Niederösterreich
Mikl-Leitner: "So eine Frage kann nur ein Mann stellen"
Im großen Sommetalk sprach Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (VP) mit "Heute" über die Koalition mit der FPÖ, Tempo 100, Gender-Wahnsinn und Kickl.
"Heute": Werte Landeshauptfrau, wie beurteilen Sie das Verhältnis zu den Blauen bis dato?
Johanna Mikl-Leitner: "Sehr professionell. Wir sind unterschiedliche Parteien, die gemeinsam anpacken, um Niederösterreich weiterzubringen. Wir setzen Maßnahmen, die tatsächlich bei unseren Landsleuten ankommen, wie unser 85 Millionen Euro starker Wohnkostenzuschuss, das Schulstartgeld oder die Abschaffung der Landes-GIS-Abgabe. Damit tragen wir zur sozialen Absicherung unserer Landsleute in Zeiten der Teuerung bei."
"Heute": Und zu den Roten?
"Da muss man unterscheiden: Bei Landesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig habe ich den Eindruck, sie sucht die parteiübergreifende Zusammenarbeit im Sinne der Landsleute, um etwas weiterzubringen. Landesrat Sven Hergovich zieht bis jetzt die schnelle Schlagzeile der gemeinsamen Lösung vor. Mit so einem Zugang zur Politik kann ich wenig anfangen. Dabei gäbe es in seinem Verantwortungsbereich genug zu tun. Bei der Bauordnung etwa, die er von seinem Vorgänger Franz Schnabl übernommen hat. Es ist zu prüfen, an welchen Schrauben man drehen kann, damit Bauen für unsere Landsleute wieder leistbarer wird. Dies liegt in seiner Verantwortung."
"Heute": Wie bilanzieren sie die ersten rund 110 Tage von VP-FP in NÖ?
Zu Beginn gab es reflexartig Kritik, das war absehbar und auch nachvollziehbar. Heute kann ich sagen: Ich bin sehr viel im Land unterwegs, in den Gemeinden und ich habe Hunderte Gespräche über die inhaltliche Ausrichtung Niederösterreichs geführt. Es geht darum, Niederösterreich als Vorbildland mit Hausverstand weiterzuentwickeln. Unser Anspruch ist es, Spitzenregion in Europa zu sein. In einigen Bereichen sind wir das schon, in anderen wollen wir das noch werden. Und die Mehrheit der Landsleute ist mit diesem Weg für unser Land einverstanden, wie auch eine aktuelle Umfrage belegt. Das ist für mich ein Ansporn, noch mehr Menschen durch unsere inhaltliche Arbeit zu überzeugen. Es geht darum, die Bühne nicht den Schreihälsen zu überlassen, sondern die Stimme für die schweigende Mehrheit in der Mitte unserer Gesellschaft zu erheben."
"Heute": Würden Sie bundespolitisch eine Koalition der VP mit der FP unter Herbert Kickl ausschließen? Mit Kickl als Kanzler? Mit Kickl als Vize?
"Wir haben mit Karl Nehammer einen starken Bundeskanzler, der seine Sache sehr gut macht. Die Nationalratswahlen sind noch weit weg. Ich sehe überhaupt keinen Anlass, um über andere Parteien zu spekulieren."
„"EVN senkt die Preise um 20%. Das ist gut und richtig. Aber noch nicht das, was wir uns am Ende vorstellen" – Johanna Mikl-Leitner“
"Heute": Viele Bürger stöhnen unter den Teuerungen, die Strompreise der EVN sind astronomisch. Warum greifen Sie bei der EVN nicht mit harter Hand durch? Und wird genug für die Bürger getan? Die Mittelschicht oder obere Mittelschicht ist von den Teuerungen auch betroffen, erhält aber vom Bund wenig bis nichts, vom Land nichts. Und die untere Mittelschicht kämpft bereits ums Überleben. Kommt da vom Bund und von NÖ zu wenig?
