Ukraine

"Das sollte mittlerweile jeder begriffen haben"

Marcus Keupp rechnet mit Wladimir Putin und seiner Propaganda ab. Der Militärökonom sieht nur einen Weg zum Frieden nach dem Ukraine-Krieg.

Roman Palman
Wladimir Putin während einer Tele-Konferenz mit Regierungsmitglieder von seinem Anwesen in Nowo-Ogarjowo aus.
Wladimir Putin während einer Tele-Konferenz mit Regierungsmitglieder von seinem Anwesen in Nowo-Ogarjowo aus.
Sputnik/Gavriil Grigorov/Kremlin via REUTERS

Russland und die Welt erwarten die kolportierte Frühlingsoffensive der Ukraine – Wladimir Putins Truppen haben sich in den besetzten Gebieten verschanzt, kilometerlange Schützengräben und unzählige Verteidigungsstellungen ausgehoben. Dabei kommt sogar schweres Spezialgerät aus der Sowjet-Ära zum Einsatz. Auch sogenannte Drachenzähne – Pyramiden aus Beton, die Panzer aufhalten sollen – wurden von den Russen platziert.

"Die Dinge sehen besser aus, als sie in Wirklichkeit sind", analysiert Militärökonom Marcus Keupp von der ETH Zürich im Interview mit dem ZDF. So seien die russischen Drachenzähne im Vergleich zu jenen aus dem Zweiten Weltkrieg eher mickrig ausgefallen und auch nicht im Boden verankert.

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    Mehrere Reihen von Betonblöcken ziehen sich mittlerweile kilometerweit durch den Osten der Ukraine.
    Mehrere Reihen von Betonblöcken ziehen sich mittlerweile kilometerweit durch den Osten der Ukraine.
    Screenshot RIAFAN

    "Aber natürlich sind das Hindernisse im Gelände und sie sind jetzt schon nicht so ohne Weiteres zu überwinden, da muss man schon mit einer gewissen Kraft da durch kommen."

    Die Errichtung dieser Anlagen würde aber nahelegen, dass die russische Militärführung eine "klassische Landoperation" erwarten würde. Aber, so Keupp weiter: "Ich glaube nicht, dass die ukrainische Frühjahresoffensive in dieser Art ablaufen wird."

    VIDEO: Marcus Keupp im ZDF-Interview:

    Russen sind "ziemlich nervös"

    Wo sich diese Bollwerke befinden, ist kein Geheimnis. Westliche Satelliten und ukrainische Drohnen klären diese in hohem Detailgrad auf. Die Gräben und Verteidigungsanlagen der Russen seien aber kein geschlossenes System, sondern es gebe durchaus auch Lücken.

    Besonders befestigt wurde etwa die Stadt Tokmak in der Oblast Saporischschja. Diese liegt knapp hinter der derzeitigen Frontlinie und ist als wichtiger Versorgungsknoten der Russen als hochrangiges Ziel für eine mögliche ukrainische Offensive einzustufen.

    Die Lage der Stadt Tokmak (roter Kreis) in der Oblast Saporischschja. Rot eingefärbt, die von Russland besetzten Gebiete.
    Die Lage der Stadt Tokmak (roter Kreis) in der Oblast Saporischschja. Rot eingefärbt, die von Russland besetzten Gebiete.
    liveuamap.com

    In der Stadt selbst hätten die Besatzer bereits die Zivilbevölkerung zur Evakuierung aufgefordert, schildert der gebürtige Deutsche weiter: "Es zeigt jedenfalls, dass die Russen ziemlich nervös sind und sich fragen: Wo kommt jetzt dieser Durchbruch?".

    "Kein anderes Ziel als der Sieg empfehlenswert"

    Ganz allgemein sieht der 45-jährige Analyst die aktuelle Lage der Russen nach 14 Monaten Krieg äußerst kritisch: "Für Putin sieht es derzeit eher nach Kollaps aus." Dennoch stoße die Erzählung des unbesiegbaren Russlands in Europa weiterhin auf viele offene Ohren.

