Virologe Florian Krammer
Impfskeptiker "nicht alles Verschwörungstheoretiker"
Die Corona-Pandemie ist durchgestanden, doch auf eine Wiederholung wäre die Welt wohl schlecht vorbereitet, warnt der Wissenschaftler.
Die Aufdeckung von angeblich skandalösen Geheim-Protokollen des Robert-Koch-Instituts (RKI) sorgt in Deutschland aktuell für intensive Debatten über das Pandemie-Management. Maßnahmen-Skeptiker sehen sich vielfach dadurch in ihren früheren Zweifeln bestätigt.
Auch "Heute" hat sich am Montag intensiv mit dem Thema befasst:
Die RKI-Causa selbst will Florian Krammer mangels Einblicke nicht kommentieren, doch der bekannte Virologe war selbst während der Pandemie als Vermittler wissenschaftlicher Erkenntnisse im Rampenlicht. Dabei kam er auch viel mit jenen in Kontakt, die große Zweifel an der Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen und auch den Corona-Impfungen hatten.
In einem Interview mit dem "Standard" enthüllt er jetzt, dass die Welt aus Corona zwar viel gelernt habe, aber dennoch für eine mögliche neue Pandemie eher schlecht gerüstet wäre.
"Viele Leute werden nicht mitspielen"
Eine erfolgreiche Umsetzung der bisherigen Lehren scheint Krammer nämlich zweifelhaft: Technisch sei es kein Problem, doch gesellschaftlich sei die Lage bedeutend schwieriger, sagt er über die immer noch tiefe Spaltung. "Viele Leute werden nicht mitspielen, wenn wieder eine Pandemie kommt und Gegenmaßnahmen nötig werden."
Der Wissenschaftler will da auf Fakten und Dialog setzen: "Den Großteil der Skeptischen kann man mitnehmen, wenn man gut aufklärt und gut argumentiert", sagt er. "Das sind nicht alles Verschwörungstheoretiker".
Politische Polarisierung bereitet Sorge
Sorge mache ihm aber die Verschmelzung der politischen Ideologien mit dem Gesundheitsthema: "Wenn man konservativ ist, ist man gegen Impfungen und Maßnahmen und misstraut der Wissenschaft, wenn man progressiv ist, ist das Gegenteil der Fall, zumindest in den USA", schildert der auch in New York arbeitende Virologe.
Das sei eine neue Entwicklung, denn in der Vergangenheit hätten teils sogar Republikaner Forschung mehr gefördert als Demokraten.
"Diese politische Spaltung oder diese Assoziation von Impfgegnerschaft mit einer gewissen politischen Richtung ist problematisch. Das betrifft aber nicht nur den äußeren rechten Rand, sondern auch den ganz linken Rand, man findet das in beiden Spektren."
Die in Österreich verhängte, aber nie umgesetzte Covid-19-Impfpflicht sieht er heute kritisch. Als virologischer Sicht hätte diese in der Corona-Pandemie "Sinn gemacht", doch gesellschaftlich sei sie nicht das richtige Mittel gewesen. "Es baut Widerstand auf, und die Leute sind absolut dagegen, wenn sie sich impfen lassen müssen. Ich glaube, man muss andere Mittel und Wege finden, um Leute zu überzeugen, dass sie bei Maßnahmen mitmachen."
Die Gefahr durch Masern
Auch gegen die aktuelle Masernwelle in der Alpenrepublik ("Es sind wirklich sehr viele Fälle") brauche es eine großangelegte Informationskampagne, sagt Krammer. Ein besseres Mittel als die Impfung gebe es dagegen nicht, das Durchmachen der Erkrankung ist kein Schutz.
Die Gefahr durch Masern ist nämlich vielschichtig: Neben der akuten Infektion kommt es auch zu einer Unterdrückung des Immunsystems. Damit habe man noch Monate später ein erhöhtes Risiko, auch gegenüber sonst eher harmlosen Keimen. Und was auch viele nicht wissen: Masern-Viren können jahrelang im Gehirn überdauern und alles wieder aufflammen – manchmal mit tödlichen Folgen.
"Den Leuten ist nicht klar, dass das eine schwere Erkrankung ist. Vielleicht weil die Masern lange Zeit kein Problem waren, die Durchimpfungsraten waren hoch, es gab kaum Fälle", warnt der Viren-Experte.
Wakefield-Verschwörung
Das im Zuge der Masern-Debatte in Skeptikerkreisen immer wieder ausgegrabene Papier von Andrew Wakefield aus dem Jahr 1998, wonach die Masern-Impfung Autismus auslösen würde, bezeichnete er als "Wahnsinn".
"Diese Studie ist absoluter Humbug, basierte auf ausgesuchten Leuten. Wakefield ist von einem Anwalt dafür bezahlt worden. Es ging darum, Herstellerfirmen zu klagen und dann auch einen von Wakefield entwickelten Masernimpfstoff zu vertreiben."
Die darin getätigten Behauptungen seien in der Zwischenzeit von "zig Studien" überprüft, ein Zusammenhang zwischen Impfung und Autismus "nie gefunden" worden. "Das hat unglaublich viel ausgelöst" und habe Millionen verschlungen.
Zur Person
Florian Krammer ist Professor für Vakzinologie in der Abteilung für Mikrobiologie an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York und hat dazu seit 1. März 2024 eine Professur für Infektionsmedizin an der MedUni Wien inne.
Hier soll er virale Krankheitserreger charakterisieren und Impfstoffe und Therapien dagegen entwickeln.
Krammer wurde 1982 in Voitsberg geboren, studierte Biotechnologie an der Boku Wien. Sein Forschungsfokus liegt auf Influenza- und RNA-Viren mit pandemischem Potenzial.