"Poor Things" startet im Kino
Die "Rocky Horror Oscar Show"?
Die einst so biedere Emma Stone ("La La Land") wird in der "Frankenstein"-Version von Yorgos Lanthimos zur Musterbeispiel für pure Schamlosigkeit.
Sorry, Margot Robbie, aber den Oscar kannst du die abschminken! Emma Stone (35) dürfte heuer ihr Doppel von 2017 wiederholen, als sie für "La La Land" sowohl den Golden Globe, als auch den Oscar gewonnen hat. Für ihre Rolle in "Poor Things", das am 18. Jänner bei uns im Kino startet, hat sie den Globe ja bereits erhalten, die Nominierung für den Oscar ist am 23. Jänner nur mehr eine reine Formsache.
Bei "Poor Things" handelt es sich wohl um den besten Wes Anderson-Film, der nicht von Wes Anderson stammt: Der Grieche Yorgos Lanthimos hat ein bezauberndes Märchen erschaffen, in dem die Figuren maßlos überzeichnet und die Umgebungen so hinreissend illustriert sind, als wären sie aus der Fantasie von Salvador Dali entsprungen. Im Mittelpunkt steht Bella Baxter, eine Figur, die am ehesten Frankensteins Monster von Mary Shelley entspricht. Der Londoner Arzt Godwin Baxter (genial wie immer: Willem Dafoe) lässt sich selbst nicht nur von allen "God" nennen, sondern hat als Erschaffer unzähliger Monstrositäten auch einen ausgeprägten Gott-Komplex. Schon sein Vater war ein großer Fan von medizinisch fragwürdigen Experimenten und so sind auch Godwins Gesicht und Körper von zahllosen Versuchen von Baxter senior entstellt. Die Menschen fürchten sich vor ihm, aber Godwin hat ohnehin lieber Gesellschaft von seinen Schöpfungen. Spektakulär ist etwa sein Hund, der den Kopf einer Gans trägt. Das Gebell klingt daher etwas seltsam.
Godwin Baxter stößt zu Beginn des Films auf die Leiche der Selbstmörderin Bella, die schwanger war, als sie in die Themse gesprungen war. Aus purer Neugier verpflanzt der Arzt das Gehirn von Bellas ungeborenen Fötus in ihren Kopf und erweckt das so neu geschaffene Wesen mit dem Wundermittel Elektrizität zum Leben. Das Experiment glückt und Bella erwacht in ihr neues Dasein und beginnt die Welt neu zu entdecken. Das Fötusgehirn entwickelt sich in unglaublicher Geschwindigkeit und kurz nachdem Bella gelernt hat zu gehen, kann sie auch schon sprechen und beginnt ihren eigenen Körper zu erforschen. Die Sexualität entdeckt sie dabei überraschend schnell, zunächst einmal an ihr selbst. Aber auch Männer fangen schnell an, Bella zu interessieren. Und wenn Bella etwas Spaß macht - egal ob Essen, Trinken, Masturbieren oder Männer -, dann geht Bella es mit einer kindlichen Maß- und Schamlosigkeit an.
Godwin Baxter bietet Bella seinem Assistenten als Ehefrau an, sie akzeptiert nur unter der Bedingung, dass sie vor der Ehe noch eine ausschweifende Weltreise mit dem dem Anwalt und Lebemann Duncan ("Hulk"-Star Mark Ruffalo) unternehmen darf. Bei dieser stolpert Bella von einem sexuellen Abenteuer ins nächste, was aber noch mehr wächst als ihre Libido ist ihr Intellekt und Bella beginnt immer mehr die Welt und ihren Zustand zu analysieren. Regisseur Lanthimos, mit dem Stone bereits "The Favourite" gedreht hat, hat ein durchgeknalltes, optisch berauschendes und inhaltlich packendes Spektakel gedreht. Emma Stone geht dabei komplett aus sich heraus und ist gleichzeitig liebenswürdig-naiv, als auch scham- und maßlos. Dafür, dass sie seit Beginn ihrer Karriere Nacktszenen gemieden hat wie der Teufel das Weihwasser, zeigt sich Emma Stone jetzt freizügig wie nie. Alles im Dienste der Rolle natürlich. Das Konzept eines künstlich erschaffenen Menschen, der auf naive Art die Sexualität entdeckt, wurde zwar schon 1975 in der "Rocky Horror Picture Show" thematisiert, aber bei weitem nicht o beeindruckend wie hier. Im Laufe des Films - soviel darf man verraten, ohne zu spoilern - entwickelt sich Bella Baxter vom wenig attraktiven, naiven Entlein zum wunderschönen und vor allem bestechend intelligenten Schwan. Und nachdem es ja ein Märchen ist, darf man auch mit einem Happy End rechnen. Den Oscar, den Stone praktisch schon in der Tasche hat, hat sie dann auf alle Fälle auch redlich verdient!