Kämpfe im Gazastreifen
"Die ultimative Waffe" – düstere Nahost-Ansage
Das Schifa-Spital in der Stadt Gaza ist zum Mittelpunkt des Nahost-Konflikts geworden. Zwei ORF-Korrespondenten analysieren die Situation.
Das Schifa-Spital ist seit Tagen im Fokus der Weltöffentlichkeit: Während die Hamas über fehlenden Treibstoff klagt und die Weltgesundheitsorganisation von "entsetzlichen Zuständen" berichtet, wirft Israel den Terroristen vor, das Gebäude und die Patienten des Spitals als Deckung für eine Kommandozentrale unter dem Komplex zu verwenden. Weil die Kritik an der humanitären Situation im Spital und im Gazastreifen immer lauter werden, legt Israel vermehrt Bilder vor, die die Terror-Stützpunkte der Hamas belegen sollen. Diese Entwicklung im Nahost-Konflikt analysierten ORF-Korrespondenden am späten Dienstagabend in der "ZIB2" bei ORF-Moderatorin Margit Laufer.
Zugeschaltet aus Israel war Journalist Tim Cupal, der von Problemen berichtete, die Situation wirklich erfassen zu können. Es sei das "Dilemma der Kriegsberichterstattung", dass man Informationen, die "von allen Seiten" kämen, nur schlecht überprüfen könne. Man sehe die Bilder, sei aber nicht dort, so Cupal. Auch Teams, die sich direkt vor Ort befinden würden, könnten nicht unabhängig berichten, weil man nur das sehe, was man gezeigt bekomme, so der Journalist. "Was ich bestätigen kann" sei, dass die israelische Armee vermehrt damit begonnen habe, Beweise vorzulegen über das "vorsichtige Vorgehen" der israelischen Militärs mit der Bevölkerung. Es würde etwa Treibstoff für die Spitäler bereitgestellt, so Cupal.
Korrespondent von Bewaffneten aufgehalten
Was das Shifa-Spital betreffe, sei Cupal 2014 selbst im Krankenhaus gewesen und sei "zu weit hinuntergegangen" im Gebäude – dorthin, wo die Hamas-Terrorzentrale vermutet werde. Er sei dabei von Bewaffneten aufgehalten worden und wurde "aus einer brenzligen Situation befreit". Ein Begleiter habe den Bewaffneten klargemacht, dass er ein "kleiner Journalist" aus Österreich sei, der keine Ahnung habe. Ebenfalls analysierte Thomas Langpaul aus den USA die Lage im Nahost-Konflikt. "Joe Biden hat ja Israel von Anfang an dazu aufgerufen, Maß zu halten", so Langpaul – seitdem würden die USA darauf drängen, humanitäre Grenzen und das Kriegsrecht einzuhalten. Wie erfolgreich das sei, wisse man aber nicht.
Ebenso sei unklar, wie Israel reagieren würde, wenn die USA keinen Druck ausüben würden, so der Journalist. Komme Israel den Forderungen der USA nicht nach, bliebe übrig, "die ultimative Waffe aufzurufen", nämlich die militärische Hilfe der USA für Israel einzuschränken, daran glaube er aber nicht, so Langpaul. "Biden muss und will" Druck aufrechterhalten und erhöhen, so der Experte, wie viele Mittel er dazu habe, sei unklar. Die Gefahr sei, dass die USA in den Krieg einbezogen werde, wenn etwa die Hisbollah aus dem Libanon verstärkt angreifen würde. Soweit sei es aber noch nicht. Dennoch stehe die USA unter Druck, als Garant für die Sicherheit Israels aufzutreten. Gleichzeitig nehme in den USA die Kritik zu, man tue zu wenig, um die Zivilbevölkerung zu schützen, so Langpaul.
