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Marvel's Spider-Man ist die Comic-Game-Sensation
Insomniac Games hat nicht enttäuscht. Marvel's Spider-Man ist bombastische Videospiel-Action. Und zeigt: im 37. Versuch ist die Spinne perfekt.
Gemischte Gefühle hinterließen die vielen Spider-Man-Filme und besonders Neustarts, mit Spider-Man: Homeceoming hat zuletzt Marvel selbst das Ruder in die Hand genommen und eine neue, frische Geschichte um den von einer Spinne gebissenen und dadurch mit Superkräften ausgestatteten jungen Mann Peter Parker erzählt. Nach Auftritten in den Avengers-Filmen warten auf Spider-Man noch künftige Auftritte in Avengers 4 und Spider-Man: Far From Home.
Bevor es diese in die Kinos schaffen, lässt Marvel aber gemeinsam mit Entwickler Insomniac Games die freundliche Spinne aus der Nachbarschaft ab dem 7. September exklusiv über die PlayStation 4 schwingen. Mit Spyro, Ratchet & Clank, Resistance und Sunset Overdrive haben die US-Amerikaner bereits gezeigt, dass sie wissen, wie man Action-Games macht. Die Erwartungen an Spider-Man waren allerdings gewaltig, denn bei den bisher erschienenen 36 (!) Spider-Man-Videospielen seit 1982 stand oft Quantität vor Qualität.
So war Spider-Man anfangs zwar netter Aufmacher der Spiele, das Gameplay hatte manchmal aber so gar nichts mit dem Netzschwinger zu tun. In 3D war die Spinne erstmals 2000 mit dem simpel "Spider-Man" betitelten Spiel zu bestaunen, durch Häuserschluchten schwingen war erstmals 2002 mit dem ebenfalls "Spider-Man (The Movie)" genannten Spiel möglich. Auf ein Komplettpaket, das der Comic-Vorlage und gleichzeitig der jeweiligen Zeit entsprechenden Gameplay-Standards entspricht, warten Fans seit mittlerweile mehr als drei Jahrzehnte.
Das Warten hat ein Ende
Im 37. Anlauf wird dafür alles in den Schatten gestellt, was man erwartet und sogar erhofft hat. Marvel's Spider-Man verpasst nicht nur dem Superhelden eine brandneue Story und beeindruckendes Gameplay, sondern schenkt dem Mann hinter der Maske, Peter Parker, mindestens genauso viel Aufmerksamkeit. Etwas, das Superhelden-Videospiele bisher gerne komplett vernachlässigt haben, gerade aber die Comics ausmacht.
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So startet Spider-Man aus der Sicht von Peter Parker, ohne dass der Spieler eine Sekunde verschnaufen kann. Der Kingpin alias Wilson Fisk soll festgenommen werden, also lässt Peter seine Zivilkluft und seine Verpflichtungen liegen und zieht sich die Spinnenmaske über. Noch während man sich darüber wundert, dass es kaum Steuerungstutorials gibt, lenkt man Spider-Man bereits wie von selbst, während um einen herum Bomben explodieren, ein Gebäude in Schutt und Asche gelegt wird und der Kingpin zum ersten Boss-Showdown ruft.
Man fühlt die Zerrissenheit der Figur
Die zeitliche Zerrissenheit ist ein Umstand, der den Spieler durchs Spiel begleiten soll. Während es an allen Ecken und Enden von New York brennt und die Spinne gebraucht wird, warten Freunde, Bekannte, Verwandte und Arbeitgeber verzweifelt oder genervt auf den Bürger Parker. Dabei werden durchwegs neue Geschichten erzählt, dafür die Origin-Storys weggelassen. Ehrlich, wer will schon wieder sehen, wie Peter von einer Spinne gebissen und Onkel Ben tragisch ermordet wird?
Die Geschehnisse liegen auch weit zurück, denn Peter ist 23 und steckt mittlerweile seit acht Jahren im Spinnenkostüm. Dementsprechend macht das Game Schluss mit Altlasten. Peter ist ein vielversprechender Nachwuchswissenschaftler, Spider-Man ein bekannter Verbrechensbekämpfer mit Polizeikontakten. So kommt es schon vor, dass wir als Spinne einen Geiselnehmer mit Netzen zu einem Paket verschnüren und kurz darauf im Laborkittel an Stromkreisen und Materialbestimmungen forschen.
