Wien
"Massentreffen" – so streng kontrolliert Wien Lockdown
Bürgermeister Michael Ludwig (SP) spricht mit "Heute" über mögliche Verschärfungen, Corona-Kontrollen outdoor – und ob Wien bald abgeriegelt wird.
Auch am Samstag keine Entspannung der Corona-Lage in Österreich. Der Nationale Krisenstab meldete im 24-Stunden-Vergleich 3.498 Neuinfektionen, knapp ein Drittel davon entfiel auf die Hauptstadt Wien. Innerhalb eines Tages waren die Hälfte der noch verfügbaren Intensivbetten belegt. Bereits am Mittwoch verkündete Bürgermeister Michael Ludwig (SP) mit den Landeshauptleuten Mikl-Leitner (NÖ) und Doskozil (Bgld.) einen Oster-Lockdown ab Gründonnerstag (1.4.). Für die Hauptstadt schließt Michael Ludwig weitreichendere Maßnahmen nicht aus. "Heute" sprach mit dem Bürgermeister über die aktuelle Situation.
"Heute": Herr Bürgermeister, der Oster-Lockdown im Osten tritt in fünf Tagen in Kraft. Ist das nicht viel zu spät angesichts der gegenwärtigen dramatischen Lage, vor der auch Sie ungewohnt deutlich warnen?
Michael Ludwig: Die Landeshauptleute waren hier bereit, Verantwortung zu übernehmen und auch unpopuläre Schritte mitzutragen. Man muss aber klar sagen: Die Entscheidungen in der Epidemie trifft die Bundesregierung. Es ist notwendig, die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen – das geschieht aktuell. Die Umsetzung muss dann die Regierung verantworten.
Sie haben bereits vor dem Start mögliche Verschärfungen für Wien in Aussicht gestellt ...
Wenn es erforderlich sein sollte, sind wir jederzeit bereit, weitere Verschärfungen umzusetzen. Das ist richtig.
Wie können die aussehen?
Da gibt es noch einiges, was an Verschärfungen möglich ist. Jetzt geht es in erster Linie um den Schutz der Bevölkerung. Und das ist mir das wichtigste.
Aber was hätten Sie konkret noch im Potpourri?
Ich möchte keine Ankündigung für Maßnahmen treffen, die hoffentlich nicht eintreten werden und die Bevölkerung verunsichern. Ich hoffe, dass der Kompromiss, den ich mittrage, ausreicht.
Aber glauben Sie ernsthaft, dass es helfen wird, den Handel und Friseure, die ohnehin jeder nur mit negativem Test aufsuchen darf, für sechs Tage zuzusperren?
Das Paket der Osterruhe ist insgesamt ja bedeutend weitreichender. Es sieht zum Beispiel auch eine FFP2-Maske in Innenräumen, verstärkte Betriebs- und Pendlertestungen vor. In Wien habe ich darüber hinaus auch das Projekt "Wien gurgelt" vorgestellt, wo wir allen Wienerinnen und Wienern die Möglichkeit geben, einen hochqualitativen PCR-Test zuhause durchzuführen und in Kooperation mit einer großen Handelskette, der Post und mit Unterstützung der Wirtschaftskammer Wien rollen wir das nun auf die gesamte Wiener Bevölkerung aus. Das ist ein weiterer wichtiger Schritt, Erkrankte herauszufiltern, um die Zahl der Infizierten zu reduzieren.
„Michael Ludwig: "Alle drei Stunden eine zehnminütige Maskenpause einlegen zu dürfen, muss verpflichtend sein."“
Acht Stunden lang FFP2-Maske zu tragen – auch indoor – stellt eine enorme Belastung für viele Arbeitnehmer dar.
Ich habe beim zuständigen Minister daher Druck gemacht, dass er auch die Lebensrealitäten berücksichtigt, etwa auf Arbeitsplätzen, wo es zu besonderer körperlicher Belastung kommt. Ich verstehe die Anliegen der Sozialpartner und insbesondere die Forderungen der Gewerkschaft.
Wie sehen diese aus?
Alle drei Stunden eine zehnminütige Maskenpause einlegen zu dürfen. Das muss meiner Meinung nach verpflichtend sein, nicht freiwillig, damit sich die Arbeitnehmer darauf berufen können. Ich habe aber persönlich ein besonderes Anliegen …
Das da wäre?
Dass Schwangere unter diesen Voraussetzungen jetzt freigestellt werden. Das ist eine besonders schützenswerte Gruppe.
