Ukraine

Eskalation – Putin dreht jetzt EU-Staaten das Gas ab

Russland stoppt Gas-Lieferungen an EU-Staaten, erst trifft es Polen, dann auch Bulgarien. Gleichzeitig wird vom Dritten Weltkrieg gesprochen.

Teilen
Wladimir Putin will seine neue Höllenwaffe "Satan 2" spätestens im Herbst 2022 einsatzbereit haben.
Wladimir Putin will seine neue Höllenwaffe "Satan 2" spätestens im Herbst 2022 einsatzbereit haben.
picturedesk.com; REUTERS – "Heute"-Montage

Weil Polen sich weigert, russische Gaslieferungen in Rubel zu bezahlen, liefert Russland kein Gas mehr in das Nachbarland der Ukraine. Dies vermeldet eines der größten polnischen Nachrichtenportale. Zuvor stellte Russland ein Ultimatum an Polen, welches aber abgelaufen ist. Die polnische Regierung und Gazprom waren nicht umgehend für eine Stellungnahme zu erreichen, wie "Focus" schreibt. 55 Prozent der polnischen Gasimporte kommen aus Russland, der polnische Gasnetzbetreiber sagt aber, dass er auf mögliche Kürzungen vorbereitet sei.

Der russische Staatskonzern Gazprom stoppt ab Mittwoch außerdem alle Gaslieferungen nach Bulgarien. Das bulgarische Gasunternehmen Bulgargas sei am Dienstag darüber informiert worden, dass Gazprom die Erdgaslieferungen ab dem 27. April aussetzen werde, teilte das Wirtschaftsministerium in Sofia mit. Kurz zuvor hatte bereits Polen den von Gazprom verkündeten Stopp russischer Gaslieferungen über die Jamal-Pipeline gemeldet. Nun droht die Gefahr, dass immer mehr EU-Staaten einen Gas-Stopp aufgezwungen bekommen.

"An den Toren von Chisinau"

Ein Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski befürchtet indes, dass es Russland auch auf die Republik Moldau abgesehen haben könnte. "Schlechte Nachrichten: wenn die Ukraine morgen fällt, werden russische Truppen an den Toren von Chisinau sein", twitterte Mychajlo Podoljak am Dienstag mit Blick auf Moldaus Hauptstadt. "Gute Nachrichten: Die Ukraine wird definitiv die strategische Sicherheit der Region sicherstellen", schrieb er weiter. "Aber wir müssen als ein Team arbeiten."

Russlands Außenminister Sergei Lawrow sprach indes am Dienstagabend von der realen Gefahr eines dritten Weltkrieges und warnte, die Gefahr eines atomaren Konflikts "sollte nicht unterschätzt werden". Der Spitzendiplomat machte deutlich, dass Russland die Waffenlieferungen der Nato an die Ukraine als legitime Angriffsziele betrachte. "Wenn die Nato über einen Stellvertreter de facto in einen Krieg mit Russland tritt und diesen Stellvertreter bewaffnet, dann tut man im Krieg, was man im Krieg tun muss", so Lawrow.

Nun doch "Krieg" statt "Spezialoperation"

Schon, dass er von "Krieg" sprach, ließ aufhorchen. Offiziell heißt der Angriff auf die Ukraine ja "militärische Spezialoperation zum Schutz der friedlichen Bürger im Donbass". Möglicherweise wurde mit dem Auftritt im Staats-TV das eingeleitet, was Osteuropa-Wissenschaftler André Härtel im Interview mit 20 Minuten bereits Anfang April vorausgesagt hatte. Nämlich, dass Russland gegenüber der eigenen Bevölkerung bald von einem "Krieg" in der Ukraine und nicht mehr von einer "Spezialoperation" sprechen werde.

"Putin wird behaupten, dass der Westen sich eingemischt habe und man die Spezialoperationdeswegen zum Krieg ausweiten müsse – nicht zum Krieg gegen den Westen, aber zu einem taktischen Krieg gegen den Westen, der in und mit der Ukraine geführt wird", so Härtel damals. Mauro Mantovani, Forschungschef der Militärakademie an der ETH Zürich, gibt Lawrow in einem recht: "Man kann den Ukraine-Krieg durchaus als Stellvertreterkrieg zwischen Russland und der Nato bezeichnen", sagt er zu 20 Minuten.

"Was man im Krieg tun muss"

Der Folgesatz von Lawrow – "man tut im Krieg, was man im Krieg tun muss" – ist für ihn eine verhüllte Drohung an die Adresse der Nato. "Letztlich sind solche Drohungen als Ausdruck zunehmender Frustration über mangelnde operative Fortschritte und große Verluste zu werten, die angesichts der anschwellenden Waffenlieferungen aus dem Westen, namentlich von schweren Waffen und panzerbrechender Munition, für die russische Seite noch größer zu werden drohen", analysiert Mantovani.

1/4
Gehe zur Galerie
    Die ballistische Interkontinentalrakete Sarmat wird während eines Tests auf dem Kosmodrom Plesetsk gestartet
    Die ballistische Interkontinentalrakete Sarmat wird während eines Tests auf dem Kosmodrom Plesetsk gestartet
    REUTERS

    Laufen Nato- und andere Länder mit ihren Waffenlieferungen an die Ukraine Gefahr, den russischen Bären so stark zu reizen, dass ein "dritter Weltkrieg" eben doch nicht ausgeschlossen werden kann? «Das wird die Zukunft zeigen», sagt der Militärexperte. "Solange noch eine gewisse Rationalität herrscht im Kreml, wird man Drohungen gegen die Nato nicht wahr machen." Das Gleiche gelte umgekehrt auch für die Nato, die nicht mit eigenen Truppen in der Ukraine eingreifen werde.

    "Dürfen uns nicht einschüchtern lassen"

    In Europa las man aus Sergei Lawrows Aussagen im Staatsfernsehen vor allem eines: Russland will die Welt in Angst versetzen, wird sich aber zunehmend bewusst, dass diese Drohungen hohl klingen. "Wenn Russland den dritten Weltkrieg androht, dann ist das ein klares Zeichen dafür, dass die Ukraine Erfolg hat", so etwa der lettische Außenminister Edgars Rinkevics. Und der litauische Staatspräsident Gitanas Nauseda betonte: "Wir dürfen uns von dieser bereits alltäglich gewordenen Rhetorik nicht einschüchtern lassen."

    Auch Großbritannien – es lieferte der Ukraine, wie die baltischen Staaten, schon früh und sehr aktiv Waffen – scheint die vom russischen Außenminister heraufbeschworene Gefahr einer Eskalation des Krieges wenig zu jucken. Immerhin unterstütze der Westen die Ukraine nur maßvoll, um eine direkte Konfrontation mit Russland zu vermeiden, sagte der britische Verteidigungsminister James Heappey.