Krieg mit Russland

Diese Optionen bleiben der Ukraine und Europa noch

Der US-Präsident bezeichnete Selenski als Diktator. Ob sich die Vereinigten Staaten endgültig von der Ukraine abwenden, bleibt abzuwarten.
20.02.2025, 22:23

Der Ukraine droht der Verlust ihres wichtigsten Verbündeten im seit drei Jahren andauernden Verteidigungskrieg gegen Russland. Schon seit Donald Trumps Amtsantritt hatten sich die Fronten zwischen Washington und Kiew deutlich verhärtet, spätestens am Mittwochmorgen nahm sich Donald Trump mit einem Post auf seiner Truth-Plattform definitiv dem Kreml-Narrativ an.

Darin bezeichnete er den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski unter anderem als Diktator und warf ihm vor, "in einen Krieg gezogen" zu sein, der "nicht gewonnen werden" konnte. Der Post hat entrüstete Reaktionen vieler europäischer Staatschefs und auch US-Politiker ausgelöst, während der Kreml Trumps Vorwürfe gegen den ukrainischen Präsidenten begrüßt und von einem wichtigen Signal spricht.

Verhandlungstaktik oder Abkehr?

Unklar ist derzeit, was Trump mit den Anschuldigungen bezwecken will. So gehen viele Beobachter davon aus, dass der US-Präsident mit den schweren Vorwürfen Druck auf die Ukraine ausüben will. Die USA hatte dem Land zuletzt einen Vertrag unterbreitet, in dem die Ukraine die Hälfte der Vorkommnisse an Seltenen Erden im Land an Washington hätte abgeben müssen.

Selenski hatte den Vorschlag, bei dem die USA nichts für die begehrten Rohstoffe gezahlt hätte, abgelehnt. Wenig später warf ihm Donald Trump vor, die Vereinbarung, die nie unterzeichnet wurde, gebrochen zu haben. Nun könnte Trump mit seinen Äußerungen versuchen, Druck auf den ukrainischen Präsidenten aufzubauen.

"Putin sitzt bei Verhandlungen am längeren Hebel"

Carlo Masala, Experte für Internationale Politik in München, ordnete die Lage am späten Donnerstagabend als Gast in der "ZIB2" bei ORF-Moderatorin Margit Laufer ein. "Wenn der amerikanische Präsident dem russischen Präsidenten alles gibt, was der will, dann wird es schnell zu einem Waffenstillstand kommen. Sollte das nicht der Fall sein, werden diese Verhandlungen lange dauern. Putin sitzt bei diesen Verhandlungen am längeren Hebel", so Masala. Putin müsse kein Ergebnis erzielen, Trump habe dies aber versprochen.

Das gebe Putin laut Masala "einen Trumpf in die Hand, den er auch ausspielen wird". In welcher Form? Entweder Putin werde versuchen, jede Menge Forderungen zu stellen – oder, würden diese nicht erfüllt, die Verhandlungen in die Länge ziehen und womöglich abbrechen, um Trump unter Druck zu setzten. "Was wir momentan sehen", sei, dass Trump den Forderungen Putins nachkomme, ohne dabei eigene Forderungen zu stellen, was den Experten in der Sendung ziemlich verwunderte.

Keine Verhandlungen, keine Einigung ohne Ukraine

Wolle Trump Neuwahlen in der Ukraine erzwingen? Der Fahrplan sehe eine Einigung zwischen USA und Russland, dann Neuwahlen in der Ukraine, um dann die Unterzeichnung einer Waffenstillstands-Vereinbarung mit einem neuen ukrainischen Präsidenten vor, so Masala. "Die Delegitimierung Selenskis passt da ins Bild". Wie nachhaltig könnte ein Waffenstillstands-Abkommen sein? Bei einem Modell solle Europa das Abkommen absichern, so Masala, beim anderen eine internationale Schutztruppe, da müsste allerdings Russland zustimmen.

Es sollte das Prinzip gelten, keine Verhandlungen ohne Ukraine, keine Einigung ohne Ukraine, so Masala. Wenn es der Eindruck Russlands sei, alles bekommen zu haben, was es wolle, werde es wohl nicht weiter gehen, so der Experte. Aber: Putins Plan könnte sein, die Nato in Sachen Beistandspflicht testen zu wollen – und erweise sich die Nato als unfähig, darauf passend zu reagieren, dann wäre sie am Ende. Glaube er überhaupt an ein nachhaltiges Waffenstillstands-Abkommen? Nein, so der Experte, es gebe keine abschreckende Wirkung für Russland. Es sei, Stand heute, das "Ende der transatlantischen Beziehungen", so Masala.

