Große Wellen geschlagen hat die Wiener Stadt-ÖVP mit Zahlen, wonach in Wien 50 Prozent der Tafelklässler so wenig Deutsch verstehen (von sprechen oder schreiben gar nicht zu reden), dass man sie nicht regulär unterrichten kann (bisher bekannt 45 Prozent).
Nur machen, wenn man mich fragt, die 5 Prozent das Problem auch nicht mehr größer. Dafür sollten nach Erscheinen des brandaktuellen "Nationalen Bildungsberichts 2024" die Alarmglocken schrillen: Klassen zum Bersten voll: So werden wir migrationsbedingt (Zuzug, Geburtenraten) bis 2.100 dramatisch mehr Pflichtschüler haben. Bei den 6- bis 9-Jährigen 12 Prozent mehr, bei den 10 bis 14-Jährigen 15 Prozent mehr – und das bei einem gleichzeitigen Pensionierungs-Tsunami in der Lehrerschaft.
Derzeit ist jede fünfte Volksschullehrerin und jeder vierte Mittelschullehrer älter als 55. Spätestens bis 2035 sind diese alle in Pension. Wer, frage ich mich, wird unter den immer schwierigeren Bedingungen dann noch unsere Kinder unterrichten wollen?
Immer mehr Migranten: Die Zahl der Kinder mit Migrationsvordergrund (damit gemeint ist die nicht-deutsche Umgangssprache) steigt in unseren Schulklassen signifikant. Wiens Bevölkerung besteht zu mehr als 50 Prozent aus Migranten der 1. oder 2. Generation.
Parallelgesellschaft wächst: Österreichweit gebrauchen 28 Prozent der Volksschüler ausschließlich andere Alltagssprachen als Deutsch, 7 Prozent reden im Alltag Deutsch plus zumindest eine weitere Sprache. In Wien sind die Zahlen rund doppelt so hoch.
Traurige Formel: Nicht-deutsche Alltagssprache und ein "subjektiv niedriger Wert von Bildung" im Elternhaus und Armut (Kinder von Zuwanderern und Asylberechtigten leben viermal häufiger "arm") bedeutet Bildungsverlust. Dabei hätten viele dieser Kinder das Zeug zu "Höherem".
AHS? Das Elternhaus entscheidet: Nur 25 Prozent der AHS-Kinder beginnen dort aufgrund besserer Leistungen in der Volksschule. Bei 75 Prozent erfolgt die Wahl fürs Gymnasium "leistungsunabhängig". Anders ausgedrückt: Ein Teil der Eltern ist "dahinter". Ein anderer siehe oben…
Aus dem Bildungsbericht des Bildungsministers geht hervor, dass in Österreichs Schulen gerade ein Generationsaustausch stattfindet. Aber es gibt dabei (ver)störende Nebengeräusche:
Jede Dritte jünger als 35 Jahre: 35 Prozent der Lehrerinnen in Volks- und Mittelschulen sind unter 35. Das ist im internationalen Vergleich ein hoher Wert. Viele "Lehrerinnen" gehen ohne fertige Ausbildung in den Beruf, oft nur wenige Jahre, nachdem sie die Schule selbst als Schülerinnen verlassen haben.
Das hat Folgen: In zig Mails schildern mir "g’standene" Kollegen, dass in den städtischen Pflichtschulen gerade die "Jungen" den Anforderungen nicht gewachsen sind. Sie nennen mir zwei Gründe: 1) eine praxisferne Ausbildung und 2) eine "veränderte Grundeinstellung". Statt für den Beruf zu brennen, fokussieren sich (zu) viele auf eine chillige Job-Life-Balance.
Note: Nicht genügend
Glattauer gibt Noten
Niki Glattauer war 25 Jahre Lehrer und Schuldirektor in Wien. Er hat bisher 13 Bücher veröffentlicht, alle zum Thema Schule wurden Bestseller. Jeden Montag vergibt er in einer Kolumne für "Heute" Schulnoten. Mail bitte an: n.glattauer@heute.at