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Moskau bombt 200 Meter vor NATO-Grenze – was tut Putin?
Die NATO und die Ukraine werfen Moskau die Gefährdung der Schwarzmeer-Region vor. Beobachter warnen vor einer "ganz heißen Situation".
Russland hat das Abkommen zur Ausfuhr von Getreide aus der Ukraine über das Schwarze Meer gestoppt. Seither betrachtet Moskau Schiffe, die ukrainische Häfen ansteuern, als mögliche Träger militärischer Fracht. Das kommt de facto einer kompletten Seeblockade der Ukraine gleich, was gegen die UN-Charta und das Seerechtsabkommen zur freien Schifffahrt in internationalen Gewässern verstößt.
Dazu bringt Russland jetzt offenbar auch seine Schwarzmeerflotte für eine Blockade ukrainischer Häfen in Stellung. Es sei davon auszugehen, dass "die Intensität und das Ausmaß der Gewalt sich in der Region erhöhen werden", schreibt dazu der britische Geheimdienst.
Wieso droht Eskalation?
Um die Fortführung von Getreideexporten über das Schwarze Meer zu verhindern, greift Moskau vermehrt ukrainische Hafenstädte an. Auch Ausweichrouten über die Donau geraten ins Visier: Eben erst wurde auch der ukrainische Donauhafen Reni bombardiert, der nur 200 Meter von der rumänischen NATO-Grenze entfernt liegt.
Einen beabsichtigten russischen Angriff so dicht an einer Nato-Außengrenze und in einer Gegend ohne bedeutende militärische Infrastruktur hat es bislang nicht gegeben – "eine enorme Gefahr", sagt Politikwissenschaftler Thomas Jäger. "Das ist eine ganz heiße Situation, auf die sich die EU und die NATO aber sicher vorbereiten." Die NATO kündigte an, ihre Überwachungs- und Aufklärungsmissionen in der Schwarzmeer-Region weiter zu verstärken.
"Putin möchte zeigen, dass es ihm egal ist, wie nah seine Angriffe am Nato-Gebiet sind", sagt der Bukarester Politologe Armand Gosu der "Deutsche Welle". Putins Ziel sei es, "die NATO in ihrer Unentschlossenheit vorzuführen". Die Zurückhaltung des Westens kritisieren auch andere: "Staudamm, Atomkraftwerk, Getreide. Noch immer lassen wir den Russen in der Ukraine freie Hand", twittert etwa Militäranalyst Carlo Masala.
Warum ist das Getreideabkommen wichtig?
Weil die Ukraine zu den wichtigsten Getreide-Exporteuren gehört. Wegen des Stopps des Abkommens könnte es zu einer Blockade der ukrainischen Schwarzmeerhäfen durch Russland kommen. Bereits im Februar 2022 konnten die mit Getreide beladenen Frachtschiffe nicht mehr auslaufen, bis die Türkei unter Präsident Erdogan vermittelte. Das Ende des Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine könnte die weltweiten Getreidepreise um zehn bis 15 Prozent in die Höhe treiben, schätzt der Internationale Währungsfond (IMF). Was das für die Ärmsten der Armen bedeutet, ist klar.
Was will Russland?
Moskau verlangt vor allem eine Lockerung von Sanktionen, da diese den russischen Außenhandel mit Getreide und Dünger behinderten. Das Problem sei aber vielschichtiger, als Moskau das darstelle, schreibt die NZZ dazu. «Oft sind gar nicht direkte Sanktionen im Spiel, sondern dominiert die Zurückhaltung der westlichen Geschäftspartner, mit russischen Firmen Handel zu treiben.» Keine westliche Regierung könne Unternehmen dazu zwingen, Russland bessere Bedingungen anzubieten. «In einer Welt, in der alles Russische abschreckend wirkt, lassen sich Privatunternehmer nicht auf Geschäfte ein, die sie als potenziell kompromittierend empfinden.»
Kann das Abkommen allenfalls umgangen werden?
Die EU will ihre sogenannten «Solidaritätskorridore» weiter ausbauen. Das sind alternative Land-Exportrouten, die sie für die Ukraine errichtet hat, aber auch Wege über die Donau oder per Eisenbahn und Lastwagen. Doch sie können den Export per Schiff nicht ersetzen. Denn die Kapazität der Eisenbahn ist begrenzt, hohe Benzinpreise und langsame Abwicklungen an der Grenze machen den Landweg unattraktiv. Aber selbst wenn man das Risiko auf sich nehmen und die Getreideausfuhren über das Schwarze Meer weiter abwickeln würde: Die Gefahr, dass ihre Frachter von Russland ins Visier genommen werden, geht keine Reederei respektive Versicherung ein.