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"Niemand wird die Menschen aus Gaza aufnehmen wollen"
Israel hat 1,1 Millionen Menschen aufgefordert, in den Süden des Gazastreifens zu flüchten. Die Grenze zur Flucht ist und bleibt laut Experte zu.
Tausende Menschen drängten sich am Samstag in Autos, Lastwagen oder mit Eselskarren aus Gaza-Stadt hinaus. Israel hat über eine Million Menschen im Norden des Gazastreifens am Freitag dazu aufgefordert, ihr Zuhause zu verlassen und in den Süden zu flüchten. Die Hamas versuchte gleichzeitig, fliehende Zivilistinnen und Zivilisten davon abzuhalten, dem israelischen Aufruf zu folgen.
Wie viele Palästinenserinnen und Palästinenser seit Freitag den Norden verlassen haben, ist derzeit noch unklar. Doch wie geht es für die Geflüchteten weiter? Nahost-Experte Erich Gysling beantwortet die wichtigsten Fragen.
„Herr Gysling, wo werden die Menschen, die in den Süden geflüchtet sind, unterkommen?“
Der Gazastreifen ist sehr dicht besiedelt und das sowohl im Norden, als auch im Süden. Dementsprechend gibt es keine Möglichkeit, auch nur einen beachtlichen Teil dieser Million Menschen aus dem Norden langfristig unterzubringen. Einige Menschen werden provisorisch bei Verwandten und Bekannten leben, der Rest wird schlicht auf der Straße landen.
„Und wie geht es für sie weiter?“
Israel gibt an, gezielt die Infrastruktur der Hamas, hierzu gehören unter anderem Waffenfabriken und Tunnel, zerstören zu wollen. Sobald diese Offensive zu Ende ist, sollten die Leute in Theorie zurückkehren können. In der Realität funktioniert aber kein Krieg so. In einer Kriegssituation werden etliche Wohngebäude zerstört. Tausende Zivilistinnen und Zivilisten werden keine Wohnung haben, in die sie zurückkönnen. Der Wiederaufbau der Region wird mehrere Jahre in Anspruch nehmen.
„Werden Nachbarstaaten Menschen aus dem Gazastreifen aufnehmen?“
Das bezweifle ich. Niemand in der Region wird die Palästinenserinnen und Palästinenser aufnehmen wollen. Die meisten arabischen Länder bekunden mit Worten gerne ihre Solidarität mit den Palästinensern – aber wenn es um praktische Hilfe geht, schweigen sie. Ägypten, Libanon oder auch Jordanien sehen sich nicht in der Verantwortung, die Probleme, welche der Konflikt zwischen Israel und der Hamas mit sich bringt, zu lösen. Die einzige Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten ist derzeit zu und ich glaube nicht, dass diese bald wieder geöffnet sein wird. Das Land will verhindern, dass Tausende oder Hunderttausende Personen einreisen. Zum einen hat Ägypten bereits heute mit Überbevölkerung und Armut zu kämpfen. Zum anderen will man nicht riskieren, dass Hamas-Angehörige über die Grenze kommen. Auch Jordanien hat weder die Ressourcen noch den Platz, um Flüchtlinge aus Gaza aufzunehmen.
„Also, was dann?“
Ehrlich gesagt sehe ich keinen Weg aus der Misere. Im Gazastreifen sind bereits heute Tausende Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Ein Großteil der Jugendlichen ist arbeitslos. Diese Lage wird sich in den kommenden Wochen weiter verschärfen. Eine Lösung des Konflikts sehe ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht.