Ukraine

Deutschland hoffte auf "schnelle ukrainische Niederlage

Der frühere britische Premier Boris Johnson hat sich in einem Interview kritisch über die Haltung europäischer Staaten vor Kriegsausbruch geäußert.

Nikolaus Pichler
Bilder vom Besuch des deutschen Kanzlers (r) im Juni in Kiew.
Bilder vom Besuch des deutschen Kanzlers (r) im Juni in Kiew.
SERGEI SUPINSKY / AFP / picturedesk.com

Der frühere britische Premierminister Boris Johnson hat in einem Interview schwere Vorwürfe an europäische Regierungen gerichtet. So habe Frankreich die Aussicht auf eine russische Invasion in der Ukraine «bis zum letzten Moment» verleugnet. Der deutschen Regierung warf er gar vor, ursprünglich eine schnelle ukrainische militärische Niederlage einem langen Konflikt vorgezogen zu haben, wie CNN berichtet. Das Interview gab Boris Johnson gegenüber "CNN Portugal".

"Die verschiedenen Länder hatten sehr unterschiedliche Perspektiven"

Inzwischen seien sich die EU-Staaten in ihrer geschlossenen Unterstützung der Ukraine zwar einig, doch vor Kriegsbeginn hätten die Staaten unterschiedliche Positionen eingenommen. "Diese Sache war ein riesiger Schock. Wir konnten sehen, wie sich die taktischen Gruppen der russischen Bataillone sammelten, aber die verschiedenen Länder hatten sehr unterschiedliche Perspektiven."

Zur deutschen Regierung sagte er weiter: "Deutschland vertrat zu einem bestimmten Zeitpunkt die Ansicht, dass es besser wäre, die ganze Sache schnell zu beenden und die Ukraine aufzugeben, wenn es zu einer Katastrophe käme." Dies sei aus wirtschaftlichen Gründen der Fall gewesen. Seit Kriegsbeginn hat Deutschland, wie auch zahlreiche andere europäische Länder, versucht, seine Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern. Johnson kommentiert dazu: "Ich konnte das nicht unterstützen, ich hielt das für eine katastrophale Sichtweise. Aber ich kann verstehen, warum sie so dachten und fühlten."

Ohne Selenski "wäre dieser Konflikt ganz anders verlaufen"

Auch für Italien hat Johnson keine positiven Worte übrig. Das Land sei zu Kriegsbeginn unter der Führung von Mario Draghi wegen der massiven Abhängigkeit von russischer Energie nicht bereit gewesen, die europäischen Positionen gegenüber Russland zu unterstützen. Tatsächlich waren zahlreiche Beobachter zu Kriegsbeginn davon ausgegangen, dass die Invasion nur wenige Tage oder Wochen dauern würde.

Seit Kriegsbeginn attestiert Johnson der EU jedoch, einen "brillanten" Job gemacht zu haben. "Nach all meinen Befürchtungen zolle ich der Art und Weise, wie die EU gehandelt hat, meinen Respekt. Sie waren sich einig. Die Sanktionen waren hart", fuhr Johnson fort. Über Wolodimir Selenski sagt Johnson, er sei in seiner Führungsrolle "absolut hervorragend" und betont: "Er ist ein sehr tapferer Mann. Ich glaube, die Geschichte dieses Konflikts wäre ganz, ganz anders verlaufen, wenn er nicht dabei gewesen wäre."

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