Klimaschutz
"Notwehr" – Klima-Aktionen für Forscher gerechtfertigt
Österreich wird seine Klimaziele krachend verfehlen, warnt Klimaexperte Reinhard Steurer. Im Interview erklärt er, warum Aktivismus so wichtig ist.
"Die gemütlichen Zeiten sind vorbei", sagt Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der BOKU in Wien, im "Heute"-Gespräch. "Die Klimakrise eskaliert immer weiter, mit jeder Tonne CO2 wird das Problem größer. Die nächsten zwei, drei Jahre dürften mit dem beginnenden El Niño-Phänomen noch heißer und extremer werden", warnt der Experte.
"Möglicherweise braucht's wirklich drastische Folgen, damit eine Mehrheit erkennt, dass wir so nicht weitermachen können", zeigt sich Steurer in "Heute For Future TV" besorgt über die "verfehlte heimische Klimapolitik".
"Wir steuern auf eine Klimakatastrophe zu", so Steurer. "Wir haben ein relativ kleines Zeitfenster, wo wir noch was tun können, die Emissionen müssten weltweit und noch in diesem Jahrzehnt stark sinken, damit wir eine noch halbwegs sichere Zukunft haben können." Dies zeichne sich aber nicht ab. "Die Wahrheit ist, dass die Emissionen weltweit steigen, in Österreich zwar leicht sinken, aber nicht in dem notwenigen Ausmaß!"
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Umweltmusterland Österreich?
"Österreich war mal Vorreiter im Umweltschutz und ist, seit es Klimapolitik gibt, eines der Schlusslichter im Klimaschutz. Österreich ist eines der wenigen Länder in der EU, das die Emissionen seit 1990 nicht reduziert hat", sagt Steurer. Da nütze auch kein Hinweis auf die "saubere Wasserkraft", denn dies sei "kein klimapolitisches Verdienst", sondern "ein historisch gewachsenes Verdienst, das mit der Geografie des Landes zu tun hat". Und es ändere "auch nichts an der Tatsache, dass unsere Emissionen – absolut genauso wie pro Kopf – viel zu hoch sind. Da hilft uns nämlich auch die Wasserkraft nicht, denn die meisten Emissionen entstehen nicht im Stromsektor, sondern im Verkehr, Gebäudebereich und in der Industrie", führt Steurer aus.
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Was also tun? Steurer: "Der größte Hebel ist, wenn eine Mehrheit der Gesellschaft hergeht und sagt, diese Art der Klimapolitik, die ihre eigenen Ziele verfehlt, und das seit Jahrzehnten, wollen wir nicht mehr. Wir wählen diese Art von Klimapolitik ab! Wenn das passieren würde, dann würden auch die Großparteien ganz anders agieren, weil dann müssten sie fürchten, bei der nächsten Wahl Stimmen zu verlieren."
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"Heute For Future TV" ist donnerstags auf allen Kanälen der R9-Gruppe (W24, KurierTV, NÖN N1, etc.) um 16:30 Uhr sowie samstags um 9:30 Uhr (Wh.) und auf YouTube/@heuteat zu sehen. Es moderieren Amra Durić, Lydia Matzka-Saboi und Dominik Kaltenböck.
Bekommt Gesellschaft die Klimapolitik, die sie verdient?
Zivilgesellschaftliches Engagement könne daher laut Steurer viel bewegen. Denn solange die Politik mit ihrem "Scheinklimaschutz" durchkomme, werde sich weiterhin viel zu wenig bewegen. Außerdem, "die ÖVP merkt ganz deutlich, dass man mit Blockade in der Klimapolitik im Moment gut durchkommt. Die FPÖ liegt mit noch weniger Betonung auf Klimaschutz, ja sogar Verleugnung des Problems, in Umfragen bei 30 Prozent und das schafft natürlich eine klimafeindliche Stimmung", erklärt Steurer.
Es sei derzeit "offensichtlich nicht notwendig, um die nächste Wahl zu gewinnen, eine klimapolitisch saubere Bilanz vorzuweisen", so Steurer, "und somit bekommen wir als Gesellschaft gerade die Klimapolitik, die wir verdienen."
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Die Klimaproteste der Letzten Generation setzen genau hier an, die Aktivisten wollen wachrütteln. Nicht nur Steurer unterstützt die Aktionen der "Klima-Kleber", im deutschsprachigen Raum sind es rund 1.400 Wissenschafterinnen und Wissenschafter mit Unterstützung der Österreichischen Universitätskonferenz, die in den Klimaprotesten "eine Notwehraktion von jungen Menschen" sehen, "die berechtigte Angst um ihre Zukunft haben", so Steurer. "Alle anderen Protestformen haben bisher zu wenig gebracht." Sie wären "sowas wie ein Mahnmal, das hier auf den Straßen stattfindet" und "sie bieten die Möglichkeit, über Lösungsvorschläge zu diskutieren".
Klima-Kleber-Proteste, wie lange noch?
Ein Ende der Klimaproteste wäre dann gegeben, wenn es eine Klimapolitik gäbe, "die imstande ist, die eigenen Ziele zu erreichen", so Steurer. "So einfach wäre das!" Der Experte verstehe die Wut der im Stau Wartenden, aber "der Überbringer der unangenehmen Botschaft ist der falsche Adressat." Steurer: "Der Druck müsste von den Klimaaktivisten auf die Regierenden überspringen. Die müssten merken, jetzt sind wir drauf und dran, Wählerstimmen zu verlieren, weil die Menschen wollen Lösungen. Im Moment verspürt die Regierung diesen Druck aber nicht, dass die Klimapolitik besser werden muss. Im Gegenteil."
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