Nehammer im "Heute"-Talk

"Herr Kanzler, schütteln Sie Gewessler noch die Hand?"

ÖVP-Kanzler Nehammer sagt im "Heute"-Interview, was den EU-Alleingang von Gewessler für ihn so bitter macht und welche Konsequenzen jetzt drohen.

"Herr Kanzler, schütteln Sie Gewessler noch die Hand?"
ÖVP-Kanzler Karl Nehammer: "Verfassungsbruch durch Ministerin Gewessler wird rechtliche Konsequenzen haben."
Sabine Hertel

Der Alleingang der grünen Klimaministerin Leonore Gewessler, die am Montag gegen die Linie von Koalitionspartner ÖVP für das EU-Renaturierungsgesetz gestimmt hat, sorgt für Eiszeit in der Regierung. Die ÖVP wirft Gewessler Verfassungsbruch vor, zeigt die Grüne wegen Amtsmissbrauchs an. Im "Heute"-Interview erklärt Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), warum er die Koalition trotzdem nicht aufkündigt, wie die Regierung in den nächsten Monaten weiterarbeiten soll und welche Konsequenzen Gewessler zu erwarten hat.

"Heute": Herr Bundeskanzler, wann haben Sie erfahren, dass Ministerin Gewessler dem Renaturierungsgesetz zustimmen wird?

Karl Nehammer: Gerüchte gab es schon viele, aber man rechnet nicht damit, dass eine Ministerin, die auf die Verfassung angelobt ist, die Verfassung bricht. Ich habe noch am Sonntag mit dem Bundespräsidenten und Werner Kogler gesprochen und sie in Kenntnis gesetzt, was es bedeutet, wenn es tatsächlich passiert. Und dann wie alle anderen auch, als der Beschluss am Montag tatsächlich gefasst wurde.

Worum ging es in Ihrem Telefonat mit dem Bundespräsidenten?

Das Gespräch war vertraulich. Aber ich habe darauf hingewiesen, dass ein Ja zur Verordnung einen Rechts- und Verfassungsbruch darstellt.

Was bedeutet Gewesslers "Ja" für Sie?

Für mich ist das wirklich Bittere dabei, dass eine Ministerin für Aktionismus und billigen Populismus Verfassungsrecht gebrochen hat. Beides ist aus meiner Sicht ein großer Fehler. Eine Ministerin hat auf offener Bühne gegen das Recht verstoßen. Sie hat das Band der Verfassung durchschnitten. Offenbar sehr bewusst, am Samstag ist der Grünen-Bundeskongress. Es ist eine große Inszenierung. Und Ministerin Gewessler wird in einzelnen Gruppen für dieses Tun als Heldin gefeiert. Aber es ist ein teurer Preis, den wir alle dafür bezahlen.

Eine Ministerin hat auf offener Bühne gegen das Recht verstoßen.

Warum handelt es sich um einen Verfassungsbruch?

Es gibt einen einheitlichen Beschluss der Landeshauptleutekonferenz, ein Bundesministeriengesetz, meinen Brief an die EU-Kommission, in dem ich klar festhalte, dass ihre Vorgehensweise nicht gedeckt ist. Der Verfassungsdienst hat festgestellt, dass es ein Verfassungsbruch ist, höchst renommierte Professoren haben ihm recht gegeben.

Sie gehen mit einer Nichtigkeitsbeschwerde beim EuGH gegen das Gesetz vor?

Es geht darum, dass der Schaden abgewendet wird für Österreich. Wenn wir die Bauern noch zusätzlich mit Regulierung belasten, gefährden wir unsere kleinstrukturierte Landwirtschaft, unsere Lebensmittelversorgung und stabile Lebensmittelpreise. Durch die Verordnung droht sogar, dass sich die Lebensmittelpreise wieder verteuern.

Warum halten Sie an der türkis-grünen Koalition fest?

Es ist meine Aufgabe als Bundeskanzler, Chaos und eine Staatskrise zu verhindern. Die Auflösung der Koalition und ein freies Spiel der Kräfte im Parlament bedeutet Milliarden an Wahlzuckerln, für die die Österreicherinnen und Österreich zahlen müssten. Wir hatten das schon öfter. Seit 2008 kostet das die Österreicherinnen und Österreicher mehr als 30 Milliarden Euro.

Das ganze Interview mit Karl Nehammer im Video

Wie ist Ihr Verhältnis zu Werner Kogler?