"Das lasse ich für Niederösterreich nicht gelten. Wir haben in Niederösterreich vor einem Jahr einstimmig im Landtag Anti-Teuerungsmaßnahmen in der Höhe von 325 Millionen Euro beschlossen – vom Strompreisrabatt, dem Heizkostenzuschuss, der Pendlerhilfe bis hin zum Schulstartgeld. Das Schulstartgeld haben wir gerade eben auch für heuer wieder beschlossen, wir haben die ORF-Landesabgabe abgeschafft und den Pflege-Tausender durchgebracht. Manche gut-situierte Meinungsmacher in Wien werfen uns vor, den Menschen in Niederösterreich zu viel zu helfen. Aber kommen wir zu den Energieversorgern: Die erklären uns, sie haben den Strom, den sie derzeit an ihre Kunden weitergeben, zu einer Zeit eingekauft, als die Preise um ein Vielfaches höher waren als jetzt. Dies haben sie gemacht, um die Versorgungssicherheit mit Strom in Niederösterreich sicherzustellen. Daher würden die Preise auch nur langsam sinken. Bin ich mit dieser Antwort zufrieden? Nein, garantiert nicht. Die EVN senkt jetzt die Preise um rund 20 Prozent. Das ist gut und richtig, aber vor allem längst überfällig. Und ganz sicher noch nicht das, was wir uns am Ende vorstellen."
„Tempo 100? "Ich empfinde solche Vorschläge als weltfremde Belästigung für unsere Pendler, die auf das Auto angewiesen sind, um in die Arbeit zu kommen."“
"Heute": Verbrenner Ja oder Nein?
"Technologieoffenheit lautet das Zauberwort, daher bin ich gegen das Verbrenner-Verbot. Die EU ist nicht als grüne NGO gegründet worden, sondern dafür, um für Frieden, Freiheit und Wohlstand in ihrer Gemeinschaft zu sorgen. Daher braucht es Wettbewerbsfähigkeit. Ein frühzeitiges Verbrennerverbot gefährdet Tausende Arbeitsplätze und damit den Wohlstand in unserer Union."
"Heute": Tempo 100 Ja oder Nein?
"Ich empfinde solche Vorschläge als weltfremde Belästigung für unsere Pendler, die auf das Auto angewiesen sind, um in die Arbeit zu kommen. In Österreich haben wir weniger Verkehrstote als in den Niederlanden, wo Tempo 100 auf den Autobahnen gilt."
"Heute": Lobautunnel und S8 Ja oder Nein?
"Selbstverständlich brauchen die betroffenen Regionen diese wichtigen Straßenbauprojekte – je früher, desto besser. Da geht es die Verkehrssicherheit, um die wirtschaftliche Entwicklung und vor allem um die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger, die tagtäglich im Stau stehen. Straßenbau-Projekte aus rein ideologischen Gründen abzulehnen, ist einfach grundlegend falsch. In Niederösterreich können wir nicht jeden Weg mit dem Lastenfahrrad oder zu Fuß zurücklegen. Wir sind oftmals auf das Auto angewiesen."
"Heute": Cannabis legal Ja oder Nein?
"Die Freigabe von Drogen ist wirklich das Allerletzte, worüber ich mir derzeit Gedanken mache. Das brauchen wir ganz sicher nicht!"
"Heute": Im Gesundheitssystem rumort es gewaltig. Sind wir nicht längst in einer 3-Klassen-Medizin. Und wie kann man gegensteuern?
