Klimakrise & Wachstum
Klimaforscher: "Ruf nach Verzicht nicht sinnvoll"
Persönlicher Verzicht ist nicht die Lösung, sagt Komplexitätsforscher Anders Levermann beim Klimagipfel in Wien. Mit "Heute" hat er vorab gesprochen.
Das Klima muss gerettet werden, da sind sich alle einig. Viele Menschen gestalten ihren Alltag klimafreundlich, wollen aber nicht zum Beispiel auf Flugreisen oder Fleisch verzichten. Kann das Klima mit individuellen Konsumentscheidungen stabilisiert werden? Wie viel Überforderung ist uns zur Rettung der Welt zumutbar?
"Verzicht ist keine Lösung", sagt der deutsche Physiker und Klimawissenschafter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), Anders Levermann, im "Heute"-Gespräch. "Damit meine ich, dass Reduktion nicht ausreichen wird. Es geht nicht darum, einige Dinge weniger zu machen. Es geht darum, sie anders zu machen", spricht Levermann die Notwendigkeit eines Strukturwandels an.
„Unser Planet ist begrenzt, aber wir müssen uns weiterentwickeln, um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern.“
"Heute" erreicht den Komplexitätsforscher und Autor des Sachbuches "Die Faltung der Welt" (Ullstein Verlag, 24,70 €) Mittwochnachmittag telefonisch im Zug von Potsdam nach Wien, wo er am Donnerstag beim Klimagipfel "Austrian World Summit" zu Gast sein wird.
Ruf nach Verzicht wenig sinnvoll
"Beim Klimaschutz geht es nicht darum, ein bisschen weniger CO2 auszustoßen, sondern um Netto-Null-Emissionen. Und das können wir langfristig nur schaffen, wenn wir nur noch erneuerbare Energien nutzen", so Levermann gegenüber "Heute". "Sonnen- und Windenergie sind unbegrenzt vorhanden. Es geht also nicht darum, keine Energie mehr zu verwenden, sondern die richtige. Es geht auch nicht ums Fliegen, sondern um das CO2."
Zum geforderten Strukturwandel gehört daher, dass wir bis 2045 europaweit vollständig aufhören, Öl, Gas und Kohle zu verbrennen. "Es geht hier nicht um ein Zurück-zur-Natur, sondern um ein Hin-zur-erneuerbaren-Zukunft", fordert Levermann ein Ende der Reduktionsdebatte.
Der Ruf nach Einschränkung und Verzicht wäre wenig sinnvoll. Auch wenn Levermann es grundsätzlich begrüßt, wenn Menschen sich persönlich dafür entscheiden, weniger Fleisch zu essen oder keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zu fahren – im Sinne der Selbstwirksamkeit und als Signal an andere wäre ein klimabewusster Lebensstil sehr wertvoll, geht es dem Komplexitätsforscher vor allem um eine umfassende Umstrukturierung der Gesellschaft.
Klimawandel in Österreich
Verantwortung nicht auf Einzelne abwälzen
"Die Effekte, die durch individuellen Verzicht erzielt werden, sind realistisch betrachtet deutlich zu klein für die große Klimawende, die wir brauchen", sagt Levermann.
„Maßnahmen auf der persönlichen Ebene werden nicht ausreichen, um den globalen Ausstoß von Treibhausgasen auf netto null zu drücken.“
Die Aufgabe der Klimaneutralität dürfe nicht auf die einzelnen Menschen und ihr Verhalten im Alltag abgewälzt werden. "Wir brauchen Regeln für alle, und wir brauchen Preise, die die ökologische Wahrheit sagen", sagt Levermann.
Konservative und Rechte als Klima-Blockierer
Es sei wichtig, dass wir unser demokratisches Recht nützen und von den Entscheidungsträgern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft verlangen, diesen Strukturwandel zu vollziehen. "Die Gesellschaft, wir alle, können der Politik den Auftrag geben, dafür die Regeln zu setzen. Hier sind wir alle gefordert."
Der Strukturwandel könne nur gelingen, wenn wir Konsens darüber haben, dass das Klima stabilisiert werden muss, so äußert sich Levermann besorgt über den Rechtsruck in Europa, denn "vor allem Konservative und rechte Parteien stehen dem für die Minderung der Klimarisiken notwendigen Strukturwandel im Wege."