Beziehung? Es ist kompliziert ...
Insomniac Games schreckt auch nicht davor zurück, bekannte Spider-Man-Momente und Handlungsstränge entweder komplett neu zu verwenden oder sie durch den Kakao zu ziehen. Übrigens: es geht spoilerfrei weiter, wir nennen nur Figuren und Geschehnisse, die die Entwickler bereits bekannt gegeben haben. Spider-Mans Liebste Mary Jane "MJ" Watson ist nicht mehr das naive, zu rettende Mädchen. Während die Beziehung zu Peter – nennen wir es – "kompliziert" ist, ist sie in gewissen Szenen spielbar und dabei alles andere als das Opfer.
Auch Tante May, J. Jonah Jameson, Miles Morales und Dutzende mehr haben große Rollen in der Handlung von Spider-Man bekommen – und in den meisten Fällen wird ihre Geschichte selbst Comic-Fans ebenso begeistern wie überraschen. Es ist eine neue Entstehungsgeschichte der Sinister Six, der Zusammenkunft sechs großer Feinde der Spinne. Wichtiger ist aber, dass Spider-Man eine großartige neue Story auch über den Privatmenschen Peter Parker erzählt. Garniert mit Witz, der bis auf wenige Ausnahmen nicht fehl am Platz wirkt. Wickelt Spider-Man einen Schurken per Netz an einen Masten und lässt sich kopfüber vor ihm baumeln, rutsch ihm schon mal ein "Sollten wir uns küssen?" raus. Kenner des "Spider-Man 2"-Kinofilms werden über die Anspielung schmunzeln.
Batman zeigte das Gameplay vor
Die "Batman: Arkham"-Spiele geben einen guten Vorgeschmack darauf, wie sich Spider-Man spielt, ob bei der Fortbewegung oder im Kampf. Spidey schwingt sich zwischen Wolkenkratzern hindurch, allerdings kann er Fäden nur dort anbringen, wo tatsächlich im Spiel ein Gebäude steht. Das erfordert zwar etwas Planung, wohin man schwingt, der Eindruck, im Nichts zu hängen, ist aber vorbei. Spidey kann sich aber auch durch schnelle Sprünge von Dach zu Dach, laufend am Boden oder senkrecht die Hochhauswände hinauf fortbewegen. Anfangs braucht alles etwas Eingewöhnung, besonders das Schwingen. nach wenigen Minuten trifft der Spieler aber den richtigen Zeitpunkt zum Loslassen und einen neuen Faden spinnen und schwingt sich blitzschnell durch die Straßen, hüpft zwischen Gerüsten hindurch und läuft über Hindernisse.
Im Kampf geht es beinahe streng nach Batman-Manier zu. Spider-Man obliegt es, Feinde entweder im Nahkampf oder still und heimlich mit Gadgets und schleichend auszuschalten. Im Kampf füllt sich ein Kombo-Zähler ("Fokus" genannt), den man entweder für einen spektakulären Finisher oder zum Auffüllen der Lebensenergie nutzen kann. Spider-Man bietet im Kampf nicht so viele verschiedene Manöver wie es Batman tat, die Tastenkombinationen sind aber eingänglicher, schneller erlernbar und kein Zeitfenster unterbricht den Kombo-Zähler. Dafür ist das Tempo höher, Spider-Man flitzt zwischen Gegner-Beinen durch, wirbelt Bewaffnete in die Luft und lässt Gerüstbauten auf Scharfschützen stürzen. Wildes Buttonmashing gibt es nicht, trotz hohem Tempo ist ein taktisches Vorgehen nötig.
Spielstunden werden zu Suchtstunden
Großes Highlight: die Bosskämpfe, die sich grundlegend unterscheiden. Einigen Spider-Man-Feinden ist nur mit roher Prügel-Gewalt beizukommen, andere müssen ausgetrickst und eingesponnen werden. Jede Begegnung ist auf ihre Weise episch und sogar Nebenmissionen warten mit Überraschungsbossen auf. Apropos Nebenmissionen: während sich Aufgaben wie Gegner-Lager auffliegen lassen auf Prügeleien in meist fünf Gegnerwellen beschränken und sich wiederholen, ist mindestens die Hälfte der Nebenaufgaben extrem abwechselnd. Mal jagt man Tauben nach, mal rückt man als Bombenentschärfer aus. So werden aus den 20 bis 25 Stunden der Hauptstory schnell 60 Spielstunden – und als Spieler ist man längst süchtig.