"Ich habe erst unlängst mit jungen Eltern gesprochen, die sehr angetan waren, wie herzlich und professionell sie im Krankenhaus Klosterneuburg bei der Geburt ihres Sohnes umsorgt wurden. Es gibt sie also schon, die Stimmen, die von den ausgezeichneten Erfahrungen in unseren Spitälern berichten. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Spitälern leisten wirklich herausragende Arbeit. Aber ja: Die Herausforderungen im Gesundheitssystem sind gewaltig. Wir brauchen mehr Mediziner, daher habe ich dem Bund einen Weg aufgezeigt, wie man den deutschen Medizinstudenten, die die Studienplätze unseres Ärztenachwuchs blockieren, einen Riegel vorschieben könnte. Dafür braucht es einen klaren Willen im Bildungsministerium, diesen Weg auch zu beschreiten. Aber es braucht auch Maßnahmen, die den niedergelassenen Bereich stärken. Unsere Kliniken können nicht für alle Patienten aufkommen, hier braucht es den raschen Ausbau der Primärversorgungszentren – den treiben wir voran."
"Heute": Was sagen Sie zum umstrittenen Corona-Fonds? Was finden Sie gut daran, was weniger?
"Die breite Mitte der Bevölkerung will nicht ausgrenzen, sondern zurück zur Normalität. Dazu leistet der Fonds einen Beitrag. Weniger als ein Prozent fließt dabei in Ausgleichzahlungen für verfassungswidrig verhängte Strafen und auch damit kann ich gut leben. Es werden Strafen zurückgezahlt, denen die rechtliche Grundlage entzogen wurde. Das ist eine jahrelange Forderung von SPÖ und NEOS - niemand hat das bei denen jemals kritisiert. Mit dem Großteil der Mittel aus dem Fonds unterstützen wir Menschen, die unter Long Covid leiden, Kinder und Jugendliche, die aufgrund von Home-Schooling mit Herausforderungen in der Schule konfrontiert waren und Vereine, die soziale und sportliche Aktivitäten fördern, die während der Pandemie zu kurz gekommen sind."
„"So eine Frage kann nur einem Mann einfallen"“
"Heute": "Sie sind eine Frau, eine Landeshauptfrau oder doch lieber Landeshauptmann? Welche Anrede wünschen Sie? Und verstehen Sie Udo Landbauer, dass er kein Landeshauptfrau-Stellvertreter sein will?"
"Sie fragen eine Frau, ob sie lieber Landeshauptfrau oder Landeshauptmann genannt wird? Das kann - mit Verlaub - auch nur einem Mann einfallen. Zu ihrer zweiten Frage: In einem Land, dass von einer Frau regiert wird, kann man schwerlich Stellvertreter eines Mannes sein. Wir schreiben das Jahr 2023. Wenn man in der heutigen Zeit ein Problem damit hat, Stellvertreter einer Frau zu sein, dann müsste man schon ein Mann mit einem sehr, sehr kleinen Ego sein."
„"Die einen jammern über ein Gender-Verbot, die anderen beklagen den Gender-Wahnsinn. Daher Gendern mit Vernunft!" - Johanna Mikl-Leitner“
"Heute": "Unter Erwin Pröll waren Sie ja auch Landeshauptmann-Stellvertreter – das meinte ich damit. War das ein Problem? Und hat Sie jemals das 'Hanni' gestört, es ist mit Erwin Pröll in den Medien doch großteils verschwunden."
"Eben nicht. Das Thema wird langsam etwas befremdlich. Tauschen Sie bei meiner vorherigen Antwort, die Begriffe 'Mann' und 'Frau', dann wissen Sie auch, warum. Ich kann mich ja nicht als Stellvertreterin einer Landeshauptfrau bezeichnen in einem Land, das von einem Mann regiert wird – ebensowenig wie umgekehrt. Die deutsche Sprache ist offenbar für viele eine große Herausforderung. Und: Mich stört 'Hanni' überhaupt nicht, im Gegenteil, ich bin viel im Land unterwegs und freue mich jeden Mal, wenn ich Landsleute treffe, die mich 'Hanni' rufen."
"Heute": Sie sind eine starke, erfolgreiche, aufgeklärte Frau. Was halten Sie vom Gendern generell?
