"Ein Weihnachtswunder"

Kein Veto! Orban-Trick ermöglicht Ukraine-EU-Beitritt

Die EU27 haben de jure einstimmig die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine beschlossen. Scholz reichte Orban den erlösenden Strohhalm.

Roman Palman
Kein Veto! Orban-Trick ermöglicht Ukraine-EU-Beitritt
Ungarns Premierminister Viktor Orban war und ist auf Veto gebürstet.
JOHN THYS / AFP / picturedesk.com

"Ganz klar, ein Weihnachtswunder", bezeichnete ein deutscher Diplomat gegenüber dem ORF-Brüssel-Korrespondent Benedict Feichtner noch in der Nacht auf Freitag, 15. Dezember, das Ergebnis des aktuellen EU-Gipfels. Dabei hatte der Europäische Rat einstimmig beschlossen, Beitrittsverhandlungen mit der von Russland überfallenen Ukraine und der ähnlich bedrohten, angrenzenden Republik Moldau aufzunehmen. Auch das von Russland teilbesetzte Land Georgien bekam Kandidatenstatus zuerkannt.

Die EU werde außerdem Verhandlungen mit Bosnien und Herzegowina aufnehmen, sobald das erforderliche Maß an Übereinstimmung mit den Beitrittskriterien erreicht sei, teilte EU-Ratspräsident Charles Michel auf X mit.

Ungarns Premier Viktor Orban hatte seinen zuvor angekündigten Widerstand völlig überraschend fallen gelassen. Mastermind dahinter soll laut dem niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz gewesen sein.

Überraschendes Angebot an Orban

"Wir hatten eine gute Debatte, aber am Ende hatte ich das Gefühl, eine Einigung wird schwierig", schilderte der Niederländer die vermeintlich festgefahrene Situation vor der Presse. Doch reichte der deutsche Kanzler dem ungarischen Premier einen Strohhalm, und dieser griff zu.

"Dann hat Olaf Scholz gemeint: 'Kannst Du einen Beschluss annehmen, bei dem Du nicht im Raum bist?' Rechtlich geht das, das gilt als einstimmiger Beschluss, mit Ungarn als Abwesendem", schildert Rutte. "Dann ist [Orban] rausgegangen."

1/5
Gehe zur Galerie
    Beim EU-Rat am 14. Dezember 2023 haben die Staats- und Regierungschefs das <strong>12. Sanktionspaket gegen Russland</strong> und die Aufnahme von <strong>Beitrittsgesprächen mit der Ukraine</strong> beschlossen. 
    Beim EU-Rat am 14. Dezember 2023 haben die Staats- und Regierungschefs das 12. Sanktionspaket gegen Russland und die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine beschlossen. 
    MIGUEL MEDINA / AFP / picturedesk.com

    Dass sich der Putin-Freund darauf einließ, kam offenbar für alle Anwesenden überraschend. Die Freude darüber stand den EU-Politikern, die sich vor die Presse wagten ins Gesicht geschrieben.

    Ungarn blockiert weiter Hilfsgelder für Ukraine

    Ganz ohne ungarische Blockade ging es dann aber doch nicht. Ungarn legte dann ein Veto bei der Auszahlung weiterer EU-Wirtschaftshilfen für die Ukraine in Höhe von 50 Milliarden Euro – 33 Milliarden davon als Kredite – ein. Dieses Njet heftete sich Orban dann auch publikumswirksam via X auf die eigenen Fahnen:

    Ungarn blockiert zwar, doch es wird bereits an einem Ausweg getüftelt. "Es gibt einen starken Willen von 26 EU-Staat- und Regierungschefs, dieses Paket umzusetzen", sagte etwa EU-Ratspräsident Michel.

    Wie ORF-Reporter Feichtner aus Brüssel weiter meldet, gibt es deshalb schon ein neues Verhandlungspapier, das Ungarn von der 50-Milliarden-Zahlung eventuell ausnehmen könnte. Für diesen Alle-bis-auf-einen-Ansatz müssten aber noch rechtliche Details geklärt werden, weshalb es im Jänner einen Sondergipfel geben soll.