„"Um die eigene Gesundheit und die der Mitmenschen zu schützen, müssen wir physische Kontakte jetzt noch einmal drastisch reduzieren."“
Apropos schützen: Bei 25 Grad in der Karwoche werden die Menschen in Massen ins Freie drängen und die bekannten Ausnahmen der Ausgangssperre großzügig nützen. Jede andere Annahme ist lebensfremd ...
Ich bin Bürgermeister der lebenswertesten Stadt der Welt und verstehe, dass die Menschen wieder hinauswollen. Wir müssen die Maßnahmen jetzt ja schon über eine sehr lange Zeit einhalten. Unter den jetzigen Rahmenbedingungen ist das aber nicht möglich, das muss allen klar sein. Um die eigene Gesundheit und die der Mitmenschen zu schützen, müssen wir physische Kontakte noch einmal drastisch reduzieren.
Kommen hier Kontrollen?
Wir werden in der Stadt Wien mit unserem Büro für Sofortmaßnahmen und der Polizei darauf achten, dass es keine größeren Gruppen gibt, die sich treffen.
Also eine "Aktion scharf" am Donaukanal und in Parks?
Für alle in der Stadt muss spürbar sein, dass diese Ausgangsbeschränkungen – und glauben Sie mir: Ich bedaure das zutiefst – absolut notwendig sind, um die Infektionszahlen zu reduzieren. Die Menschen, die zuhause sitzen und ihre Kontakte einschränken, würden nicht verstehen, wenn sich Andere in Massen draußen treffen und so potenziell eine Gefahr darstellen.
„"Eine Abriegelung von Wien ist unvorstellbar."“
Wie dramatisch ist die Situation in den Intensivstationen tatsächlich?
Ich bin froh, dass wir ein so gut funktionierendes öffentlich finanziertes Gesundheitssystem haben und dem politischen Druck standgehalten haben, Spitalsbetten zu reduzieren. Wir haben bestens ausgebildete Ärzteteams und Pflegekräfte, die Übermenschliches leisten. Ihnen kann ich gar nicht genug danken. Unser System ist daher in der Lage, flexibel zu reagieren – auch in Kooperation mit Privat- und Ordensspitälern. Es gibt aber nur deshalb noch Kapazitäten, weil wir andere Operation verschieben. Mir bereitet Sorge, dass Patienten mit der britischen Mutation länger auf der Intensivstation verbleiben und auch jüngere Altersgruppen betroffen sind. Daher müssen wir jetzt reagieren, auch, weil wir ja auch Schwersterkrankte aus anderen Bundesländern in Wien behandeln.
In Wien gibt es in sechs Flächenbezirken sehr hohe Inzidenzen, andere Grätzel in Döbling, Währing oder in der City stehen sehr gut da. Sind Spezial-Maßnahmen für Hotspot-Bezirke für Sie denkbar?
Nein, die Bezirke in Wien sind so eng miteinander verbunden – das wäre sinnlos. Das geht in einem großen Flächenbundesland vielleicht, aber nicht hier, wo Menschen in einem Bezirk wohnen, im nächsten arbeiten und die Freizeit in einem weiteren verbringen. Die Bezirksgrenzen sind oft nur durch eine Straße getrennt. Wir betrachten Wien daher nur gesamt.
Wien nähert sich mit Riesenschritten der Inzidenz von 400. Hier empfiehlt die Corona-Kommission schärfste Maßnahmen samt Ausreisetests. Kommt eine Abriegelung von Wien?
Nein, das ist unvorstellbar. Das wäre einerseits von der Organisation her nicht schaffbar. Auf der anderen Seite sind wir auch so eng mit unserem Umland verbunden – es pendeln jeden Tag 300.000 Menschen nach Wien ein, um hier zu arbeiten, zu studieren oder ihre Freizeit zu verbringen. Es sind daher nur gemeinsame Maßnahmen in der Ost-Region zielführend.
„"Es wird nicht von einen Tag auf den anderen ein normales Leben geben."“
Lassen Sie sich zu einer Antwort hinreißen, wenn ich Sie frage, wann wir wieder normal leben werden?
Netter Versuch, aber wie schon Karl Valentin sagte: "Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen." Alles wird sehr stark vom Fortgang des Impfprogramms abhängen. Wir verimpfen in Wien alles, was wir bekommen, sind aber von der Zuteilung des Bundes abhängig.
Also enden die Maßnahmen, wenn die Hochrisiko-Gruppen durchgeimpft sind?
Ich bin ehrlich: Es wird nicht von einen Tag auf den anderen ein normales Leben geben. Das wird nur schrittweise gehen. Aber glauben Sie mir, auch ich warte sehnsüchtig darauf, Gespräche mit den Wienerinnen und Wienern auch wieder in einem Schanigarten führen zu können.