"Kinder sehen mich stumpf an"

Lehrer schockiert – Schüler können Uhr nicht lesen

Einem Pädagogen reißt der Geduldsfaden: 16-jährige Schüler wissen nicht, wie spät es ist. Grund: Sie verstehen die Uhr nicht, so Kolumnist Glattauer.

Niki Glattauer
Lehrer schockiert – Schüler können Uhr nicht lesen
Lehrer klagt: Schüler können Uhr nicht lesen.
iStock (Symbolbild)

Nach der Wahl ist vor… dem neuen Bildungsminister. Aber wen interessiert schon Bildung (außer 1,2 Millionen Schüler und deren Eltern)? Welch klägliche Rolle die Zukunft unserer Schule in der Politik spielt, zeigt sich immer wieder.

Das ist zum Lachen! "Wir sind gut aufgestellt!"

Zuletzt in den Statements einer Sektionschefin des (noch-)Ministers auf Ö1. Der fiel zu dem Faktum, dass Deutschförder-Kinder, 6, 8, 10 Jahre alt, in ihren Stammklassen Ausgrenzung durch Lehrer und Diskriminierung durch Mitschüler erführen (neue Studie der Uni Wien), nur ein: "Wir sind gut aufgestellt." Und auf die Frage, ob es denn angesichts des dramatischen Niveauverlusts in den städtischen Volksschulen nicht ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr geben müsse? "Das wird man sozusagen ausloten." Na bravo!

Weniger ausloten als ausbaden müssen das derweil unsere 100.000 Lehrerinnen. Bitte lesen Sie unten, wie es einem Lehrer erging, der mit 16-Jährigen (!) auf englisch die Uhrzeit durchnehmen wollte.

Note: Unbefriedigend

Unfassbar: 16-Jährige können die Uhr nicht!

Vorher zum Drüberstreuen: Einer Analyse des "Österreichischen Bundesverlags" zufolge war Bildung nicht einmal im Wahlkampf Thema. Von 505 Minuten Redezeit (auf Puls4, im ORF) befassten sich die Spitzenkandidaten in den TV-Duellen ganze zehn Minuten mit Bildung. Das sind weniger als zwei Prozent (1,98). Philipp Nussböck vom ÖBV: "Dass die Parteien nicht einmal im Wahlkampf konkrete Visionen verbreiten, ist ein Armutszeugnis."

Damit zu meinem heutigen Spezialfall: "Ich unterrichte", so schreibt mir ein Lehrer, "in einem Poly in NÖ u.a. Englisch. Prüfungsstoff für die 1. Schularbeit ist die Uhrzeit (eigentlich Stoff der Sekundarstufe I). Doch nach ca. 5 min stellt sich heraus, dass die Kinder die Uhr gar nicht lesen können. Weder verstehen sie das Konzept des Kreises mit Hälften und Vierteln, noch können sie die Stunden- und Minutenzeiger auseinanderhalten. Die österreichisch-deutschen Zeitangaben 'viertel drei' oder 'dreiviertel drei' verstehen sie schon gar nicht..."

<em>"Heute"-</em>Kolumnist Niki Glattauer war Lehrer und Schuldirektor in Wien.
"Heute"-Kolumnist Niki Glattauer war Lehrer und Schuldirektor in Wien.
Sabine Hertel

"... dann schauen sie mich nur stumpf an!"

"Wir arbeiten jetzt in der Englischstunde schon 5 Stunden an der Uhrzeit auf Deutsch. Wobei die SchülerInnen komplett verweigern mit den Worten, 'sie hätten das nie gelernt und nie gebraucht'. Wenn ich frage, wie sie den zukünftigen Lehrherrn verstehen wollen, sehen sie mich nur stumpf an." Viele seiner Schüler, so der Lehrer, seien Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. "Offensichtlich sind solche Kinder und Jugendliche, die eigentlich besondere Bedürfnisse haben und den Schutz des Systems benötigen, diesem weniger wert, wenn hier irgendjemand ohne die nötige Qualifikation hineingestellt wird." Wie denn? Was denn? Nachfrage per Mail. Antwort: "Ich stehe in dieser Gruppe alleine. Eine Ausbildung als Sonderpädagoge habe ich nicht." Ich denke, wertes Ministerium, da ist noch einiges, äh,  auszuloten.

Note: Nicht genügend

Glattauer gibt Noten
Niki Glattauer war 25 Jahre Lehrer und Schuldirektor in Wien. Er hat bisher 13 Bücher veröffentlicht, alle zum Thema Schule wurden Bestseller. Jeden Montag vergibt er in einer Kolumne für "Heute" Schulnoten. Mail bitte an: [email protected]
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    Auf den Punkt gebracht

    • Der Artikel kritisiert die mangelnde Priorität, die Bildung in der Politik einnimmt, und beleuchtet die Herausforderungen, denen Lehrer und Schüler in Österreich gegenüberstehen
    • Ein Lehrer berichtet von erschreckenden Defiziten bei Schülern, die grundlegende Fähigkeiten wie das Lesen der Uhrzeit nicht beherrschen, und prangert die unzureichende Unterstützung für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf an
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