Ukraine

Empörung über "lebende Leichen" in Butscha

Ein Skandal: Auf Telegram behauptet das russische Verteidigungsministerium, die Aufnahmen von Leichen mutmaßlicher Zivilisten in Butscha seien Fake.

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Nach der Rückeroberung offenbarten sich Gräueltaten im ukrainischen Butscha: Die Aufnahmen von einer mit Leichen übersäten Straße gingen um die Welt.
Nach der Rückeroberung offenbarten sich Gräueltaten im ukrainischen Butscha: Die Aufnahmen von einer mit Leichen übersäten Straße gingen um die Welt.
Telegram

Die Bilder aus Butscha nach dem Abzug der russischen Truppen sind schwer zu ertragen und haben weltweit für Entsetzen gesorgt. Sie zeigen Dutzende Leichen, die die Straßen säumen. Es ist von "Gräueltaten" und "Massaker" die Rede. Der russische Präsident Wladimir Putin selbst, der den Angriffskrieg auf die Ukraine zu verantworten hat, wird von der internationalen Gemeinschaft als "Schlächter" und "Kriegsverbrecher" bezeichnet.

Ganz anders klingt das aus Moskau: Das russische Verteidigungsministerium bezeichnete die Bilder als "Fälschungen". Demnach seien die Leichen noch nicht dort gewesen, als die russischen Streitkräfte am 30. März abgezogen waren. Eine Behauptung, die unter anderem durch Satellitenbilder der US-Firma Maxar Technologies eindeutig widerlegt wurde.

Russische Behörden verbreiten Falschinformationen

Das russische Verteidigungsministerium geht jedoch noch weiter: Auf Telegram behauptet es, die Leichen seien gar keine. In einem Video, das auf dem ukrainischen Fernsehsender Espreso.tv zu sehen ist, "bewegt die 'Leiche' rechts bei Sekunde zwölf ihren Arm. Bei Sekunde 30 setzt sich der im Rückspiegel zu sehende 'Leichnam' hin. Die Leichen im Video scheinen absichtlich so angeordnet worden zu sein, um ein dramatischeres Bild zu erzeugen." Die weltweit zeitliche Berichterstattung wird als Teil "einer koordinierten Medienkampagne" bezeichnet.

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    Es ist Tag 41 im Ukraine-Krieg und nach dem Butscha-Massaker werden immer mehr schreckliche Details zur Bluttat bekannt.
    Es ist Tag 41 im Ukraine-Krieg und nach dem Butscha-Massaker werden immer mehr schreckliche Details zur Bluttat bekannt.
    Sipa Press / Action Press/Sipa / picturedesk.com

    Der Post wurde vom russischen Außenministerium geteilt. Ebenso von offenbar pro-russischen Social-Media- und Youtube-Nutzerinnen und -Nutzern. Auch die Redaktion erreichten in der Folge zahlreiche E-Mails, in denen die Behauptung aufgegriffen wurde. Richtiger wird die Behauptung dadurch aber nicht. Sie entbehrt jeder Grundlage, wie Bellingcat.com schreibt. Die von dem renommierten Faktencheck-Portal zusammengeführten Begründungen konnten durch "Heute" nachvollzogen werden.

    Keine Bewegung, sondern ein Regentropfen

    Shayan Sardarizadeh von BBC Monitoring weist auf Twitter auf die Analyse des Aurora Intel Networks hin, in der sich die Rechercheure mit dem vermeintlich bewegenden Arm befassten. Laut diesen handelt es sich bei der angeblichen Bewegung, die die Verbreiter der Behauptung meinen zu sehen, um einen Wassertropfen auf der Windschutzscheibe. Eine höher aufgelöste Version des Videos, die auf der Facebook-Seite des russisch-ukrainischen Anwalts Ilja Nowikow steht, bestätigt das.

    Genauso wie die Untersuchung des Digital-Forensikers Dirk Labudde von der Hochschule Mittweida, der für DW.de eine tiefere Analyse des Videomaterials erstellt hat. Durch die Zerlegung des Videos in seine einzelnen Bilder (Frames) konnte er feststellen, dass es sich bei dem bewegenden Objekt im Video "lediglich um ein frameübergreifend detektierbares Artefakt auf der Frontscheibe des Fahrzeugs, aus dem heraus gefilmt wird, handelt". Bei der genaueren Analyse sei keinerlei Bewegung der Person detektierbar gewesen.

    Verzerrung durch Rückspiegel

    Die Behauptung, eine der Leichen könne über den Rückspiegel beim Aufrichten gesehen werden, entbehrt laut Sardarizadeh jeder Grundlage. "Wenn man das Video langsamer abspielt, sieht man, wie die Gebäude im Hintergrund durch den Außenspiegel verzerrt werden." Grund dafür ist die Krümmung des Spiegels. Aufgrund der Komprimierung des Videos für Social Media, durch die sich die Bildqualität verschlechtert, "vermittelt das Video den Eindruck, der Körper bewege sich".

    Beharrlich behaupten pro-russische Kräfte, die Leichen seien nicht echt.
    Beharrlich behaupten pro-russische Kräfte, die Leichen seien nicht echt.
    Telegram

    Leichen sind auch auf anderen Aufnahmen zu sehen

    Die Widerlegung der Behauptungen von russischer Seite stützt sich nicht nur auf die Analyse des Videomaterials selbst, sondern auch auf andere Aufnahmen, auf denen die beiden leblosen Körper zu sehen sind. Sardarizadeh verweist auf Fotos der Bildagenturen AFP und Getty Images, auf denen die beiden Menschen eindeutig tot sind: "Sehen die lebendig aus?"

    Eine der Leichen ist auch in einem Video zu sehen, das Wladimir Klitschko bei einer Ortsbesichtigung zeigt. Bellingcat-Rechercheur Benjamin Strick nennt zudem weitere Videos, die die Leichen aus anderen Blickwinkeln zeigen. Die angeführten Aufnahmen stammen alle vom 3. April 2022. Videos von der Straße voller Leichen, aufgenommen von ukrainischen Einheiten, gibt es aber bereits vom 1. April und 2. April 2022. Auch die höher aufgelöste Version des Videos wurde bereits am 2. April hochgeladen. Das ist ein weiterer Beleg dafür, dass das russische Verteidigungsministerium die Unwahrheit sagt: Kein Schauspieler könnte über 24 oder sogar 48 Stunden die Position halten oder sie exakt wieder so einnehmen.

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      SERGEY BOBOK / AFP / picturedesk.com