    Der Brüsseler Flurfunk habe laut Feichtner jedenfalls keine freundlichen Worte für Orbans Blockaden übrig: "Da heißt es, Ungarn will einfach nur noch mehr Geld freipressen, das wegen Rechtsstaatlichkeitsbedenken eingefroren ist." Etwas, das der ungarische Blockade-Premier dann am Freitag bei einem Radioauftritt selbst bestätigte: Ungarn verlange für seine Zustimmung "nicht die Hälfte, nicht ein Viertel, sondern alles" von den auf Eis gelegten zwölf Milliarden Euro.

    Österreichische "Sponsoren des Krieges"

    Auch aus Österreich, vertreten durch Kanzler Karl Nehammer (VP), kamen vor dem Gipfel Veto-Überlegungen zum vorliegenden 12. Sanktionspaket gegen Russland. Grund dafür: die mit der ÖVP eng verstrickte Raiffeisen Bank International (RBI).

    Was du am Dienstag, 19.12.2023, gelesen haben musst

    Die RBI führt trotz des Angriffskriegs gegen die Ukraine und der EU-Sanktionen ihr Russland-Geschäft unverblümt weiter und ist aktuell die größte westliche Bank, die in Putins Invasoren-Staat noch aktiv ist. Deshalb wurde sie von der Ukraine auf eine Liste von "Sponsoren des Krieges" gesetzt. Offenbar ein Dorn in türkisen Augen.

    "Österreich wollte die Raiffeisen von dieser Liste streichen lassen", erklärte der ORF-Reporter im "Ö1 Morgenjournal" weiter. Entsprechende Gerüchte hätten hochrangige EU-Beamte ihm gegenüber am Donnerstag bestätigt. Ob die Ukraine in dieser Sache nachgegeben hat, wisse man nicht, eine Einigung auf das 12. Sanktionspaket wurde jedenfalls erzielt. Österreich-Veto gab es keines.

    Über das 12. Sanktionspaket der EU gegen Russland

    Das Paket sieht vor, ein Einfuhrverbot für Diamanten einzuführen – Russland gilt als weltweit größter Produzent von Rohdiamanten – und den zuletzt kaum noch wirkenden Preisdeckel für russische Ölexporte in Drittstaaten zu verschärfen. Zudem sind für weitere Güter Handelsbeschränkungen sowie Strafmaßnahmen gegen Personen und Organisationen geplant, die den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützen.
    Luc Frieden, Premierminister Luxemburgs: "Das ist ein starkes Zeichen an Russland und an Putin, dass wir nicht in die Knie gehen."
    Alexander De Croo, Premierminister Belgiens: "Wir stehen auf der Seite der Ukraine, das ist ein starkes Signal an Moskau und den Rest der Welt".

    Und was sagt der Bundeskanzler dazu? Nichts. Er ging zumindest in der Nacht auf Tauchstation. Feichtner: "Wir hätten darüber auch gerne mit Karl Nehammer gesprochen, aber er geht uns Journalistinnen und Journalisten hier in Brüssel leider aus dem Weg und verschickt nur schriftliche Statements". 

    1/51
    Gehe zur Galerie
      <strong>22.11.2024: So will Neos-Chefin die Mindestsicherung neu aufsetzen.</strong> Beate Meinl-Reisinger spricht erstmals in "Heute" über Koalitionsverhandlungen, nötige Reformen – <a data-li-document-ref="120073911" href="https://www.heute.at/s/so-will-neos-chefin-die-mindestsicherung-neu-aufsetzen-120073911">und warum sie Entlastungen für notwendig erachtet.</a>
      22.11.2024: So will Neos-Chefin die Mindestsicherung neu aufsetzen. Beate Meinl-Reisinger spricht erstmals in "Heute" über Koalitionsverhandlungen, nötige Reformen – und warum sie Entlastungen für notwendig erachtet.
      Helmut Graf
      rcp
      Akt.