Der umstrittene Auftritt Karl Nehammers fand schon Ende Juli statt, doch erst am Mittwoch wurde ein Mitschnitt davon öffentlich. Das Video ging schnell viral, sorgte landesweit für Empörung. "Austausch mit Funktionären in Hallein", bezeichnete die ÖVP die Veranstaltung selbst in einem auf Facebook veröffentlichten Imagefilm zur Österreich-Tour des Kanzlers. Was er da sagte, ließ man vorsichtshalber weg. Jetzt fliegen Nehammer seine damaligen Worte um die Ohren.
Vor einer Kulisse aus reichlich Alkohol und mutmaßlich ohne Psychopharmaka polterte der türkise Parteichef vor seinen Gesinnungsgenossen über die, seiner Ansicht nach, im Land nicht zu entdeckende Armut, insbesondere bei Kindern. Diese sei nur eine Erzählung seiner "Sozi-Freunde".
"Wie gibt's denn das?", habe er diesen entgegnet: "Wieso erhöht sich dann die Teilzeitquote nicht?" Für den Kanzler ist die Rechnung einfach: "Wenn i z'wenig Göld hab', geh i mehr arbeiten. Weil dann muss i ja mehr Göld hab'n".
VIDEO: Der komplette Aufreger-Mitschnitt von Nehammer
Besonders stören ihn aber offenkundig Berichte von Kindern die in Armut leben müssen und sich, im Gegensatz zu den Anwesenden, nicht den Bauch an kredenzten Snacks vollschlagen können: "Wos is eigentlich mit den Eltern? Was heißt, ein Kind kriegt keine warme Mahlzeit in Österreich?". Betroffenen empfahl der Regierungschef daraufhin einen Hamburger von McDonalds': "Das ist das billigste Essen".
Dass dies nicht das gesündeste sei, stehe zwar auf einem anderen Blatt. Doch wenn man auch das noch sicherstellen wolle, "dann reden wir von Staatswirtschaft. [...] Dann sind wir in der DDR. So schaut die linke Welt aus", zeterte Nehammer und zeigte damit eindeutig mehr vom türkisen Weltbild, als ihm zuträglich wäre.
Die ÖVP bewarb den Aufreger-Auftritt des Kanzlers in Hallein sogar selbst in einem Imagevideo.
Screenshot Facebook / Karl Nehammer
Opposition: "Traurig", "vergiftet das Land"
Denn der Aufschrei ließ nicht lange auf sich warten. Auch die Opposition hat mittlerweile reagiert: "Das Weinkeller-Video von Nehammer zeigt das wahre Gesicht des ÖVP-Kanzlers. [...] Das ist einfach nur noch traurig", donnerte FPÖ-Chef Herbert Kickl.
Andreas Babler bezog persönlich für die SPÖ Position: "Nehammer vergiftet und spaltet das Land. Er haut hin auf Leute, die schwer arbeiten." Für die NEOS rückte der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr aus: "Der Kanzler will offenbar jedem Kind einen Burger geben, wir NEOS wollen jedem Kind die Flügel heben. [...] Die ÖVP hat nach der Wirtschaftskompetenz nun auch die Familienkompetenz verloren."
78.000 Kinder und Jugendliche betroffen
Auch die Volkshilfe konnte die Nehammer-Behauptung einer in Österreich nicht zu verortenden Armut nicht so einfach stehen lassen: “Wenn sich der Bundeskanzler der Republik Österreich hinstellt und den armutsbetroffenen Familien ausrichtet sie sollen den halbwarmen Burger aus dem Fast-Food Restaurant als adäquate Ernährung ansehen, dann ist das zynisch", so Armuts-Expertin Hanna Lichtenberger am Donnerstag.
Die hohe Inflation treffe Armutsbetroffene und Menschen mit niedrigem Einkommen stärker, weil sie einen größeren Prozentsatz ihres Haushaltseinkommens für Wohnen, Lebensmittel und Energie ausgeben müssen als etwa die Gruppe der höchsten Einkommen.
Im vergangenen Jahr hatten demnach 447.000 Personen – 78.000 von ihnen sind Kinder und Jugendliche – in Österreich nicht genug Geld, um sich jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch (oder entsprechende vegetarische Speisen) zu leisten. 2021 waren es nur 267.000 Menschen gewesen.
Gesundheitliche Folgen eindeutig
"Gesunde Lebensmittel sind ohnehin tendenziell teurer. Das führt dazu, dass armutsbetroffene Kinder zwar genügend Kalorien zu sich nehmen, aber zu wenig Mikronährstoffe", erklärt die Volkshilfe die Problematik bei Nehammers Hamburger-Diät.
Die gesundheitlichen Folgen der Armut seien eindeutig: "Armutsbetroffene Kinder sind häufiger krank, das zeigt sich bereits im frühen Kindesalter. [...] Kinder brauchen eine ausgewogene Ernährung und die ist jetzt schon für viel zu viele Familien mehr als herausfordernd." – und leider kostspieliger als Fast Food.
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