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"Harmony: The Fall of Reverie" im Test – göttlich gut
Wenn Don't Nod draufsteht, weiß man, dass Sensationelles drinsteckt, auch in "Harmony: The Fall of Reverie". Es ist aber mehr Erlebnis als Spiel.
Keine kniffligen Plattformer-Passagen, keine actiongeladenen Kämpfe, kein kompliziertes Inventar-Management und keine unübersichtlichen Charakter-Systeme. Spiele aus dem Hause Don't Nod nehmen ihre Zocker gerne an der Hand und präsentieren dafür emotionale Geschichten, in denen die Spieler selbst die Entwicklung bestimmen. So war es bei der hochgelobten "Life is Strange"-Serie und beim zuletzt erschienenen "Remember Me" – und so ist es nun auch beim neuen Titel "Harmony: The Fall of Reverie", der für PlayStation 5, Xbox Series, Nintendo Switch und PC erschienen ist.
Das neue Spiel macht aber einiges anders als die Vorgänger. Noch ausführlichere Dialoge, zum großen Teil auch in Form von Text-Einblendungen, fallen ebenso auf wie eine Anime-artige Grafik. Bei der Geschichte darf man sich aber wieder auf ganz große Gefühle einstellen, auch wenn der Einstieg eher märchenhaft ausfällt. So erleben wir die Geschichte der jungen Polly, die nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Ausland in ihr Zuhause zurückkehrt, denn ihre Mutter wird vermisst. Doch das ist nur der Beginn der Probleme, denn ein Megakonzern will die Kontrolle über die Gemeinde und ihre Bevölkerung übernehmen.
Bekannte Emotionen mit einem ganz neuen Twist
So weit, so bekannt, doch "Harmony: The Fall of Reverie" bietet nicht nur die erwartbare emotionale Kost in einer realistischen Umgebung, sondern kommt mit einem ganz neuen Twist daher. So entdeckt Polly, dass sie über hellseherische Fähigkeiten verfügt und mit diesen in das Fantasy-Reich Reverie eintauchen kann – wo sie zu Harmonie wird, einer Göttin, die dort mit ihrer Macht die Kräfte des Universums im Gleichgewicht halten soll. Natürlich gehen die Details der Story noch viel tiefer und die Wendungen überraschen zum Teil – mehr wollen wir aus dem fast ausschließlich Story-getriebenen Game nicht verraten.
Wer aber nun Rollenspiel-artige Kämpfe in der Fantasy-Welt und Action-geladene Konfrontationen in der realen Welt erwartet, liegt falsch. Wie schon die vorangegangenen Titel des Studios beschränkt sich auch "Harmony: The Fall of Revierie" fast ausschließlich darauf, die Geschehnisse als Zuschauer mitzuverfolgen, tiefgehende Gespräche mit den vielen verschiedenen Figuren zu führen und an vorgegebenen Stellen mit Entscheidungen das Schicksal der Charaktere und der Welten zu bestimmen. All das mit einer sehr guten Vertonung von tollen Sprechern, aber auch sehr vielen und langen Text-Passagen.
Bewundernswert feinfühlig bei sehr ernsten Themen
Apropos Texte: Zwar wurden viele der Figuren klasse vertont, Pollys eigene Gedankenwelt bleibt aber stumm und muss in Textform abgelesen werden. Eine eigene Vertonung der Gedanken der Hauptfigur hätte da doch einiges hergemacht. Eine Besonderheit ist es dieses Mal auch, dass viele der in der Spielwelt anzutreffenden Wesen gewisse Faktoren wie Macht, Ruhm, Chaos oder Wahrheit repräsentieren und uns mit ihren jeweiligen Geschichten verzaubern, aber auch beeinflussen können. Geht es dann zu den zu treffenden Entscheidungen, sammeln wir pro Eingriff in die Entwicklung Kristalle ein.
Mit diesen Kristallen dürfen Spieler später dann das Ende der Geschichte bestimmen – wobei wir dieses Mal etwas mehr als sonst die groben Wendungen vorhersehen dürfen und die Entscheidungen nicht wie sonst üblich fast blind treffen müssen. Während man sich immer wieder dabei ertappt, dass man sich träumerisch in der Fantasy-Welt verliert, hat das Game aber auch ernstere Themen zu bieten. Von zerrütteten Familienverhältnissen über abgewiesene Liebe bis hin zu Gewalt kommen als Themen vor – immer aber bewundernswert feinfühlig angesprochen und nie plakativ als Aufreger-Element verwendet.
"Harmony: The Fall of Reverie" im Test – göttlich gut
Spannend ist auch, wie gut es gelingt, Probleme des Alltags mit direkten, teils katastrophalen Auswirkungen in der Fantasy-Welt zu verknüpfen. Und wie Polly stellt sich dann irgendwann auch den Spielern die Frage, worauf es im Leben eigentlich ankommt und was der Kitt ist, der unsere Gesellschaft trotz aller Widrigkeiten zusammenhält. Einmal mehr schaffen es die Entwickler auch, dass man sich in der Spielwelt trotz des Anime-Looks absolut heimisch fühlt – und umso bitterer muss man auch mit den Konsequenzen leben, die unsere Entscheidungen mit sich bringen, sei es bei Charakteren oder der Spielwelt.
Bravo an die Entwickler, dass sie trotz neuem Look und einer fantasievolleren Darstellung wieder ein so emotionales Abenteuer abliefern können. Beim Gameplay allerdings bleibt man weiter sehr beschränkt und verfolgt die Geschichte mehr als interaktiver Film, als dass man selbst viel steuern könnte. Dafür darf man nun aber auch etwas mehr in die Zukunft blicken und einen Ausblick darauf erhaschen, was sein könnte, wenn man bei den Entscheidungen eine andere Wahl trifft. Wer sich gerne zurücklehnt und eine packende Geschichte erleben will, der bekommt hier ein göttlich gutes Game serviert.