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"Heute duscht man nicht mehr vor einem Tinder-Date"

Seit über zehn Jahren verändert Tinder bereits das Dating-Verhalten. Doch seit Corona hätten laut einer Psychologin immer mehr genug von Dating-Apps.

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    Seit über zehn Jahren mischt die Dating-App Tinder bei der Partnersuche mit.
    Seit über zehn Jahren mischt die Dating-App Tinder bei der Partnersuche mit.
    20min/Michael Scherrer

    Online-Dating kann schon mal eine Wundertüte sein. Und nicht immer ist das, was einen erwartet, erfreulich. Es gibt aber ein paar Funktionen auf Tinder, die nicht jeder kennt, die dich aber schützen oder zumindest Enttäuschung und unliebsame Begegnungen vermeiden helfen.

    Johanna Degen ist Sozialpsychologin und Forscherin an der Universität Flensburg und betreut ein Forschungsprojekt zum mobilen Online-Dating.

    Frau Degen, Sie sagen: Alle finden Tinder blöd. Warum?

    Zuerst fanden es alle interessant. Online-Dating war fremd und mit einem Negativ-Stigma behaftet. Manche erzählten, sie hätten sich im realen Leben getroffen, weil sie sich schämten. Mit Tinder wurde Online-Dating normal, heute ist es nicht mehr peinlich. Dafür sind alle Tinder-müde. Wir haben uns sattgetindert.

    Wann trat die Sättigung ein?

    In den letzten zweieinhalb Jahren, während Corona. Heute schimpfen die Leute über die Tinder-App. Sie sagen, Tinder-Dating funktioniere nicht, man finde niemanden und es mache auch keinen Spaß. Zu Beginn wurde Tinder als witzig und spielerisch angesehen. Die negative Einschätzung heute entspricht der Realität aber nicht: Die Hälfte der Beziehungen entstehen durch Online-Dating, davon die Mehrheit auf Tinder.

    Was ist denn das Problem?

    Man fühlt sich als Produkt und erlebt sich als austauschbar. Das verbreitete "Ghosting", bei Desinteresse wortlos abtauchen, wird als verletzend und abwertend empfunden. Deshalb fangen die Leute an, Tinder und die Tinder-Teilnehmenden abzuwerten, um das eigene Selbstwertgefühl zu stärken. Deshalb wird die Tinder-App heute stark kritisiert. Frauen auf Tinder gelten als langweilig oder umtriebig, Männer als Player oder verzweifelt.

    Die Austauschbarkeit ist doch ein Fakt beim Online-Dating?

    Ja, aber man empfindet sie stärker, wenn die Alternativen so zahlreich und präsent sind. Viele Tinder-Dater haben ein Date nach dem anderen, manche zwei an einem Tag. Auf dem Heimweg im Bus schreiben sie schon dem nächsten. Das verhindert Romantik. Man akzeptiert das, empfindet es aber nicht als angenehm. Man wünscht sich, dass der andere nach dem Date noch im Bett liegt und nochmals und nochmals schreibt. Stattdessen swipt er weiter.

    Warum sind die Leute trotzdem auf Tinder?

    Es ist wie eine Sucht. Auch wenn sie verletzt und frustriert sind, tindern sie weiter, wie um die Verletzung mit dem Gleichen zu kompensieren.

    Wie hat Tinder unser Kennenlern-Verhalten verändert?

    Heute wird akzeptiert, dass sich das Gegenüber mit mehreren Leuten gleichzeitig trifft. Auch ist der ganze Prozess schneller geworden, man trifft sich sofort, der Sex findet früher statt. Für viele ist das übrigens nicht angenehm, weil es zu früh ist. Neu sind auch die schiere Menge an Bekanntschaften und die Optimierungslogik. Ein kluger Mann sagt mir: "98 Prozent stimmen, und ich weiß, dass das doof ist, aber es reicht mir nicht, es könnten auch 100 Prozent sein." Und: Man investiert weniger Zeit, Geld, Emotionen in Dates. Man duscht zum Beispiel nicht mehr vor einem Date, sondern macht das Date nebenher, auf dem Heimweg zum Beispiel.

    Man hasst Tinder und tindert weiter. Gibt es einen Ausweg?

    Menschen wünschen sich soziale Räume zurück. Sie bedauern, dass man im Café niemanden mehr ansprechen kann. Gleichzeitig sehe ich keine Tendenz, dass das Rad zurückgedreht würde, und auch keinen Willen zur Selbstreflexion. Es wird vielleicht eine neue App geben. Man sucht die Lösung auf der technischen Ebene.

    Wenn man jemanden im Café anspricht, outet man sich als aus der Zeit gefallen. Kommt das schlecht an?

    Ich bin sicher, dass es positiv bewertet wird. Aber vielleicht nicht sofort, weil es ungewöhnlich geworden ist. Das Gegenüber könnte sehr überrascht reagieren, was wiederum verunsichert.

    Ist es ausgeschlossen, dass das Daten in den öffentlichen Raum zurück verlagert wird?

    Nein. Aber derzeit unwahrscheinlich, weil ich keine Anzeichen dafür im Verhalten und Denken der Online-Dater sehe. Ich sehe in den Daten, dass die Menschen den öffentlichen Raum als immer verengter wahrnehmen. Das hat mit dem politischen Diskurs zu tun. Zwischen Mann und Frau hat man das Gefühl, dass man es nur falsch machen kann. Männer haben es schwer, männlich zu sein und Frauen anzusprechen. Frauen wünschen sich, angesprochen zu werden, gleichzeitig wollen sie nicht, dass ihre Grenzen überschritten werden.

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