Das ist immer sehr korrekt. Ich habe klar zum Ausdruck gebracht, dass ich sein Tolerieren des Verhaltens der Umweltministerin für einen großen Fehler halte. Sie hat hier versucht, ein neues Präjudiz zu schaffen, nämlich, dass Rechtsbruch möglich ist und eine sehr bedeutende Wirkung zum Nachteil in Österreich entfaltet.

Ist eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Grünen für Sie noch möglich?

Das werden die Grünen selbst darlegen müssen. Von meiner Seite ist klar: Das Versprechen, das Werner Kogler und ich gegeben haben, dass wir diese Regierung ordentlich in die Wahl führen werden, ohne dass Chaos ausbricht, wird eingehalten.

Karl Nehammer im Interview mit <em>"Heute"</em>-Redakteuren Angela Sellner und Robert Zwickelsdorfer
Karl Nehammer im Interview mit "Heute"-Redakteuren Angela Sellner und Robert Zwickelsdorfer
Sabine Hertel

Sind Sie persönlich enttäuscht über die Grünen?

Ich bin generell besorgt, wenn plötzlich in der Politik gerade von denen neue Maßstäbe gesetzt werden, die besonders für sich den moralischen Zeigefinger beanspruchen und uns ausrichten, was gut und was falsch ist im Leben. Und wenn ausgerechnet die einen Rechtsbruch begehen.

Wann gibt es eine Entscheidung über einen österreichischen EU-Kommissar?

Werner Kogler hat den Sideletter zum Koalitionsvertrag unterschrieben, in dem festgehalten wird, dass die ÖVP das Vorschlagsrecht für den Kommissar hat. Ich gehe davon aus, dass seine Unterschrift und sein Wort etwas wert sind.

Geben Sie Leonore Gewessler noch die Hand?
Das eine ist ein Fehlverhalten, das andere, dass man sich menschlich ordentlich begegnet – und dazu gehört natürlich auch das Handgeben.

Die FPÖ hat einen Misstrauensantrag gegen Gewessler angekündigt...
Es ist nicht überraschend, dass die Opposition ihre Chance wittert, den Koalitionsbruch zu manifestieren. Ich habe den Österreicherinnen und Österreichern aber versprochen, dass es kein Chaos geben wird. Das heißt, die Abstimmung wird nicht freigegeben.

Hat die ÖVP die Amtsmissbrauchs-Anzeige gegen Gewessler schon eingebracht?

Es wird mehrere Anzeigen geben. Es ist ein Ausnahmefall, muss juristisch genau formuliert sein und wird jetzt von verschiedenen Institutionen vorbereitet. Es ist offensichtlich, dass die Ministerin gewusst hat, dass der Verfassungsdienst eine andere Rechtsauslegung hat.

Sie haben vor der Gesetzes-Abstimmung einen Brief an die EU geschrieben und Gewessler quasi das Stimmrecht für Österreich entzogen. Warum?

Der Brief war eine Maßnahme, die ich setzen musste, um Schaden abzuwenden. Es war im Hinblick auf die Nichtigkeitsklage beim EuGH wichtig, unsere Position klarzumachen.

Wäre das öfter vorgekommen, wäre es schwierig geworden, diese Legislaturperiode durchzuhalten

Welche Hausaufgaben will die Regierung vor der Wahl noch erledigen?

Wir haben noch ganz viele Gesetze im Parlament liegen. Wichtig ist, dass wir noch beschließen, wie das letzte Drittel der Kalten Progression den Steuerzahlern zugutekommt. Auch das Sicherheitspaket wollen wir noch beschließen. Die Reform des ORF-Gesetzes ist vor der Wahl nicht auf meiner Prioritätenliste. Beim Klimaschutzgesetz laufen die Verhandlungen.

Der Ministerrat diese Woche wurde abgesagt. Kann sich die Regierung nicht mehr sehen?

Ich würde da nicht zu viel hineininterpretieren. Da die letzte Sitzung so voll war, hat es sich angeboten, es diese Woche per Umlaufbeschlüssen zu erledigen. Umlaufbeschlüsse machen wir laufend.

Waren Warnungen vor einer Koalition mit den Grünen im Nachhinein berechtigt?

Es tut mir leid, dass durch das Verhalten einer Ministerin jetzt ein Schatten über den Leistungen liegt, die erreicht wurden – wie die Abschaffung der Kalten Progression, die Ökosoziale Steuerreform, die Pflegemilliarde. Wenn Aktionismus und Populismus dazu führen, dass man sich über das Recht stellt – wäre das öfter vorgekommen, wäre es schwierig geworden, diese Legislaturperiode durchzuhalten.

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