Brisante Aussage
"Es gibt keinen Beweis dafür, dass Prigoschin tot ist"
Der ukrainische Geheimdienstchef Kyrylo Budanow ist sich nicht sicher, ob Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin wirklich tot ist.
Kyrylo Budanow ist Chef der Hauptdirektion für Nachrichtendienste des Verteidigungsministeriums der Ukraine. Seit Kriegsausbruch ist der 38-Jährige ein gefragter Gesprächspartner. In einem Interview mit der "Financial Times" (FT) schätzt er die Lage an der Front ein.
Budanow über die ukrainische Gegenoffensive
Budanow ist sich bewusst, dass 2024 ein schwieriges Jahr für die Ukraine werden wird, die nun seit mehr als einem Jahrzehnt gegen Russland kämpft, seit die Soldaten des Kremls ohne Vorwarnung auf der Krim und in der ostukrainischen Region Donbas aufgetaucht sind.
"Zu sagen, dass alles in Ordnung ist, ist falsch", sagt Budanow auf die Frage, ob die viel gepriesene ukrainische Gegenoffensive im vergangenen Jahr ihre Ziele nicht erreicht habe. "Zu sagen, dass es eine Katastrophe ist, ist ebenfalls nicht wahr." Die Ukraine werde es immer noch schaffen, Putin in Schach zu halten, prognostiziert er. Man habe bereits bewiesen, dass "die ganze Legende von Russlands Macht eine Seifenblase ist". Als ehemaliger Soldat der Spezialeinheiten, der 2014 im Donbass kämpfte, hat Budanow selbst an verdeckten Missionen teilgenommen, unter anderem auf der besetzten Halbinsel Krim.
Über den Gesundheitszustand seiner Frau
Budanow geniesst laut FT unter den Ukrainern fast schon Kultstatus. Wenn in Russland oder in den von Russland kontrollierten Gebieten militärisches Gerät explodiert, teilen sie Memes mit seinem Konterfei in den sozialen Medien. Doch das hat seinen Preis. Er wurde Ziel von zahlreichen Attentatsversuchen. 2019 explodierte zum Beispiel eine unter seinem Fahrzeug platzierte Bombe vorzeitig. Budanow blieb unverletzt.
Seine Frau Marianna Budanowa hatte weniger Glück, als sie im November vergiftet wurde. "Sie ist in Behandlung und es geht ihr jetzt besser", sagt Budanow. Er lehnte es ab, näher darauf einzugehen, ob er oder seine Frau das beabsichtigte Ziel der Vergiftung waren.
Über den Zustand der russischen Armee
In Bezug auf die Rüstungsproduktion sagte Budanow, dass Russland mehr Waffen und Munition ausgebe, als es herstellen könne, und gleichzeitig Probleme mit der Qualitätskontrolle habe. "Genau das erklärt Russlands Suche nach Waffen in anderen Ländern", sagte er. Nordkorea sei derzeit der grösste Waffenlieferant Russlands, so Budanow: "Sie haben eine erhebliche Menge an Artilleriemunition geliefert. Dadurch konnte Russland ein wenig aufatmen."
Eine weitere Herausforderung für Russland sei das Personal. Moskau verliere mehr Truppen, als es rekrutieren könne. Sein Adjutant, Vadim Skibitsi, sagte diese Woche, dass täglich etwa 1000 bis 1100 Personen der russischen Armee beitreten, sei es durch Mobilisierung oder freiwillig.
Über Prigoschin und die Wagner-Gruppe
"Wo die russische Mobilisierung nicht ausreicht, helfen Söldnergruppen, die Reihen aufzufüllen", sagt Budanow und erwähnt die Wagner-Gruppe, die von dem verstorbenen russischen Gastronomen, der zum Kriegsherrn wurde, Jewgeni Prigoschin, gegründet wurde.
Dies bringt Budanow zu Behauptungen, die fast unmöglich zu überprüfen sind. "Wagner existiert", sagt er und weist Berichte zurück, wonach das Unternehmen demontiert worden sei. "Und was Prigoschin betrifft, so würde ich nicht so schnell Schlussfolgerungen ziehen", sagt er in Bezug auf den angeblichen Tod des Kriegsherrn bei einem Flugzeugabsturz im vergangenen Jahr. Der Westen vermutet ein Attentat, das von Putin angeordnet wurde. Der Kreml bestritt eine Beteiligung und erklärte, die DNA beweise den Tod Prigoschins. Seine Leiche wurde jedoch nie öffentlich gesehen. "Ich sage nicht, dass er nicht tot ist oder dass er tot ist", so Budanow. "Ich sage nur, dass es keinen einzigen Beweis dafür gibt, dass er tot ist."
Über Mobilisierungen der ukrainischen Armee
Budanow hält sich im FT-Interview mit einer Bewertung der aktuellen militärischen Operationen der Ukraine zurück und verweist auf den Generalstab der Armee. Er warnt jedoch: "Es ist nicht einmal denkbar, dass wir auf eine Mobilisierung verzichten können" – und wiederholte damit die Forderung der obersten Führung nach mehr Rekruten. "Der Mangel an Personal ist spürbar", sagte er.
Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski sagte, seine Armeechefs hätten ihn gebeten, etwa 400'000 bis 500'000 neue Soldaten zu mobilisieren, um die Gefallenen oder Verwundeten zu ersetzen und denjenigen, die an den schwersten Kämpfen beteiligt waren, eine Pause zu gönnen.