Niederösterreich

Noch ungeklärt! Wie ein Mord eine Stadt verändert hat

Am Faschingssamstag 1973 wurde Gabi (11) in Wr. Neustadt brutal ermordet: Eine ungeklärte Tat, die eine Stadt veränderte, jährt sich nun zum 50. Mal.

Bleistiftmord Wr. Neustadt: Bürgermeister Klaus Schneeberger (damals Mitte 20) erinnert sich an den bestialischen Mord im Akademiepark selbst 50 Jahre später noch sehr genau.
Bleistiftmord Wr. Neustadt: Bürgermeister Klaus Schneeberger (damals Mitte 20) erinnert sich an den bestialischen Mord im Akademiepark selbst 50 Jahre später noch sehr genau.
Trimmel, privat

Der "Mordfall Gabi K." schockte an einem bitterkalten Märztag 1973 die gesamte Wiener Neustädter Bevölkerung und in der Folge ganz Österreich: Denn an jenem unwirtlichen und kalendarisch sehr späten Faschingssamstag, dem 3. März 1973, war es am helllichten Tag im Akademiepark Wiener Neustadt zu einer bis heute beispielslosen Bluttat gekommen. 

Bleistift in Herz

Die unbekümmerte, fröhliche und menschenfreundliche Gabi K. war am Heimweg von der Schule ihrem Mörder offenbar direkt in die Arme gelaufen. Der unbekannte Täter soll die Kleine missbraucht und erdrosselt haben. Dann holte der Täter einen Bleistift aus der Schultasche der 11-Jährigen, schrieb drei Mal mit einem Bleistift das Wort "kalt" auf einen Zettel, vermutlich, um den Bleistift auf dessen Härte zu testen. Dann rammte der Unbekannte dem Mädchen das Schreibgerät in die Brust, durchstieß dabei Herz und Lunge.

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    Hier im Akademiepark in Wr. Neustadt wurde die Leiche der elfjährigen Gabi gefunden.
    Hier im Akademiepark in Wr. Neustadt wurde die Leiche der elfjährigen Gabi gefunden.
    Trimmel Sascha

    Kurz darauf wurde die Leiche der Elfjährigen im weitläufigen Gelände des Akademieparkes gefunden, mehrere Männer in Tatortnähe wurden kurzzeitig festgenommen. Die Feldpost schaukelte die ohnedies grausame Thematik auf: "Der Bleistift steckte ganz tief in der Brust drin."

    Der jetzige Bürgermeister von Wiener Neustadt und langjährige VPNÖ-Klubchef, Klaus Schneeberger (72), stand damals am Anfang seiner politischen Karriere und erinnert sich noch sehr gut an den spektakulären Fall: "Ich habe meine Kindheit ja im Akademiepark verbracht und auch zur damaligen Zeit noch dort gewohnt. Durch die unmittelbare Wohnnähe ist mir der "Bleistiftmord" bis heute in besonders beklemmender Erinnerung. Der Akademiepark wurde in der Zeit nach dem Mord von vielen Menschen gemieden."

    "Diese Bluttat ist bis heute in besonders beklemmender Erinnerung. Der Akademiepark wurde in der Zeit nach dem Mord von vielen Menschen gemieden" - Bürgermeister Klaus Schneeberger (72), damals knapp 23 Jahre alt.

    Der "Bleistiftmord" brannte sich regelrecht in die Bürger von Wr. Neustadt rein. "Ich kam kurz nach dem Bleistiftmord in Wr. Neustadt zur Welt und war mit gleichaltrigen Freunden in den 80er-Jahren oft auf einer Art 'BMX-Bahn' im 'Akade-Park'. Meine Eltern warnten mich immer im Zusammenhang mit dem bestialischen Mord anno 1973", erinnert sich auch der in Wr. Neustadt aufgewachsene Thomas G. und spricht das aus, was viele in den späten 60er und 70er Jahren geborenen Statutarstädter und Statutarstädterinnen zu hören bekamen.

    Auch der damals 17-jährige Reinhard Kadlec erinnert sich: "Wir saßen gerade in einem Gasthaus beisammen und hörten von dem grauenvollen Mord. Wir waren alle fassungslos, es war fast surreal. Wie in einem schlechten Film einfach", so der spätere SP-Bezirkssekretär zu "Heute".

    Sonderling gestand Bluttat

    Die Zeitungen stürzten sich in der Folge auf den "Bleifstiftmord", der Druck auf die Polizei war von Anfang an groß und wuchs nahezu täglich an. Ein Schuldiger musste her, Sonderling Herbert P. (30) geriet zunehmend ins Visier der Ermittler und wurde festgenommen. Nach 48 Stunden Dauerverhör und harten Bandagen sowie Schlägen knickte der Außenseiter schließlich am Polizeiposten ein und gestand die Bluttat.

    Der damals 30-jährige war der "perfekte Schuldige", ein vorbestrafter Mann mit einer auffälligen Vita, abgebrochener Ausbildung und aus zerrütteten Verhältnissen. Zudem verfügte Herbert P. auch über Insider- bzw. Täterwissen, stieg zum "Star" der Polizei auf, die auf ein Geständnis drängte.

    Selbst der damalige Untersuchungsrichter (Anm.: gab es damals noch, war Dr. Günther Lielacher) war nicht sicher, was Herbert P. aus den Zeitungen hatte und was nicht. Also beobachtete der Richter die Berichterstattung der damaligen Journaille ganz genau und verglich sie mit den Aussagen des Verdächtigen. Doch kurz nach der Unterzeichnung des Geständnisses widerrief Herbert P. indes dieses, blieb aber rund zwei Jahre lang bis zum Prozess, im Frühjahr 1975, in Haft. 

