Ihr drohen 24 Jahre Haft

Grüne mit Fußfessel will ins EU-Parlament

Sie saß 15 Monate in Ungarn in U-Haft, weil sie Neonazis verprügelt haben soll. Jetzt kandidiert Ilaria Salis (39) fürs EU-Parlament.

Nick Wolfinger
Grüne mit Fußfessel will ins EU-Parlament
Ilaria Salis bei ihrer Anhörung am Freitag mit elektronischer Fußfessel
ATTILA KISBENEDEK / AFP / picturedesk.com

Die Lehrerin aus Monza in der Lombardei bestreitet die Vorwürfe, die auf den 11. Februar 2023 zurückgehen. An diesem Tag soll sie als Teil eines vermummten Antifa-Kommandos einer Gruppe Neonazis, die an einem SS-Gedenken teilgenommen hatten, aufgelauert und sie unter anderem mit Baseball-Schlägern verprügelt haben. Sie und drei andere mutmaßliche Beteiligte der Aktion wurden zwei Tage später von der ungarischen Polizei festgenommen. Seither saß sie unter erniedrigenden Bedingungen (mit Ratten und Bettwanzen, aber ohne Klopapier und Seife, wie sie in einem im italienischen Fernsehen veröffentlichten Brief schilderte) in U-Haft.

"Tag der Ehre" verherrlicht Nazi-Kriegsverbrechen

Seit 1997 treffen sich jedes Jahr am 11. Februar Neonazis in der ungarischen Hauptstadt Budapest, um der Waffen-SS und ihren ungarischen Kollaborateuren zu gedenken. Zwar war die Veranstaltung auch 2023 verboten, dennoch versammelten sich rund 2.000 Faschisten in Budapest zu ihrem Gedenkmarsch. Aber auch etwa 150 Gegendemonstranten waren in der Stadt und versuchten, diverse Stationen des Gedenkmarsches zu blockieren.

Seit ihrer Festnahme wurde Salis zwei Mal in Ketten und Fußfesseln dem Gericht vorgeführt, was für Empörung in italienischen Medien sorgte. Letzte Woche kam sie nun unter Auflagen frei. Bei einer Anhörung am Freitag konnte sie keiner der befragten Zeugen als Täterin identifizieren – die Angreifer waren schließlich vermummt. Auch schlecht aufgelöste Bilder einer Überwachungskamera geben keine Klarheit.

Sie hofft auf Immunität als EU-Abgeordnete

Ein Bündnis der italienischen Grünen und Linken haben sie inzwischen als Spitzenkandidatin der Region Nordwestitalien für die Europawahl aufgestellt. Salis hofft nun, bei ihrem nächsten Verhandlungstermin im September bereits über parlamentarische Immunität zu verfügen. die Gruppierung liegt zur Zeit in Umfragen über der Vier-Prozent-Hürde. Ansonsten drohen ihr im Falle einer Verurteilung 24 Jahre Haft in Ungarn wegen "Bildung einer kriminellen Organisation", nachdem sie eine Vereinbarung mit 11 Jahren Haft ablehnte, wenn sie die Vorwürfe gestanden hätte.

Ein Mural für die Freilassung von Salis in der Nähe der ungarischen Botschaft in Rom
Ein Mural für die Freilassung von Salis in der Nähe der ungarischen Botschaft in Rom
ANDREA BERNARDI / AFP / picturedesk.com

Diplomatische Verstimmung zwischen Rom und Budapest

Nach Hinterlegung einer Kaution von 16 Millionen Forint (41.000 Euro) und der Auflage, eine elektronische Fußfessel im Budapester Hausarrest zu tragen, konnte Salis das Gefängnis nun verlassen. Der Fall führte zu schweren Verstimmungen zwischen Budapest und Rom. Zwar sind Giorgia Meloni und Victor Orbán als Rechtspopulisten einander wohlgesonnen, doch die "Bilder der Schande" einer in Ketten und mit Fußfesseln vorgeführten Italienerin lösten in ihrer Heimat ein großes mediales Echo und Druck auf Meloni aus, sich für Salis einzusetzen. Salis Vater Roberto warf Meloni öffentlich vor, sich nicht für seine Tochter einzusetzen.

Roberto Salis bei einer Demonstration für die Freilassung seiner Tochter am 10. Mai 2024
Roberto Salis bei einer Demonstration für die Freilassung seiner Tochter am 10. Mai 2024
Alberto Lo Bianco / PA / picturedesk.com

Hintergrund: Die Befreiung Budapests durch die Rote Armee 1945

In der Nacht vom 11. auf den 12. Februar 1945 versuchten in Budapest rund 17.000 Kämpfer von eingeschlossenen Verbänden der Wehrmacht, Waffen-SS und ungarischen Kollaborateuren in einem Selbstmordkommando aus dem Kessel der Roten Armee auszubrechen. Nur etwa 1.000 von ihnen gelang tatsächlich die Flucht. Die Schlacht um Budapest kostete rund 50.000 Soldaten und 38.000 Zivilisten das Leben, große Teile der Stadt wurden zerstört. Ab Mai 1944 waren innerhalb von 56 Tagen rund 424.000 Juden aus Budapest – darunter auch viele Österreicher, die zuvor aus Wien geflüchtet waren – nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Insgesamt wurden 565.000 ungarische Juden von den Nazis ermordet.

Deportation ungarischer Juden aus Budapest im Sommer 1944
Deportation ungarischer Juden aus Budapest im Sommer 1944
akg-images / picturedesk.com

Der für Ewiggestrige "heldenhafte" Ausbruchsversuch aus dem Budapester Kessel wird von Neonazis seit 1997 zum Anlass genommen, Gesinnungsgenossen aus ganz Europa in die Stadt zum Gedenken einzuladen. Regelmäßig wird aber auch von Antifaschisten zu Gegenprotesten aufgerufen, was immer wieder zu Konfrontationen mit Verletzten führt.

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    Sabine Hertel
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