Alles im Spiel geschieht bei Tag- und Nacht-, Sonne-, Regen- und Nebelwechsel. Wetter und Tageszeit verändern sich erfreulicherweise nicht ständig, sondern im Verlauf von mehreren Stunden. Auch ein Detail, das zum Realismus beiträgt. Allerdings hat man das Gefühl, dass die Wechsel nicht zufällig passieren, sondern genau zu gewissen Zeitpunkten in der Handlung programmiert wurden. Gut umgesetzt sind die Effekte trotzdem und generell begeistert die Grafik. Das Spiel läuft sehr flüssig, die Charaktere sind detailliert umgesetzt und transportieren einen gewissen Comic-Charme. Äußerst kurze Ladezeiten, die nur beim Start von Nebenmissionen oder beim Betreten von Gebäuden auftreten, runden den Eindruck ab.
Auch das perfekte Game hat Schwächen
Genial: das Videospiel-New-York sieht nicht nur extrem real aus und bietet zahlreiche Sehenswürdigkeiten wie die Freiheitsstatue und das Empire State Building, sondern auch Marvel-Objekte wie den Stark/Avengers-Tower sowie jede Menge Leben. Landet man als Spinne im Central Park oder anderswo, scharen sich Leute um einen. Die eine Gruppe beschimpft den Verbrecherjäger, weil er Bekannte in den Knast gebracht hat, die andere Gruppe klatscht mit Spider-Man ab und schießt Selfies mit ihm. Neu ist die Art, wie Spider-Man Videosequenzen umsetzt. Sie treten nicht nur als Clips an bestimmten Stellen auf, sondern werden auch mitten im Spiel aktiviert. So kann es sein, dass Spidey durch die Straßen schwingt und plötzlich eine Cutscene startet, ohne dass man in der Nähe einer Hauptmission wäre. Was dafür sorgt, dass sich Spider-Man wie großer Film anfühlt.
Bei aller Schwärmerei, auch an Spider-Man gibt es Dinge zu bemängeln. Zwei Dinge stören am meisten: der Schwierigkeitsgrad und das "an die Hand nehmen" des Spielers. Das Game bietet zu Beginn drei Schwierigkeitsgrade – "brauchbar" ist allerdings nur der höchste und selbst bei diesem wird sich der erfahrene Gamer wohl zeitweise unterfordert fühlen. Gegnerattacken werden auch hier angezeigt und Spider-Man nimmt selbst bei Treffern aus Raketenwerfern weniger Schaden, als man erwarten würde. Abhilfe schafft ein versprochener Day-1-Patch mit einem New Game+ und einem zusätzlichen "ultimativen" Schwierigkeitsgrad.
Zweitens bietet Spider-Man bisher nur eine einzige Nebenmission, in der man etwas auf Entdeckungstour gehen kann. In abgesteckten Bereichen sollen vermisste Studenten gefunden werden. bei allen anderen Aufgaben wird der Spieler per Maker direkt an den Zielort geführt. Das fühlt sich etwas langweilig an. Besonders, wenn eine Aufgabe darin besteht, Sehenswürdigkeiten in New York zu fotografieren. Die hätte man den Spieler ruhig selbst finden lassen können, statt ihn millimetergenau hinzuführen. Entdecker kommen so nicht auf ihre Kosten. Immerhin: man kann den Großteil der Aufgaben in der Reihenfolge erledigen, die einem liegt, das Spiel gibt dabei viel Freiheiten.
Nicht jeder Schmäh sitzt
Um noch kurz bei den Mankos zu bleiben: Klar, der Titel hat einen fiktiven Anspruch, dennoch wundert man sich zeitweise in den Kämpfen. Nicht nur Spider-Man steckt bewundernswert Kugel und Granaten ein, auch Gegner stehen regelmäßig wieder auf, wenn sie von ein oder zwei Raketen getroffen werden, ein Motorrad auf sie geschleudert wird oder sie von drei Metall-Mülleimern im Gesicht erwischt werden. Das ist Jammern auf hohem Niveau, denn ohne dass Gegner auch etwas aushalten wären die spektakulären Angriffskombos nicht möglich.
