Klimawandel in den Alpen

"Nicht ausgeschlossen, dass wir Täler aufgeben müssen"

Im Interview spricht Geologe Flavio Anselmetti über die Unwetter-Gefahr in der Schweiz – und darüber, was sie für unsere Zukunft bedeutet.

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    Starkregen-Unwetter haben Ende Juni 2024 im Schweizer Maggiatal und seinen Seitentälern nördlich von Locarno mindestens vier Menschenleben gefordert.
    Starkregen-Unwetter haben Ende Juni 2024 im Schweizer Maggiatal und seinen Seitentälern nördlich von Locarno mindestens vier Menschenleben gefordert.
    MICHAEL BUHOLZER / Keystone / picturedesk.com

    In den vergangenen Wochen haben starke Unwetter in der Schweiz durch Überschwemmungen und Murenabgängen extreme Schäden an der Infrastruktur vieler Gemeinden angerichtet. Besonders betroffen waren die Regionen Tessin und Wallis. Dabei kamen auch mindestens vier Personen ums Leben – drei im Maggiatal, eine in Saas-Grund.

    Durch den Klimawandel wird die Zahl von Extremwetter-Ereignissen im Alpenraum weiter zunehmen, warnen Klimatologen. Im Interview mit "20 Minuten" erläutert Flavio Anselmetti, Direktor des Instituts für Geologie an der Universität Bern, wie sich die Gefahrensituation in den letzten Jahren verändert hat – und wie sie sich in Zukunft verändern könnte.

    Flavio Anselmetti ist Institutsdirektor und Professor für Quartärgeologie und Paläoklimatologie an der Uni Bern.
    Flavio Anselmetti ist Institutsdirektor und Professor für Quartärgeologie und Paläoklimatologie an der Uni Bern.
    20M/Uni Bern

    Herr Anselmetti, wie hat sich die Gefahrensituation in der Schweiz hinsichtlich Wetterextremen in den letzten Jahrzehnten verändert?

    Flavio Anselmetti: Das vergangene Jahrhundert war bezüglich Wetterereignissen relativ ruhig – im Fachjargon spricht man von einer "Katastrophenlücke". Im 19. Jahrhundert hingegen gab es relativ viele Extreme, auch jetzt nehmen sie wieder zu. Besonders in den letzten Jahren kam es zu einer Häufung. Es liegt nahe, dass dieser zu beobachtende Trend auch im Zusammenhang steht mit dem Klimawandel, es kommen allerdings auch natürliche Schwankungen vor.

    Unwetter in der Schweiz: Gerölllawine verwüstet Lostallo

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      Im Schweizer Misox haben am 21. Juni heftige Unwetter eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Eine Gerölllawine traf die Ortschaft Lostallo, zerstörte mehre Häuser. Drei Menschen gelten nach der Rettung einer Verschütteten noch als vermisst.
      Im Schweizer Misox haben am 21. Juni heftige Unwetter eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Eine Gerölllawine traf die Ortschaft Lostallo, zerstörte mehre Häuser. Drei Menschen gelten nach der Rettung einer Verschütteten noch als vermisst.
      SAMUEL GOLAY / Keystone / picturedesk.com

      Welche Regionen sind besonders betroffen?

      Besonders betroffen ist vor allem der Alpenraum, wo es prinzipiell viel regnet und auch viel Lockermaterial durch Wassermassen mobilisiert werden kann. Aber auch im europäischen Flachland bildeten sich kürzlich vermehrt Gewitterzellen, welche zu Flutereignissen führten. Besonders die Sommergewitter waren in den letzten Jahren heftig. Diese können überall vorkommen – man kann keine Region generell ausschließen.

      Wie wird sich die Situation in Zukunft entwickeln?

      Natürlich lässt sich das nicht abschließend voraussagen. Generell dürfte die Erderwärmung zu größeren Niederschlagsmengen führen. Die Weltmeere erreichen bisher unerreichte Temperaturen, was zu mehr Verdunstung führt. Gleichzeitig transportiert warme Luft mehr Feuchtigkeit. Heißt: Es befindet sich mehr Wasser im Kreislauf – Extremniederschläge werden entsprechend eher zunehmen.

      Starkregen-Unwetter: Zermatt kämpft mit heftigem Hochwasser

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        Heftige Regenschauer haben im Schweizer Zermatt am 21. Juni 2024 für Überschwemmungen und Murenabgänge gesorgt.
        Heftige Regenschauer haben im Schweizer Zermatt am 21. Juni 2024 für Überschwemmungen und Murenabgänge gesorgt.
        - / AFP / picturedesk.com

        Wie schützt die Schweiz sich vor zunehmenden Extremniederschlägen?