    "In einer Hinsicht ist Russland allerdings überaus leistungsfähig – und zwar in der Propaganda von seiner angeblichen Stärke", sagt Keupp gegenüber "t-online". Gleichzeitig kritisiert er die Einstellung vieler westlicher Ukraine-Unterstützer scharf.

    "Großbritannien, Polen und auch die baltischen Staaten wollen, dass die Ukraine siegt. Deutschland und Frankreich sind hingegen dafür, dass die Ukraine zumindest nicht verliert, die USA befinden sich derzeit irgendwo dazwischen", beschreibt er die aktuelle Lage. Er positioniert sich klar: "Eigentlich ist aber kein anderes Ziel als der Sieg der Ukraine empfehlenswert."

    Krim müsse zur Ukraine zurück

    Aus Keupps Sicht könne der Ukraine-Krieg nur mit einer völligen Wiederherstellung des Landes in seinen Grenzen von 1991 auch wirklich enden und nachhaltigen Frieden bringen. Eine Aufgabe der Krim etwa, würde den Aggressor belohnen und den nächsten Krieg heraufbeschwören.

    "Nehmen wir den Fall, dass Russland bei einem Friedensschluss die Krim als militärische Festung behalten darf. Zehn bis 15 Jahre lang würde Moskau erneut aufrüsten, dann geht alles wieder von vorne los", beschreibt er düstere Aussichten.

    Um das zu erreichen, dürfe der Westen aber nicht mehr vor den eskalierenden Drohgebärden des Kremls und seines Propaganda-Apparates kuschen: "Russland redet ständig von roten Linien, welche Drohungen wurden bislang aber Realität? Keine!"

    Russen müssen "mit Museumsstücken kämpfen"

    Putins Märchen über scheinbar unendliche Waffenreserven würden in Deutschland nur allzu gerne geglaubt, beklagt Keupp, doch die Realität zeige, dass es der russischen Armee nicht gelinge, Verluste moderner Panzer mit gleichwertigem Gerät auszugleichen. "Mittlerweile schaffen die Russen angesichts ihrer Verluste nun Panzer an die Front, die aus Zeiten des Korea-Krieges [1950-1953, Anm.] stammen. Die russischen Soldaten müssen dann mit Museumsstücken kämpfen". 

    Dass jetzt schon Sowjet-Bestände geplündert und Uralt-Panzer wie den T-64 und T-54/55 flott gemacht werden, anstelle den bisher nur auf Militärparaden vorgeführten Super-Panzers T-14 "Armata" einzusetzen, spreche Bände. Der T-54 etwa wurde noch zu Lebzeiten Josef Stalins direkt nach dem 2. Weltkrieg entwickelt.

    "Es findet hier wirklich eine große Entzauberung der russischen Armee statt", hatte Keupp schon Anfang April festgestellt. Was das Kriegsgerät am Boden angehe, eskaliere Moskau "technologisch nach unten". Diese Entwicklung ließ ihn die Aufsehen erregende Prognose erstellen, dass Russland im Oktober "militärisch verloren" haben wird.

    Inzwischen verbreitet die russische Nachrichtenagentur RIA zumindest, dass "Armata"-Kampfpanzer Stellungen in der Ukraine unter Beschuss genommen hätten. Gleichzeitig muss aber auch sie eingestehen: "Aber sie haben noch nicht an direkten Angriffseinsätzen teilgenommen."

    Es ist eher als Propaganda-Auftritt als wirklicher Vorstoß mit neuem Gerät zu bewerten, denn die russische Armee hatte noch nie viele dieser Panzer einsatzbereit. Bis kurz vor Kriegsbeginn hatten russische Verantwortliche noch gravierende Probleme bei der Serienfertigung eingestanden. 

    "Das sollte jeder begriffen haben"

    Zum Abschluss räumt Keupp auch mit der Mär auf, dass Russland unbesiegbar sei und nicht an einen Verhandlungstisch gezwungen werden könne: "Man kann Putin aber sehr wohl besiegen – wenn man sich nicht mehr von ihm täuschen lässt. Und erkennt, was Russland zurzeit wirklich ist: ein brutales Imperium, das auf Expansion aus ist. Das zumindest sollte mittlerweile jeder begriffen haben."

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      ALEX WROBLEWSKI / AFP / picturedesk.com