", fragt ein Anrainer. "Es kann doch nicht sein, dass wir Angst haben müssen, wenn wir nach Hause kommen!"
Ein weiteres großes Problem ist das Fehlen öffentlicher Toiletten. Obwohl bereits beschlossen, wurden sie von der Stadt bisher nicht umgesetzt. "Die Obdachlosen verrichten ihre Notdurft in den Hauseingängen oder an der Kirchenmauer. Es stinkt bestialisch!", erzählt eine Bewohnerin. Die Anrainer sind überzeugt: Wenn es öffentliche Toiletten gäbe, würde sich das Problem zumindest teilweise entschärfen. Aber das Thema wird immer wieder verschoben.
Die Gruft, eine Caritas-Einrichtung für obdachlose Menschen, steht im Zentrum der Diskussion. Sie sei seit Jahren ein wichtiger Anlaufpunkt für Menschen in Not, betont die Leiterin Lis Pichler. "Wir helfen an 365 Tagen im Jahr jenen Menschen, die ihren Wohnraum aus den unterschiedlichsten Gründen verloren haben. Die steigende Not in der Gesellschaft wird an vielen Orten der Caritas-Hilfe sichtbar, die Gruft ist hier keine Ausnahme."
Die Organisation verweist auf Maßnahmen zur Entschärfung der Lage. "Es fanden im Vorjahr zwei Runde Tische mit Stadt, Bezirk, Polizei, Streetwork-Teams und Anrainern statt. Eine der Maßnahmen war, das Streetwork in der Barnabitengasse zu intensivieren. Es gibt bis heute mehr Rundgänge, zusätzliches Security-Personal und eine 24/7-Erreichbarkeit für Anrainer." Dennoch räumt Pichler ein, dass öffentliche Toiletten im Bereich der Mariahilfer Straße weiterhin fehlen und dringend notwendig wären.
Die Stadt Wien sieht die Situation anders. In einer Stellungnahme betont die Stadt, dass die Sicherheitslage auf der Mariahilfer Straße regelmäßig evaluiert werde. "Seit dem Vorjahr wurden zahlreiche Maßnahmen gesetzt, um die Lage zu verbessern", heißt es aus dem Rathaus. Die Anzahl der Plätze in Chancenhäusern und Notquartieren wurde erhöht, ein neues Nachtzentrum eröffnet und die Straßensozialarbeit ausgeweitet.
Zusätzlich verweist die Stadt auf verstärkte Reinigungsmaßnahmen durch die MA 48 sowie auf mehr Sicherheitspersonal. "Die Beschwerden von Anrainern und Gewerbetreibenden sind seit Herbst 2024 stark zurückgegangen. Positive Rückmeldungen aus der Bevölkerung bestätigen den Erfolg." Ab dem Frühling 2025 soll zudem eine neue Anlaufstelle für wohnungslose junge Erwachsene in der Nähe der Mariahilfer Straße eröffnet werden.
Bürgermeister Michael Ludwig (SP) unterstreicht, dass die Stadt mit gezielten Maßnahmen für Ordnung sorgt. "Wir setzen konsequent auf Sicherheit im öffentlichen Raum. In enger Zusammenarbeit mit der Polizei und weiteren Einsatzorganisationen werden Schwerpunkteinsätze durchgeführt, um die Einhaltung der Wiener Hausordnung sicherzustellen." Einer der ersten dieser Einsätze fand unweit der Mariahilfer Straße statt.
Kurz vor seiner Beförderung zum Bildungsminister äußerte sich Christoph Wiederkehr noch als Vizebürgermeister. Er fordert zusätzliche Maßnahmen, um das Problem langfristig in den Griff zu bekommen. "Wir haben im Herbst viel mit Anrainern gesprochen, um einen besseren Eindruck der Lage vor Ort zu bekommen. Eine Aufteilung auf mehrere Standorte wäre nur ein Bestandteil eines umfassenden Maßnahmenpakets."
Auch Alkoholverbotszonen, wie sie am Praterstern oder am Franz-Jonas-Platz existieren, sind für die NEOS eine Option. "Diese sind Teil eines Maßnahmenmixes für mehr Sicherheit im öffentlichen Raum und müssen mit Ursachenbekämpfung kombiniert werden." Die Partei will zudem das Problem der Geschäftsflucht angehen. "Wir bringen alle Stakeholder an einen Tisch und stellen einen Plan zur Bekämpfung leerstehender Gewerbeflächen auf. Flexible Raumnutzungsmodelle, zielgerichtete Förderungen und eine Sonntagsöffnung in Tourismuszonen sind mögliche Maßnahmen."
Langfristig sehen die NEOS die Zukunft der Mariahilfer Straße positiv. "Das wirksame und nachhaltige Maßnahmenpaket der Stadt wird die soziale Sicherheitslage dauerhaft entschärfen. Die MaHü wird eine lebendige und florierende Einkaufsstraße mit einem reichhaltigen Angebot sein."
Für die Anrainer der Barnabitengasse ist die Geduld am Ende. Viele überlegen, ihre Wohnungen zu verkaufen, einige haben es bereits getan. "Früher hat das Zusammenleben mit der Gruft funktioniert. Heute nicht mehr", sagt ein Bewohner. "Es sind neue Gruppen gekommen – aggressiver, gefährlicher. Und niemand tut etwas."
Ob die gesetzten Maßnahmen ausreichen oder weitere Schritte notwendig sind, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Die Anrainer hoffen auf schnelle Lösungen, denn für sie ist klar: "So kann es nicht weitergehen!"