Klimaschutz

Es geht um alles – daher "ja" zu Klima-Protest 

Pro & Contra zum Aufreger der Woche. Klima-Aktivismus muss stören, findet "Heute"-Klima-Journalistin Lydia Matzka-Saboi.

Lydia Matzka-Saboi
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Kommentar von "<em>Heute</em>"-Klima-Redakteurin Lydia Matzka-Saboi. Sie kann den polarisierenden Aktionen der Letzten Generation viel Positives abgewinnen.
Kommentar von "Heute"-Klima-Redakteurin Lydia Matzka-Saboi. Sie kann den polarisierenden Aktionen der Letzten Generation viel Positives abgewinnen.
Letzte Generation, Helmut Graf

Wir stehen alle an dieser schaurigen Abbruchkante. Nicht nur die Aktivisten von Lützerath, die den Braunkohleabbau nahe Düsseldorf verhindern wollen. Sie kämpfen gegen das mit riesigen Schaufeln gebaggerte Mordor. Sie kämpfen für eine lebenswerte Zukunft. Für uns alle.

Es geht darum, keine klimaschädlichen Treibhausgase mehr in die Atmosphäre zu blasen. Den Klimakollaps zu verhindern. Dem Klima ist der Wandel ja herzlich egal. Es geht um den Schutz von Menschenleben. Es geht um uns, um die Zukunft unserer Kinder. Wir sollten eigentlich alle in Lützerath stehen oder unsere Hände an den Asphalt picken.

Lösung der Klimakrise: jetzt oder nie!

Anfangs skeptisch, ob die Methode, sich an Straßen zu kleben und damit Menschen im hektischen Frühverkehr zu nerven, die richtige ist, um auf die Klimakatastrophe aufmerksam zu machen, kann ich den polarisierenden Aktionen der Letzten Generation inzwischen viel Positives abgewinnen.

Die Klimawissenschaft ist seit Jahrzehnten unmissverständlich klar und auch der jüngste Bericht des Weltklimarats (IPCC) war erneut mehr als deutlich. Wir steuern auf drei Grad Erderhitzung zu. In einer drei Grad-Welt will niemand leben. Es ist eine unsichere, feindliche Welt, geprägt von extremen Hitzewellen, katastrophalen Stürmen, Dürren, gestiegenem Meeresspiegel, Überschwemmungen, Flucht und Hungersnöten. Demokratische Strukturen werden zusammenbrechen. Die Welt, wie wir sie kennen und lieben, wird nicht mehr sein.

Die Vorstellung, diese brennende, von Anarchie geprägte Welt unseren Kindern zu hinterlassen, schmerzt, macht traurig, hilflos und wütend.

Wir müssen was tun! Also schreiben wir Artikel, die aufrütteln, zeigen Lösungen auf, um zu motivieren, produzieren mehr Studien und Grafiken, warnen noch engagierter in Hörsälen und in den Medien, malen Plakate, gehen zu Tausenden auf die Straße. Es geht um viel. Es geht um alles.

Das Zeitfenster schließt sich

Die Politik muss handeln, wir alle müssen handeln, aber wir machen weiter wie bisher. Noch ist es nicht zu spät, die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise zu verhindern, heißt es. Aber was tun wir? Wir machen das Verkehrte, das Unlogische, das Falsche, wir tun weiter so, als wäre nichts.

Wir sitzen alle – ob "Klima-Kleber" oder "Öko-Sau" – auf dem sprichwörtlichen Dampfer, der Kurs auf den zerstörerischen Eisberg genommen hat. Die Wissenschaft erklärt die noch mögliche Kurskorrektur, warnt davor, was wir alles verlieren werden, wenn wir nicht rasch handeln. Wir nehmen davon Notiz, hören aber nicht wirklich hin. Auch die höflichen, mit kreativen Schildern vorgetragenen Mahnungen der Klima-Aktivisten erregen nicht die dringend notwendige Aufmerksamkeit der Passagiere der "MS Klimakatastrophe". Klima-Aktivisten wissen um die Gefahr, das Schiff wird den Eisberg rammen, auch diese Titanic wird untergehen. Also werden sie lauter.

Klima-Aktivismus muss stören, denn wann in der Geschichte haben schon mal Proteste, die niemandem unbequem erschienen, zu grundlegenden Veränderungen geführt? Eben.

Und genau das machen sie, die "Klima-Kleber". Sie stören uns in unserer Wohlfühlblase. Sie stören unser Verdrängen. Sie picken sich an verkehrsintensive Straßen, stellen sich einfach frech in unser Blickfeld, zwingen uns zum Anhalten. Sie wissen, dass sie nerven, das tue ihnen auch sehr leid, sie wollen das nicht, sie würden aber keinen anderen Weg sehen, sie sind verzweifelt, wollen nicht leise sein, auch nicht zerbrechen oder aufgeben, sie wollen kämpfen, sagen mir angeklebte Aktivisten mit festem Blick.

Klima-Proteste wirken

Die Aktionen der Letzten Generation wirken, ihre Argumente überzeugen. Weil sie die Proteste in unseren Alltag bringen, weil sie uns die Konfrontation mit dem Stimmungskiller Klimawandel förmlich aufzwingen, evozieren sie auch Widerstand.

Noch nie habe ich so viele Klimawandel-Leugner-Argumente durchs Netz flimmern gesehen wie die letzten Tage – sollen doch die anderen, wir sind eh so super. Aber auch noch nie wurde so viel zum Thema berichtet wie zuletzt.

Ja, die Aktionen nerven. Unbestritten. Ja, sie erzählen uns eine unbequeme Wahrheit. Lassen wir sie an uns ran. Hören wir auf, zu verdrängen. Fangen wir an, zuzuhören. Zu handeln. Es geht um nicht weniger als um die Rettung unserer Welt.

Eine andere Meinung zu den Klima-Klebe-Aktionen vertritt mein Kollege Clemens Oistric. Wie stehst du dazu? Schreibe es in die Kommentare.

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