"Die einen jammern über ein 'Gender-Verbot', die anderen beklagen den 'Gender-Wahn', beides ist völlig übertrieben. Die breite Mehrheit der Mitte schüttelt über diesen Unsinn nur noch den Kopf. Natürlich ist es wichtig, dass wir Frauen in der Sprache gleich sichtbar sind und bleiben. Das heißt, wir reden ganz selbstverständlich von Schülerinnen und Schülern oder Ärztinnen und Ärzten. Aber wir verzichten in Schriftstücken des Amtes auf Gender-Sternchen, -Doppelpunkte und -Gap. Das Wichtigste ist nämlich, dass die Behörden und Ämter in Niederösterreich so kommunizieren, dass sie von allen Bürgerinnen und Bürgern auch verstanden werden. Wir gendern mit Vernunft."
"Heute": Der ORF wird noch mächtiger, ist die Medienvielfalt in Gefahr?
"Eine zukunftsfähige Medienlandschaft braucht beides: Öffentlich-rechtliche und private Medien – und in beiden Fällen jedenfalls: Meinungsvielfalt statt Mainstream und einen objektiven Journalismus. Und das sehen leider viele Menschen immer mehr in Gefahr. Zum ORF selbst müssen die Bedenken der heimischen Verlage und auch der europäischen Ebene ernstgenommen werden."
"Heute": Zum ORF NÖ sagen Insider und Beschwerdeführerin Nina Krämer-Pölkhofer: Das System im ORF wäre gleich geblieben, nur der Kopf wäre getauscht worden. Es wird wieder keine Objektivität geben. Ist das so? Und bitte nicht sagen, ich müsse dies den ORF fragen.
"Das Land hat auf das Anhörungsrecht verzichtet. Daher, ob ihnen das jetzt passt oder nicht: Müssen Sie das den ORF fragen. Wir haben aber nicht nur auf das Anhörungsrecht verzichtet, wir haben auch die ORF-Landesabgabe abgeschafft. Die Umstellung auf eine flächendeckende Haushaltsabgabe – auch für Menschen, die den ORF nicht sehen oder hören wollen – machen wir in Niederösterreich nicht mit. Was jeden GIS-Zahler um immerhin bis zu rund 70 Euro im Jahr entlastet."
"Heute": Als Sven Hergovich beim AMS NÖ Chef war, konnten sie gut mit ihm, wie sieht es jetzt aus?
"Wir werden weiter die Zusammenarbeit suchen. Aber bislang hat er kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Volkspartei, das hat er uns mit seiner Haltung bei den gescheiterten Koalitionsverhandlungen klar zu verstehen gegeben und das hält bis heute leider an. Ich hoffe, es findet sich für ihn ein Weg für eine konstruktive Teilnahme an der Regierungsarbeit."
"Heute": Was steht im Herbst für NÖ an? Was sind die heißen Dinge/Projekte?''
"Jetzt geht es einmal darum, dass alle das Schulstartgeld abrufen. Das geht heuer ab 16. August und hat letztes Jahr sehr unbürokratisch und reibunglos geklappt. Ab Oktober kommt der NÖ Pflege- und Betreuungsscheck, mit dem das Land 47.000 Pflege- und Betreuungsbedürftige sowie deren Angehörige in Niederösterreich mit 1.000 Euro unterstützen wird. Denn die Niederösterreicher wollen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden bleiben. Und wir werden die Wohnbauförderung auf neue Beine stellen, weil leistbares Wohnen in NÖ ganz wichtiges Thema für unsere Landsleute ist. Uns geht es einerseits um leistbare Mieten im geförderten Wohnbau und andererseits um faire Rahmenbedingungen, damit sich die Landsleute wieder leichter Eigentum schaffen können. Und wir erhöhen den Druck auf die FMA, die Kreditrichtlinien wieder zu lockern. Wenn diese Herren in ihrem Elfenbeinturm nicht zu Besinnung kommen, dann werden sie mitverantwortlich für eine steigende Arbeitslosigkeit in der Baubranche und all ihren Folgewirkungen sein."