Bauern in der Ostukraine
Ernten bei Raketen-Alarm: "Ich bete und mache weiter"
Die Bauern im Donbass (Ostukraine) arbeiten trotz ständiger Bedrohung weiter auf ihren Feldern. Schon zweimal wurden sie von Russland überfallen.
Einer Legende nach hatte Gott alles Land auf der Erde verteilt. Eine Ukrainerin kam zu ihm und fragte: "Du hast alles verteilt, aber was bleibt noch für mich?" Gott meinte: "Ich habe dieses Stück Land für mich behalten, denn es ist das schönste und fruchtbarste, aber ich gebe es dir." So sei die Ukraine entstanden. Und die ukrainische Flagge in Gelb und Blau: Das Gelb steht für Weizen, Sonnenblumen und Getreide, das Blau für den Himmel.
Die Bauern aus Novomykolaivka im Oblast Donezk im Osten der Ukraine erzählten diese Geschichte gegenüber dem "Heute"-Partnermedium 20 Minuten. Stolz auf ihren Berufsstand, sehen sie sich als ein Rückgrat der Nation, als Versorger des Volkes. Daran ändert auch der Krieg nichts. In Novomykolaivka lebt man schon lange mit ihm. Denn in der etwa 15 Kilometer entfernten Stadt Slowjansk hatte er 2014 begonnen und ist seither nie wirklich verschwunden.
Zwei Mal hat Russland sie schon unterworfen
So erlebten die Bauern hier zweimal russische Besatzung, 2014 und 2022. Es dauerte bis letztes Jahr, bis der staatliche Notdienst die riesigen Felder um Novomykolaivka entmint hatte und wieder nutzbar machte. In 20 Hektaren Land um die Siedlung stecken aber noch immer Anti-Panzer-Minen. Und der Krieg rückt schon wieder näher.
Moskaus Truppen haben das 100 Kilometer entfernte Wuhledar erobert, auch Pokrowsk etwa 70 Kilometer weiter südlich droht zu fallen. "Ja, wir haben große Angst, dass sie zum dritten Mal zu uns kommen", sagt Bauer Wjatscheslaw (53). Der Gedanke daran lässt ihn nervös die großen, schwieligen Hände kneten.
"Dieses Mal werden wir evakuieren", sagt sein Kollege Wladimir (28). "Es macht keinen Sinn zu bleiben, wenn man weiß, was da kommt." Er legt ein zwei Jahre altes Foto von seinem zerbombten Schweinestall auf den Tisch. "Wir ließen unsere 40 Tiere frei, damit sie eine Überlebenschance hatten. Wie viele es wirklich schafften, wissen wir nicht. Einige wurden von Soldaten gegessen."
"Die Tiere sind durch den Krieg kleiner als normal"
Der unaufhörliche Raketenbeschuss zwischen April und August 2022 habe alle Kühe und Kälber getötet. Mittlerweile habe er nur noch eine Kuh und einige Schweine, sagt Wjatscheslaw. "Wir haben von vorne begonnen. Denn was will man machen, wir sind mit dieser Erde verbunden. Der Boden ist sehr fruchtbar hier. Deswegen wollen sie ihn uns wegnehmen."
Der Krieg, mal weiter, mal näher, verändere die Natur, sagen die beiden Männer. "Die Tiere sind wegen Stress durch Explosionen und Kriegsdonner kleiner als normal. Und die Schalen der Hühnereier sind dünner." Es regne auch weniger und es gebe weniger Insekten. Wjatscheslaw und Wladimir sind sich uneins, ob das am Krieg oder am Klimawandel liegt.
Einig sind sie sich, dass die vielen Metallstücke und Granatenteile für den Boden nicht gesund sein können. Schätzungen zufolge haben Blindgänger, Minen und Trümmer mindestens 470.000 Hektaren der ukrainischen Agrarflächen verseucht.
Unheimliche Spuren am Himmel
Die Front ist Novomykolaivka tatsächlich schon wieder gefährlich nahe. Erst im August töteten russische Streubomben im sieben Kilometer entfernten Nachbardorf drei Frauen. Auf dem Rückweg aus der Siedlung verwehen im Himmel langsam die Zickzackspuren einer Rakete. Darunter lenkt Bauer Mykola (57) in Spuren seine Erntemaschine durch ein riesiges Sonnenblumenfeld.
Die Qualität der Kerne sei nicht so gut wie sonst, sie seien kleiner und weniger fleischig, sagt er. Auf die unheimlichen Spuren im Himmel angesprochen, meint er: "Was soll man tun? Ich hätte hier draußen und im Traktor keine Chance. Also bete ich und arbeite weiter."
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Der Artikel erzählt die Geschichte der ukrainischen Bauern in Novomykolaivka, die trotz des Krieges und wiederholter russischer Besatzung stolz auf ihren Beruf und ihre Rolle als Versorger der Nation sind
- Der Krieg hat nicht nur ihre Lebensweise, sondern auch die Natur und die landwirtschaftlichen Erträge stark beeinträchtigt, doch die Bauern bleiben standhaft und verbunden mit ihrem fruchtbaren Land