    Ein an der Wahrheit interessierter Geschworenensenat sowie ein starker, motivierter Junganwalt (Dr. Karl Bernhauser, der durch den Fall über Nacht berühmt wurde, Anm.) am damaligen Kreisgericht Wiener Neustadt (jetziges Landesgericht Wiener Neustadt) boxten Herbert P. hinaus - der "wundersame Hilfshackler" wurde nach fünf Verhandlungstagen aus Mangel an Beweisen freigesprochen (Anm.: Im Prozess kamen auch einige Ungeheuerlichkeiten, die zum "Geständnis" geführt hatten, ans Licht).

    Das ohnedies schwierige Leben des Hilfsarbeiters war fortan nur noch ein Trümmerhaufen, Haftentschädigung gab es für Herbert P. nie, im Frühjahr 2016 starb der damals Hauptverdächtige mit knapp 74 Jahren, gesundheitlich schwer bedient und zurückgezogen lebend im Raum Wiener Neustadt.

    26 Jahre später "geklärt" - dann doch nicht

    26 Jahre nach dem "Bleistiftmord", im Frühjahr 1999, vermeldeten verschiedene Zeitungen nahezu euphorisch: "Bleistiftmord von Wr. Neustadt nach 26 Jahren endlich geklärt." Denn aufgrund eines DNA-Treffers wurde der bereits 1973 verdächtigte Werner W. (55) festgenommen. Der beschuldigte Schlossergeselle (es galt und gilt immer noch die Unschuldsvermutung) wurde nach Wochen in U-Haft jedoch wieder freigelassen.

    Denn ein Haar, welches mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in Tatortnähe im Jahr 1973 gefunden worden und im Akt wieder "aufgetaucht" war, war dank neuerer Ermittlungstechniken zweifelsfrei Werner W. zuordenbar gewesen. Nur der Rechtsanwalt des damals 55-Jährigen, der mittlerweile längst legendäre Dr. Rudolf Mayer, zerpflückte den vermeintlich sicheren Beweis: Dass es sich um ein Haar von Werner W. handle, daran bestehe kein Zweifel, doch wo und wann das Haar in den Ermittlungsakt gelangt ist, könne niemand mit Sicherheit sagen. 24 Jahre nach dem Freispruch von Herbert P. die nächste Panne der Exekutive bzw. Judikative.

    Kerzerl nach Haft angezündet

    Werner W. musste schließlich enthaftet werden und zündete unmittelbar nach der Entlassung aus der Justizanstalt Wiener Neustadt eine Kerze im Neukloster an - aus Dankbarkeit über seine Freiheit. Werner W., verheirateter Familienvater (lernte seine Frau 1976, also drei Jahre nach der Tat, kennen, Anm.), kehrte danach zurück zu seiner Familie nach Wien, ist längst in Pension und wird in der nächsten Zeit 80 Jahre alt.

    Seine Ehefrau gab 1999 "NEWS" ein Interview und war von der Unschuld ihres Gatten überzeugt: "Der Werner hat ein reines Gewissen, wir sind seit 22 Jahren verheiratet, kein Mensch kann sich so lange verstellen", so die Wienerin damals zum noch auflagenstarken Wochenmagazin. Anderseits: Walter W. habe seiner Frau alles über seine Vergangenheit erzählt, dass er 1973 zum Kreis der Verdächtigen im "Bleistiftmord" gezählt hatte, erwähnte er jedoch mit keinem Wort. Die Ehefrau erklärte dies so: "Wahrscheinlich hat er es vergessen bzw. nicht für wichtig gehalten."

    Wiener Neustadts Landesgerichts-Vizepräsident, Richter und Mediensprecher Hans Barwitzius zum Fall "Bleistiftmord": "Im Jahr 1975 gab es eben jenes Verfahren gegen den verdächtigen P., welches jedoch mit einem Freispruch endete. 1999 gab es aufgrund neuer Ermittlungsmethoden neue Erhebungen und eben einen DNA-Abgleich und in der Folge kam es zu einer Festnahme. Doch das Verfahren wurde schließlich eingestellt", erklärt Hans Barwitzius.

    "Der Fall ging als Polizei- und Justizpanne in die Kriminalgeschichte ein. Der Druck auf die Behörden war damals enorm. Man muss erwähnen, dass es damals keine moderne Tatortarbeit oder gar DNA-Abgleiche gab. Die Möglichkeiten der Polizei waren mit Vermessung, Beschreibung des Tatorts, Zeichnungen, Fotografieren und Zeugenbefragungen doch sehr begrenzt im Vergleich zur heutigen Arbeit der Kripo", so ein ehemaliger Ermittler, der aus diversen Gründen nicht genannt werden will, zum Fall. 

    Ungeklärtes Mordverfahren

    Dass die Causa "Bleistiftmord" jetzt, ein halbes Jahrhundert nach dem eiskalten Mord im Wiener Neustädter Akademiepark, noch jemals geklärt werden kann, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Der "Cold Case" wird immer wieder in diversen TV-Crime-Serien durchleuchtet. "Es handelt sich um ein ungeklärtes Mordverfahren, welches zwar nicht beendet, aber abgebrochen ist", erklärt Hans Barwitzius vom Landesgericht Wiener Neustadt abschließend.

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