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"Death Stranding" im Test: Ein Game wie keines zuvor
Science-Fiction-Thriller, hyperreale Simulation, bildgewaltiges Epos: Hideo Kojimas "Death Stranding" ist von allem etwas, und doch etwas ganz Neues.
Eines wie keines zuvor: Nachdem Entwickler-Mastermind Hideo Kojima 2015 mit "The Phantom Pain" seinen letzten "Metal Gear Solid"-Teil veröffentlicht, sich dann mit Konami zerkracht und schließlich mit seinem Studio Kojima Productions die Kooperation mit Sony Playstation bekannt gegeben hat, erscheint nun das ebenso mysteriöse wie heiß erwartete "Death Stranding" auf Playstation 4. Es ist ein Meisterwerk, das vielen Spielern aber dennoch missfallen wird.
Drei Jahre lang wurden kurze und lange Videoclips, Informationen, Gameplayszenen und Erklärungen zum Spiel veröffentlicht, schlauer wurde man daraus aber nicht. Was "Death Stranding" genau ist, wie es sich spielt und um was es geht – bis zuletzt war das ein großes Rätsel. Im Rahmen unseres Tests – rund 50 Stunden dauert es schnurstracks bis zum Ende, weit mehr als 150 wenn man alles erleben will – hat sich langsam der Schleier gelüftet.
Für Spieler sind die hohen Erwartungen ein zweischneidiges Schwert. Denn ja, "Death Stranding" ist ein Meisterwerk, ein nie dagewesenes Erlebnis. Aber es ist auch eines, das nicht den Nerv der Durchschnittsspieler treffen wird. Wer nur kurz mal zwischendurch zockt, schnelle Erfolge auf der Couch erleben oder neue Highscores aufstellen will, der ist bei "Death Stranding" komplett falsch. Das Spiel erfordert Geduld, jede Menge Zeit, Motivation, die Handlung nachzuvollziehen – und vor allem den teils eisernen Willen, durchzuhalten.
Eine Herausforderung für Spieler
Das von Hideo Kojima erschaffene neue Videospiel-Genre lässt sich als Ganzes schwer in Worte fassen. Einzeln betrachtet ist es vieles: Ein Game mit stundenlangen Hochglanz-Videosequenzen und Hollywood-Schauspielern, eine Simulation mit überraschend tiefgreifenden Mechaniken und detaillierten Abläufen, eine Erzählung mit ebenso viel Handlung wie Interpretationsspielraum und eine Herausforderung für den Spieler, das alles auf sich wirken zu lassen.
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In "Death Stranding" existiert die Welt, beziehungsweise das Amerika, wie wir es kennen, nicht mehr. Gerade zu Beginn wird der Spieler überschwemmt von minutenlangen Videosequenzen, bevor er selbst zum Gamepad greifen und die Welt erkunden darf. Bis dahin erfährt man zwar vieles, die Handlung ist aber anfangs sehr verwirrend und stellt mehr Fragen, als sie beantworten kann. Was sich nach und nach offenbart: Eine Katastrophe namens "Death Stranding", der "gestrandete Tod", hat die Welt zerrissen, die Menschen an den Rand der Ausrottung gebracht.
Eine Ein-Mann-Lieferarmee
In der zerklüfteten Welt Amerikas hat sich der Überrest der amerikanischen Regierung mit der Lieferorganisation "Bridges" zusammengetan, um die abgeschnittenen Städte und Dörfer mit Waren zu versorgen. Doch Amelie (gespielt von Lindsay Wagner) schwebt als Tochter der US-Präsidentin Größeres vor: Sie will Amerika wieder vereinen, die United Cities of America (UCA) sollen entstehen. Auf ihrer Expedition von der Ost- zur Westküste, um das Land wieder aufzubauen, wird allerdings Amelies Trupp ausgelöscht und sie selbst vom Terroristen Higgs (Troy Baker) an der Westküste festgehalten.
Da Amelie aber die nächste Präsidentin der USA, pardon, UCA werden soll, muss "Bridges"-Mitarbeiter Sam Porter Bridges (Norman Reedus) und damit wir als Spieler einspringen. Uns soll gelingen, woran ein ganzer Expeditionstrupp scheiterte: Alle Städte von Ost- zur Westküste mit Waren beliefern, sie in ein gemeinsames chirales Bridges-Netzwerk einklinken und die wieder verbundene Welt mit der befreiten Amelie zur Zukunft der Menschheit machen. Klingt nach der typischen Menschenrettungs-Story, geht aber schnell viel, viel tiefer.
Es wäre nicht Kojima, wenn es einfach wäre
Die Handlung wird nicht in typischer Manier "Frau wurde entführt, Held muss sie retten" erzählt. Amelie, die Präsidentin und Sam scheinen familiär verbunden zu sein, in traumähnlichen Szenen treffen die Charaktere trotz räumlicher Trennung an einem verlassenen Strand aufeinander, Zeit und Raum scheinen gelegentlich zu zerfließen und immer mehr Figuren, deren Bedeutung sich anfangs im Schatten hält, treten auf den Plan. Generell fragt man sich: Was passiert hier eigentlich? Antworten bekommt man erst spät, so gegen Mitte des Spiels tun sich langsam weniger Fragen auf.