        Die Kantone erstellen anhand von Spuren im Gelände, historischen Ereignissen und numerischen Modellen in regelmäßigen Abständen Gefahrenkarten. Sie berechnen also, bei welchem Ereignis man wo mit welchen Wassermassen rechnen müsste, über welche Wege diese abfließen und welches Material sie mitschwemmen würden. Anhand dieser Erkenntnisse werden die Gebiete in Gefahrenstufen eingeteilt. Sollte sich Infrastruktur in diesen Gefahrenzonen befinden, kann mit entsprechend dimensionierten baulichen Maßnahmen die Einteilung in diese Gefahrenklassifizierung gesenkt werden.

        Funktioniert das?

        In den meisten Fällen lassen sich Gefahrenzonen durch solche Maßnahmen reduzieren. Vereinzelt wird jedoch entschieden, dass es trotz Maßnahmen nicht mehr verantwortbar ist, Personen in gewissen Gebieten leben zu lassen. Dann verhängt der Kanton ein Nutzungsverbot. Durch ein Ereignis zerstörte Gebäude dürfen dann in solchen Zonen nicht mehr aufgebaut werden und die entsprechenden Bewohnerinnen und Bewohner müssen umziehen.

        Werden künftig vermehrt Gebiete unbewohnbar?

        Dass Orte für nicht mehr bewohnbar deklariert werden, kommt selten vor und ist nicht die Regel. Angesichts des Klimawandels kann nicht ausgeschlossen werden, dass wir in den kommenden Jahren vermehrt einzelne alpine Wohngebiete in Schweizer Tälern aufgeben müssen. Wo genau das sein wird, lässt sich noch nicht sagen.

        Hier dürfen Häuser schon jetzt nicht mehr bewohnt werden

        Schwanden: Nach einem Erdrutsch in Schwanden, Kanton Glarus, im August 2023 gab die Gemeinde im Dezember bekannt, dass rund 30 Bewohner des Sperrgebiets wohl nie mehr in ihre Häuser zurückkehren dürften. Dort herrsche nach wie vor "unmittelbare Gefahr für Leib und Leben". Der Gemeinderat sprach für die entsprechenden Liegenschaften ein dauerhaftes Nutzungsverbot aus.
        Guttannen: In der Gemeinde im Berner Oberland wurde für mehrere Häuser ein Nutzungsverbot erlassen – "Heute" berichtete. In der Vergangenheit hatten sich dort mehrmals Murgänge gelöst. Es sei jederzeit mit einem noch größeren zu rechnen, so die Begründung. Die betroffenen Häuser sollen abgerissen werden, die Zone darf nicht mehr bewohnt werden.

        Klimaprofessor warnt vor Alpen-Aufgabe

        Durch den Klimawandel werde man sich bald die Frage stellen müssen, ob gewisse Täler überhaupt noch bewohnt bleiben können, sagt auch Reinhard Steurer.

        Der Professor für Klimapolitik an der BOKU Wien ist überzeugt, dass exponierte Regionen wohl aufgegeben werden müssen – und das alleine schon aus dem Blickwinkel der Wirtschaftlichkeit: "Die Infrastruktur wird dort öfter zerstört werden, als man sie wieder aufbauen kann."

        Wir werden in den Alpen Lebensraum verlieren
        Reinhard Steurer
        Professor für Klimapolitik, BOKU Wien

        "Wenn wir gegen Ende des Jahrhunderts 3 Grad Erhitzung haben statt 1,5, dann verdoppeln sich die Extremereignisse nicht einfach, sondern sie nehmen exponentiell zu", warnt Steurer.

        Derzeit würde man beschädigte Gebäude und Infrastruktur nach jeder Katastrophe wieder sanieren, doch "wenn das zweimal oder dreimal passiert, [...] dann kann man einen Wiederaufbau sozioökonomisch nicht mehr rechtfertigen."

        Steurers erschütternde Prognose: "Wir werden in den Alpen Lebensraum verlieren. Wir reden einfach noch nicht darüber, weil es so nah und deshalb so unangenehm ist."

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          EVA MANHART / APA / picturedesk.com

          Auf den Punkt gebracht

          • Geologe Flavio Anselmetti spricht im Interview über die Unwetter-Gefahr in der Schweiz
          • In den letzten Jahren hätten Wetterextreme zugenommen
          • Betroffen sei vor allem der Alpenraum – aber nicht nur
          • Es sei nicht auszuschließen, dass vermehrt einzelne alpine Wohngebiete aufgegeben werden müssten
          20 Minuten, rcp
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