Klimaschutz

Klimakrise – Werden täglich 39,4 Grad bald Normalität?

Lebensgefährliche Hitzewellen könnten im Zuge des Klimawandels sehr viel häufiger auftreten, zeigen neue Berechnungen der Universität Harvard.

Lydia Matzka-Saboi
Die Zahl der Hitzetage wird sich in den mittleren Breiten bis 2050 mehr als verdoppeln: Besonders betroffen auch Großstädte wie Berlin.
Die Zahl der Hitzetage wird sich in den mittleren Breiten bis 2050 mehr als verdoppeln: Besonders betroffen auch Großstädte wie Berlin.
Annette Riedl / dpa / picturedesk.com

Noch sind wir einige Zehntel Grad von den als Grenze des Verträglichen definierten 1,5 Grad Erderwärmung entfernt. Doch schon jetzt brechen die Wetterextreme alle bisherigen Rekorde. Kann es denn in Zukunft noch extremer werden?

Dieser Frage gingen Forscher der US-Universität Harvard nach – ein Anstieg gefährlicher Hitzewellen wird weltweit erwartet. Auch in gemäßigten Breiten seien extremere Hitzewellen zu erwarten. Die Studie wurde jetzt im Fachjournal "Communications Earth & Environment" publiziert.

Das Forscherteam um Lucas Vargas Zeppetello von der Universität von Washington in Seattle verwendete für ihre Studie den Hitzeindex des nationalen Wetterdienstes der USA, der die Effekte von Temperaturen und relativer Luftfeuchtigkeit auf den Menschen berücksichtigt (Hitzestress) – man könnte auch von gefühlter Temperatur sprechen.

Ab 39,4 Grad Celsius klassifiziert der Hitzeindex eine Wetterlage als "gefährlich", ab 51,1 Grad als "extrem gefährlich". Ein solche Situation kann innerhalb weniger Stunden zu einem Hitzschlag führen.

"Diese Standards wurden zuerst für Menschen geschaffen, die in Innenräumen an Orten wie Heizräumen arbeiten – sie wurden nicht als Zustände angesehen, die in Umgebungen im Freien auftreten würden", sagte Vargas Zeppetello.

Die Grundlagen der Berechnungen

Bei ihren Modellberechnungen berücksichtigte das Forschungsteam Prognosen für die künftige Entwicklung der Bevölkerung und des Bruttoinlandsprodukts der einzelnen Länder und Regionen. Einbezogen wurde auch, wie viel Kohlendioxid die jeweils vorhandene Industrie ausstößt.

Zwar tragen verschiedene Treibhausgase zum Klimawandel bei, aber weil die CO2-Entwicklung erfahrungsgemäß ein guter Indikator für die Temperaturentwicklung ist, konzentrierten sich die Forscher auf CO2. Für die Jahre 2050 und 2100 berechneten Vargas Zeppetello und sein Team jeweils eine günstige, eine mittlere und eine ungünstige Alternative.

Extreme Hitze nimmt zu – vor allem Afrika und Asien betroffen

"Die Anzahl der Tage mit gefährlicher Hitze in den mittleren Breiten – einschließlich der südöstlichen und zentralen USA – wird sich bis 2050 mehr als verdoppeln", erklärte Mitautor David Battisti. Bis zum Jahr 2100 rechnen die Forscher in den USA, Westeuropa, China und Japan sogar mit dreimal bis zehnmal so vielen Tagen mit gefährlicher Wetterlage wie im Vergleichszeitraum 1979 bis 1998 – selbst wenn das Pariser Klimaziel, die Erderhitzung deutlich unter zwei Grad Celsius zu halten, noch eingehalten wird.

Noch gefährlicher wird es bis zum Ende des Jahrhunderts für Menschen in den subtropischen und tropischen Klimazonen. Im mittleren Szenario mit einer Steigerung der globalen Durchschnittstemperatur um drei Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitraum würde in vielen Regionen die Schwelle von 39,4 Grad an der Mehrheit der Tage im Jahr überschritten.

Forscher halten 1,5-Grad-Ziel unrealistisch

Dies beträfe insbesondere Afrika südlich der Sahara, die Arabische Halbinsel und Indien. Selbst die Hitzeindexklasse "extrem gefährlich" (mehr als 51,1 Grad) würde in diesen Regionen jedes Jahr an mehr als 15 Tagen erreicht. Dies gilt für die mittlere Alternative, in der ungünstigen würde dies noch öfter geschehen.

Lesen Sie auch Ab wann kippt das Klima? >>>

Und auch wenn es nach der UNO-Klimakonferenz in Glasgow Ende 2021 noch hieß "Das 1,5-Grad-Ziel lebt": Die Wahrscheinlichkeit, dass die weltweite Temperaturerhöhung bis zum Jahr 2100 nur 1,5 Grad betragen wird, beziffern die US-Forscher auf gerade einmal 0,1 Prozent.

An der Unterhaltung teilnehmen