Drama in Altenheimen
Hilferufe! Patienten werden in Rollstuhl festgegurtet
Immer mehr Menschen in Alten- und Pflegeheimen sind von Freiheitsbeschränkungen betroffen. Experten des Vertretungsnetzes schlagen nun Alarm.
Die Situation im österreichischen Pflegebereich spitzt sich immer mehr zu. Laut einem Ö1-Bericht waren im Vorjahr 33.000 Menschen in Alten- und Pflegeheimen von Freiheitsbeschränkungen betroffen. Den meisten werden demnach sedierende Medikamente verabreicht, manche der Maßnahmen sind aber noch drastischer.
"In Immobilität gepflegt"
So sei ein Viertel aller Bewohner in Alten- und Pflegeheimen mittlerweile von zumindest einer Freiheitsbeschränkung betroffen. 70 Prozent würden sedierende Medikamente erhalten, die meist nach der Übersiedlung in ein Altersheim verabreicht werden, um die aufgebrachten Menschen zu beruhigen.
"Die Bewohner werden schläfrig, sie können selber nicht mehr aufstehen. Wenn sie gehen würden, würde es das Risiko geben, dass sie stürzen", schilderte Susanne Jacquemar, Fachbereichsleiterin der Bewohnervertretung im "VertretungsNetz" zu Ö1. Deswegen gurte man die Menschen in Rollstühle an und bringe sie in Aufenthaltsräume, wo sie mehrere Stunden verbringen. "Sie werden wirklich in die Immobilität gepflegt", kritisierte sie.
"VertretungsNetz" ist ein Verein, der sich für den Schutz der Grundrechte von Menschen mit psychischer Erkrankung oder intellektueller Beeinträchtigung einsetzt. Er hat drei Aufgabengebiete: Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft und Bewohnervertretung.
Bettgitter "höchst gefährlich"
Im Vorjahr wurden zudem erstmals seit Jahren wieder Bettgitter eingesetzt, die das Aufstehen verhindern sollen. "Das ist höchstgefährlich, das Verletzungsrisiko beim Sturz ist enorm hoch", so Jacquemar. Sie kritisierte, dass es bei der von "VertretungsNetz" durchgeführten Untersuchung in einem Altersheim kein einziges Niederflurbett gegeben habe – diese sollen aber seit 2007 "State of the Art" sein.
Die Expertin forderte eine österreichweite Qualitätsoffensive mit festgelegten Qualitätsstandards. Sie sah hier vor allem die Länder in der Pflicht und appellierte, einheitliche Pflegeschlüssel einzuführen. "Momenten geht es den alten Menschen nicht mehr gut."
„Momentan geht es den alten Menschen nicht mehr gut.“
"Ich frage mich ernsthaft..."
Jakob Kabas, Präsident des Pflegeheim-Dachverbandes "Lebenswelt Heim", konterte im Ö1-Morgenjournal die heftige Kritik. Es gebe auch gute Nachrichten, etwa die bessere Kommunikationskultur zwischen Personal und Bewohnervertretung.
Er sei "irritiert", dass in den Aussagen so pauschaliert werde, Zahlen würden belegen, dass die Personalfrage in allein Bereichen angekommen sei, z.B. in der Kinderbetreuung oder in Krankenhäusern. Es sei nicht alles perfekt, aber auch nicht alles schlecht. "Ich frage mich ernsthaft, welcher gesunde Menschenverstand einen Bereich erstrebenswert findet, der ständig schlechtgeredet wird?", ärgerte sich Kabas.
"Funktioniert nicht im Angstmodus"
Er würde sich wünschen, dass mehr positive Beispiele angeführt werden: "So wie Demokratie nicht im Aggressionsmodus funktioniert, funktioniert Pflege nicht im Angstmodus". Auch Kabas plädierte für die Etablierung von Qualitätssicherungssystemen, er forderte außerdem ein systemübergreifendes, interdisziplinäres Lernen, z.B. in der Schmerzversorgung.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Im österreichischen Pflegebereich sind immer mehr Menschen in Alten- und Pflegeheimen von Freiheitsbeschränkungen betroffen, darunter sedierende Medikamente und das Festgurten in Rollstühlen
- Experten schlagen Alarm und fordern eine Qualitätsoffensive mit festgelegten Standards, während der Präsident des Pflegeheim-Dachverbandes "Lebenswelt Heim" die Kritik zurückweist und mehr positive Beispiele in der Pflege hervorheben möchte