Europa will Kiew weiter unterstützen – aber wie?

Wenn die USA ihre militärische und finanzielle Unterstützung für die Ukraine aber tatsächlich einstellen sollte, wäre das für das Land eine einschneidende Veränderung. Zwar haben diverse europäische Länder ihre fortwährende Unterstützung zugesichert, deren militärische Kapazitäten sind im Vergleich zu jenen der Vereinigten Staaten aber lächerlich klein.

"Eine erzwungene Kapitulation der Ukraine würde eine Kapitulation der gesamten Gemeinschaft des Westens bedeuten. Mit allen Konsequenzen dieser Tatsache", warnte der polnische Premierminister Donald Tusk angesichts der Möglichkeit, dass die Ukraine bald gezwungen sein könnte, einen zwischen den USA und Russland verhandelten Deal anzunehmen. Donald Trump hatte derweil angekündigt, dass er Wladimir Putin vielleicht noch im Februar treffen werde.

"Zeit für Europa, das Undenkbare zu tun"

Angesichts dieser neuen Realität fordern Experten, dass sich Europa viel stärker auf die eigene Verteidigung fokussiert – und das, ohne sich auf die militärisch so mächtige USA zu verlassen. "Es ist Zeit für Europa, das Undenkbare zu tun", schreibt Kishore Mahbubani in einem Kommentar des Außenpolitik-Fachblatts "Foreign Policy".

"Europa muss seine Bereitschaft zeigen, die Nato zu verlassen", schreibt Kishore, der studierter Politikwissenschaftler ist und zeitweise den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Präsident leitete. Er rechnet vor, dass die Summe aller Verteidigungsausgaben von Ländern in Europa das Verteidigungsbudget der USA übertreffen würde, wenn alle Länder mindestens fünf Prozent ihres Bruttoinlandproduktes für die Verteidigung ausgeben würden. Diese Erhöhung war von Donald Trump im Wahlkampf gefordert worden.

„Europa leckt den Stiefel, der ihm ins Gesicht tritt.“
Kishore Mahbubani, Politikwissenschaftler und Diplomat

Diese Optionen sieht der Experte für Europa

Zwar müsste Europa den angedrohten Austritt nicht in die Tat umsetzen, könnte mit dem Schritt laut Kishore aber Trump und seinen Verteidigungsminister Hegseth aufwecken und sie zwingen, Europa "mit Respekt zu behandeln". Das derzeitige Insistieren der EU auf einen Verbleib in der Nato erweckt laut dem Politikwissenschaftler aber eher den Eindruck, "als würden sie den Stiefel lecken, der ihnen ins Gesicht tritt".

Der Experte beleuchtet zudem zwei andere mögliche Szenarien für Europa: eine neue großangelegte strategische Vereinbarung mit Russland – oder aber mit China. Dabei könnte die Ukraine laut Kishore auf lange Frist eine Brücke zwischen der EU und Russland werden, statt wie jetzt ein Zankapfel.

„Man muss sich als autonomer Akteur auf der Weltbühne zeigen.“
Kishore Mahbubani, Politikwissenschaftler und Diplomat

Als weitere Option erachtet er eine großangelegte Strategie zwischen Europa und China, um die Bedingungen auf dem afrikanischen Kontinent zu verbessern. So warnt er, dass bei anhaltender Migration aus Afrika auch in Europa bald eine Figur wie Trump an der Macht sein könnte. Bislang sei die EU mit Hinblick auf Afrika aber treu Washingtons Linie gefolgt und habe China immer wieder für seine Involvierung kritisiert.

Um ein Erstarken und eine Machtübernahme durch rechte oder rechtsextreme Parteien zu verhindern, müsse Europa jegliche ausländische Investitionen, die Jobs schaffen und die "Afrikaner zu Hause halten", begrüßen. "Stattdessen schießen sich die Europäer selbst ins Bein, indem sie Chinas Investitionen in Afrika kritisieren und ablehnen."

Unabhängig davon, für welche Option sich Europa entscheide, erachtet Kishore vor allem eines als wichtig: "Europa muss erklären, dass es von nun an ein strategisch autonomer Akteur auf der Weltbühne sein wird, der seine eigenen Interessen in den Vordergrund stellt. Wenn der Kontinent das tut, wird Trump Europa vielleicht endlich etwas mehr Respekt entgegenbringen."

{title && {title} } red,20 Minuten, {title && {title} } 20.02.2025, 22:23
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