Ukraine
Misstöne werden lauter – Ukraine-Zwist mit NATO-Land
Die NATO steht im Konflikt der Ukraine mit Russland auf der Seite Kiews. Nun werden die Misstöne zwischen der Ukraine und dem NATO-Land Polen lauter.
Nach fast anderthalb Jahren Krieg häufen sich Misstöne zwischen Polen und der Ukraine. Kiew und Warschau bestellten jeweils den Botschafter des anderen Landes ein, um ihnen im Außenministerium die Meinung zu sagen. Anlass für das unter Freunden unübliche Vorgehen: Marcin Przydacz, außenpolitischer Berater des polnischen Präsidenten Andrzej Duda, hatte der Ukraine Undankbarkeit vorgeworfen. Die Konflikte haben sich über längere Zeit angebahnt, so dass die polnische Wochenzeitschrift "Do rzeczy" schon mit "Zerbrechende Freundschaft" titelte.
Noch im April auf dem Höhepunkt der Annäherung lobte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski in Warschau die Brüderschaft beider Völker. Doch schon damals hatten polnische Bauern protestiert, weil Getreide aus der Ukraine ihr Land nicht nur im Transit passierte, sondern auch verkauft wurde. Die Preise verfielen. Polen und die anderen östlichen EU-Mitglieder Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien sperrten ihre Märkte in Abstimmung mit Brüssel bis 15. September für ukrainische Agrarprodukte. Polen will die Sperre weiter verlängern. Für die nationalkonservative Regierungspartei PiS sind die Bauern wichtige Wähler in der Parlamentswahl, die vermutlich im Oktober stattfindet.
Ukraine wirft Polen "Populismus" vor
Aus Kiew warf Ministerpräsident Denys Schmyhal seinem Warschauer Kollegen Mateusz Morawiecki deshalb eine populistische Politik vor. Gegen solche Äußerungen wehrte sich der polnische Präsidentenberater Przydacz. "Die Ukraine hat große Unterstützung von Polen bekommen", sagte er. Die Ukraine solle anfangen wertzuschätzen, welche Rolle Polen in den vergangenen Monaten und Jahren für sie gespielt habe.
Pikiert bestellte das ukrainische Außenministerium den polnischen Botschafter Bartosz Cichocki ein. Auch Selenskis Vizestabschef Andrij Syhiba reagierte emotional. "Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn dein Retter von dir eine Rettungsgebühr verlangt, sogar wenn du am Verbluten bist", schrieb er bei Facebook.
Das Verhältnis zwischen Polen und Ukrainern hat in diesem Krieg auch deswegen pragmatisch funktioniert, weil sie Kapitel ihrer langen und oft blutigen Geschichte ausklammern. Als Zeichen der Versöhnung gedachten Selenski und Duda im Juli in der nordukrainischen Stadt Luzk gemeinsam der Opfer der ethnischen Säuberungen 1943. In der Landschaft Wolhynien ermordete die ukrainische Untergrundarmee UPA damals Zehntausende Polen. Die deutsche Besatzung sah zu. Die Freischärler gelten in der Ukraine bis heute als Helden.