So wichtig ist das Schifa-Spital für Gaza
Zurück zum zentralen Dreh- und Angelpunkt des Nahost-Konflikts, das Schifa-Spital. Die Klinik verfügt über 500 Betten, eine Intensivstation und ist für MRT-Scans und Dialysebehandlungen ausgestattet. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums fand vor Kriegsbeginn im Schifa-Spital etwa die Hälfte aller Operationen in Gaza statt. Die Armee behauptet, die Hamas operiere vom Schifa und von darunter liegenden Bunkern aus. Einige dieser Bunker seien direkt vom Spital aus zugänglich. Hunderte Hamas-Kämpfer hätten nach dem Überraschungsangriff vom 7. Oktober, bei dem mindestens 1200 Menschen in Israel getötet wurden, im Schifa Zuflucht gesucht.
Der nationale Sicherheitsberater der USA bestätigt gegenüber CNN mit Berufung auf Geheimdienstinfos seines Landes, dass die Hamas unter dem Schifa-Spital einen Kommandoposten betreibe und auch für das Spital gedachten Treibstoff nutze. "Selbst aus öffentlichen unabhängigen Berichten geht hervor, dass die Hamas Spitäler und andere zivile Einrichtungen als Waffenlager und Kommandostellen nutzt", so Jake Sullivan. Nach Ausbruch des Krieges suchten Zehntausende Menschen auf dem Krankenhausgelände Schutz. Die meisten sind mittlerweile in den Süden des abgeriegelten Küstenstreifens geflohen. Hunderte Menschen halten sich jedoch nach Angaben von Mitarbeitern weiterhin in der Klinik auf.
So ist die Lage im Spital derzeit
Am Samstag gab das Spital bekannt, dass der letzte verbliebene Generator keinen Treibstoff mehr habe. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind seitdem mindestens 32 Patienten, darunter drei Säuglinge, gestorben. 36 weitere Neugeborene seien vom Tod bedroht, weil lebensnotwendige Geräte nicht funktionierten, hieß es. Israel hatte am Sonntag mitgeteilt, man werde etwa 300 Liter Treibstoff in Plastikbehältern mehrere Hundert Meter von der Einrichtung entfernt deponieren. Doch am Montag war der Treibstoff offenbar noch nicht verwendet worden. Israel beschuldigte die Hamas, das medizinische Personal daran zu hindern, die Behälter zu holen. Spitalvertreter erklärten hingegen, dass die Treibstoffmenge in jedem Fall unzureichend sei.
Nach internationalem Recht stehen Spitäler im Krieg unter einem besonderen Schutz. Laut dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz können sie diesen Schutzstatus aber verlieren, wenn Kriegsparteien sie als Versteck für Kämpfer oder als Waffenlager nutzen. Dennoch muss es vor Angriffen eine Vorwarnzeit geben, damit Personal und Patienten evakuiert werden können – Israel hat seit Mitte Oktober die Bevölkerung im Gazastreifen wiederholt zur Evakuation aufgerufen. Am Montagabend präsentierte Israels Militärsprecher Daniel Hagari Aufnahmen eines Waffenlagers der Hamas, das im Keller des Kinderspitals Rantisi gefunden worden sei.
Diese Aussichten haben die Menschen im Spital
Die Bilder zeigten einen Raum, in dem Waffen auf dem Boden lagen. Es handele sich um Sprengstoffwesten, automatische Gewehre, Bomben und Panzerfäuste, so Hagari. "Die Hamas benutzt Spitäler als Kriegsinstrument", sagte er. Ein Bereich sei offenbar genutzt worden, um dort Geiseln zu halten. In einem fensterlosen Raum hingen Vorhänge an der Wand, die als Kulisse für ein Video verwendet worden sein könnten, sagte der Sprecher. "Dies ist nicht das letzte Spital dieser Art in Gaza, und die Welt sollte das wissen", so Hagari.
Israel hat den Menschen im Spital zugesichert, sie könnten die Stadt sicher verlassen. Zivilisten, die das versuchten, schilderten jedoch, sie seien beschossen worden. US-Präsident Joe Biden sagte am Montag, dass das Spital geschützt werden müsse, und forderte ein "weniger aggressives Vorgehen" der israelischen Streitkräfte. Israels Armee hat erklärt, man sei sich der Komplexität der Lage bewusst, die Hamas dürfe aber nicht mit Immunität rechnen.