Während das Spiel in vielen Bereichen auch mit Wortwitz glänzt und sich Spider-Man redselig wie nie gibt, hätte es besonders in Kämpfen etwas weniger Schmäh sein dürfen. "Davon hätte ich ein Selfie machen sollen" sorgt noch für einen Lacher, wenn man das erste Mal eine Gegnergruppe mit Netzen an Mauern festpinnt, beim 20. Mal – naja. Doch wie bereits eingangs erwähnt: Im Gesamtpaket zündet der Witz und die freche Art hat Peter Parker auch nach all den Jahren im Spinnenkostüm nicht abgelegt. Viele Wortmeldungen, aber auch Sammelobjekte wie Ausgaben des Daily Bugle oder Radiosendungen des mittlerweile zum Moderator mutierten Dauergrantlers J. Jonah Jameson sind Anspielungen an Marvel-Filme, Comics, aber auch die moderne Popkultur.
Die Helfer der Spinne
Automatisch läuft das Levelsystem ab. Mit jeder erledigten Aufgabe sammelt man Erfahrungspunkte, wer im Level aufsteigt bekkommt automatisch bessere Werte bei Kampfschaden, Schwinggeschwindigkeit und Lebensenergie. Ebenfalls eingefahren Fertigkeitenpunkten kann man in drei Skill-Bäumen investieren. Einer verbessert dabei Spideys Netzkräfte und Tech-Helfer, einer den Nahkampschaden und die Kampftechnik und einer die Fortbewegungsmanöver. Über Missionen und Nebenaufgaben sammelt man zusätzlich verschiedene "Marken". Diese nutzt man, um neue Spider-Man-Anzüge, Anzug-Kräfte, Anzug-Mods und Geräte freizuschalten.
Bei den Anzügen stehen 28 zur Auswahl, das klassische Spider-Man-Kostüm kann Peter etwa gegen das Wrestler-Outfit zu Beginn seiner Karriere oder den "Iron Spider"-Anzug aus Infinity War eintauschen. Beinahe jedes Outfit bringt eine temporär aktivierbare Spezialfähigkeit mit sich – der "Iron Spider" etwa fährt die mechanischen Spinnenbeine aus, die bei Gegnern für Schaden sorgen. Zudem lässt sich jeder Anzug mit drei Mods anpassen. Sie sorgen beispielsweise für weniger Nah- und Fernkampfschaden oder für bessere Schleichfähigkeiten. Dazu kommen noch die Spider-Gadgets: Nach und nach schaltet man mit den Marken Helfer wie eine Minen oder Bots frei, die im Kampf über ein Waffenrad ausgewählt werden können. Alles sehr übersichtlich und die immer neuen Möglichkeiten machen Lust auf Experimente.
Ein Spiel auf bestem Comic-Niveau
Insomniacs Interpretation der Spinne sieht so gut aus, wie sie sich spielt. Netzschwingen und Kämpfen sind sofort im Blut und ermüden auch nach Dutzenden Stunden nicht. Schon alleine damit könnte man zufrieden sein, aber Marvel's Spider-Man bietet weit mehr. Die Geschichte ist frisch und spannend, entledigt sich eingerosteter Klischees und nutzt dafür bekannte Personen und Geschehnisse, um eine neue Story zu erzählen. Sowohl aus Sicht des Helden Spider-Man, als auch aus Sicht von Peter Parker.
Auch nach der Hauptstory wird sich etwas tun. Sony hat mit "Marvel's Spider-Man: Die Stadt, die niemals schläft" ein DLC-Paket mit drei neuen Kapiteln mit je neuen Missionen, neuen Schurken und neuen Charakteren sowie zusätzlichen Anzügen für Spider-Man angekündigt. Bis dahin gibt es aber mehr als genug zu erleben. Nämlich Spider-Man in Bestform, ein Spiel, dass nicht nur Action-Adventures auf ein neues Level hebt, sondern wie "God of War" eines der besten Games ist, das die moderne Videospielbranche zu bieten hat.