Wien

"Ich fahre nach Italien, mein Mann kämpft für uns"

Täglich treffen 50 Züge mit ukrainischen Flüchtlingen in Wien ein. Am Hauptbahnhof ist der Andrang auf Hilfsangebote derzeit groß.

Yvonne Mresch
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    Immer mehr Flüchtlinge am Wiener Hauptbahnhof
    Immer mehr Flüchtlinge am Wiener Hauptbahnhof
    Denise Auer

    Die Ankunftshalle am Wiener Hauptbahnhof ist gefüllt mit Menschen, die Schlangen vor dem Info-Point der Caritas lang. Täglich kommen neue Züge mit Geflüchteten aus der Ukraine an. Bei manchen Ankommenden herrscht Hektik, sie wollen weiterreisen, suchen nach dem richtigen Bahnsteig. Andere sitzen am Boden, umringt von Gepäckstücken und nutzen die kurze Zeit zum Durchatmen. Wieder anderen rinnen die Tränen über die Wangen. Schicksale, wohin man sieht.

    "Meine Tochter weint viel"

    "Im Zug war es sehr voll. Zuvor haben wir schon acht Stunden an der Grenze gewartet", erzählt Anastasia. Die 30-jährige Ukrainerin kam mit ihrer Tochter Kira (9) und Bekannten nach Wien. Vater, Bruder und Onkel blieben zurück, um das Land zu verteidigen. Zwei Mal am Tag telefoniert Anastasia mit ihnen, die Angst bleibt. "Meine Tochter weint viel. Die Situation ist wirklich schlimm", klagt die junge Frau. Sechs Tage war sie auf der Flucht, aber die Reise geht weiter. "Wir wollen in die Schweiz und dort ein Leben aufbauen."

    "Kinder verstehen nicht, was passiert"

    Mit zwei kleinen Kindern und Freundin Tanya (18) kam Oksana (26) nach Wien. Der fünfjährige Dennis und die vierjährige Adriana laufen am Bahnhof einem fliegenden Luftballon hinterher. "Sie verstehen gar nicht was passiert, das ist vielleicht auch gut so", sagt Mama Oksana. Sie ist froh, solange sie nicht nach Papa fragen. Denn der wurde soeben in die Armee einberufen. Zuvor hatte er seine Familie über die Grenze geschickt – in letzter Sekunde. "Wir haben die Bomben schon gehört, die Sirenen waren laut, wir hatten Angst", schildert die junge Frau. Für sie geht es nun weiter nach Italien. Dort warten bereits Bekannte auf ihre Ankunft.

    17-Jähriger kam alleine nach Wien

    Ohne Mutter oder Vater kam der 17-jährige Mark aus Odessa nach Wien, wie er im "Heute"-Gespräch erzählt. "Es war schlimm zuhause. Überall Bomben, dauernd Sirenen." Vor fünf Tagen fiel dann die Entscheidung: "Ich muss gehen." Marks Vater durfte nicht ausreisen, die Mutter wollte bei ihm bleiben. "Ich bin der einzige aus meiner Familie, der Englisch spricht und habe mich entschieden, zu flüchten", erzählt der Teenager. "Ich bin gemeinsam mit meiner Tante und meinem kleinen Cousin gegangen, um die kümmere ich mich jetzt."

    Mit der Familie zuhause telefoniert er stündlich. Sie berichten von der schlimmen Lage. "Die Leute kaufen alles im Supermarkt leer, es gibt kein Essen mehr", sorgt sich der 17-jährige. Aus der Ferne will er seine Familie jetzt emotional unterstützen. "Ich muss stark sein. Es liegt viel Druck auf mir und ich muss viel machen, was ich nie zuvor gemacht habe. Aber ich schaffe das. Ich muss auf meinen Cousin aufpassen. Er ist klein und versteht nicht, was passiert. Für ihn ist das ein Spiel." Nun möchte Mark nach Belgien reisen, wo Freunde von ihm leben. Bis sein Zug fährt, engagiert er sich am Hauptbahnhof als Übersetzer. "Damit ich etwas von der Hilfe, die ich erhalten habe, zurückgeben kann. Und ich will so vielen Ukrainern helfen, wie nur möglich."

    Kein Abschied möglich

    Als die Angriffe auf die Ukraine begannen, konnte Oksana (30) es kaum glauben. "Mein Mann war in Kiev, ich in Charkiew. Er rief mich an und sagte: Die Russen kommen! Ich habe gelacht und gemeint, er scherzt nur. Aber es war kein Scherz." Kurze Zeit später der nächste Anruf ihres Mannes: "Packt eure Sachen. Nimm unsere Tochter und deine Mutter und verlasst das Land." Nicht einmal verabschieden konnte sich Oksana von ihrem Ehemann.

    Nach einer beschwerlichen Reise sind sie, ihre Mutter Antanina (58) und Tochter Sabina (13) in Wien angekommen. Auch Hund Amor ist dabei. "Er ist auch im Schock. Er würde jetzt lieber im Park spielen", sagt sie. Die 30-jährige ist schwanger, die Reise war für sie umso mühsamer. Ob die Tochter ihren Vater kennenlernen wird – und wo – weiß sie nicht. "Meine Tochter fragt mich immer: Mama, wo kann ich zur Schule gehen? Meine Mutter war kurz vor der Flucht noch im Krankenhaus. Wir sind alle müde und im Schock und hoffen, dass wir bald wieder nach Hause können." Dankbar ist Oksana für die Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. "Alle sind so nett zu uns. Aber trotzdem: Das hier ist nicht unser Zuhause. Wir lieben die Ukraine."

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      ALEX WROBLEWSKI / AFP / picturedesk.com