Typisch Kojima: Besonders Charaktere wie die Botin Fragile (Léa Seydoux) tauchen immer wieder ohne Erklärung auf und scheinen Gefallen an Sam gefunden zu haben, weder aus Dialogen noch aus Geschehnissen kann man zu Beginn aber ihre Motive durchschauen. Sei es wie es sei: Sam selbst zeigt sich sowieso nicht sonderlich interessiert. Weder will der futuristische Bote berührt werden, noch zeigt er sich an Gesprächen begeistert, die zerklüftete Welt ist ihm egal und die Rettung der Menschheit noch mehr. Viele Videosequenzen und Bitten später macht sich Sam dann doch widerwillig auf, das Land zu einen.
Babys, Unsichtbare und andere Fragen
Auch wenn Sam Porter Bridges ein futuristischer Postbote ist, sobald man in seine Haut schlüpft und ihn steuert, ergeben sich noch mehr Fragen. Etwa, warum er ein in eine Kapsel eingeschlossenes Baby verbunden mit seinem Körper mit sich herumträgt. Warum ihn Visionen plagen, die offenbar Erinnerungen des Babys von einem Mann namens Cliff (Mads Mikkelsen) sind. Oder auch, warum in manchen Regionen unsichtbare Wesen Sam bedrohen, ölartige Klauenabdrücke hinterlassen und ihn bei zu forschem Vorgehen in eine Welle schwarzen Verderbens reißen.
Zusätzliche Verwirrung stiften die verschiedenen erfundenen Begriffe, mit denen "Death Stranding" um sich schmeißt: BBs und BTs, Voidouts und Timefalls, Q-Pids, Cryptobioten, MULEs und Odradek – während die Figuren die Begriffe wie beiläufig nennen, schwirrt dem Spieler der Kopf. Erst nach und nach erschließt sich die Bedeutung der Worte und noch später der Nutzen oder die Gefahr des jeweiligen Dings. Dabei ist das Kernelement des Gameplays so einfach wie sich wiederholend: Als Bote muss Sam Fracht von einem Ort zum anderen bringen. Klingt öde, ist es zumindest zum Teil auch.
So läuft eine "Mission" ab
Hunderte Spiel-Kilometer wird man in "Death Stranding" zurücklegen und dabei auch rund hundert Mal dasselbe tun: Pakete von A nach B bringen. Und so läuft eine typische Mission ab: Man erhält an einem Terminal den Auftrag, eine bestimmte Ware an einen bestimmten Ort zu bringen. Dabei reden Hologramme und sehr selten Menschen in Fleisch und Blut mit dem Spieler und erklären, warum die Lieferung so wichtig ist. Danach kann Sam mit der Fracht beladen werden und zusätzlich optional Hilfsgegenstände mitnehmen. Schon anfangs kann Sam gut 150 Kilogramm tragen, ein äußerst starker Postbote.
Einfach Ladung nehmen und los geht es? Weit gefehlt! Die Pakete können einzeln auf Sams Rückentragegestell, an seinen Schultern, Armen, Beinen und Hüften befestigt werden. Das ermöglicht in Notsituationen etwa bei Hüftfestigung einen schnellen Zugriff auf Waffen oder Hilfsgegenstände, während am Rücken meist die eigentliche Fracht getragen wird, die man nicht per Schnellauswahl aufrufen kann. Die Befestigung stabilisiert Sam aber auch auf seinen Botengängen. Lädt er zu viel Gewicht auf den Rücken, kippt er nach hinten, rechts und links gilt das ebenso.
Viel zu erledigen bevor es wirklich losgeht
Bevor man allerdings die Balance-Mechaniken erlebt, geht die Liefer-Planung noch weiter. Als Sam kann man nämlich nicht direkt vom Abhol- an den Zielort laufen. Mit einem Blick auf die Karte lässt sich das Terrain, das von reißenden Flüssen, satten Wiesen, zerklüfteten Felsregionen und Sandgebieten bis hin zu schneebedeckten Bergen reicht, betrachten. Mit der Neigung des Controllers und der Bewegungssteuerung neigt sich auch die Karte und man kann Berge, Täler, Anstiege und Abhänge erkennen. Per Tastendruck lässt sich nun eine Zielroute von A nach B einzeichnen, wobei man versucht, allzu gefährliche Gebiete zu umgehen.
Als letzter Punkt muss die Ausrüstung noch einmal geprüft werden. Hat man genug Schuhe mit? Schließlich gehen die mit den gelaufenen Kilometern kaputt und ohne sie kann Sam sich verletzen und zusammenbrechen. Hat man an das Reparaturspray gedacht? Denn der mysteriöse Zeitregen, aber auch Stürze und Überfälle beschädigen die Fracht. Hat man genug Monster Energy (kein Scherz!) mit, um Sams Flüssigkeitsverlust auf anstrengenden Trips auszugleichen? Soll man Waffen mitnehmen? Packt man Leitern ein, um sie als Stege über reißende Flüsse zu verwenden, oder lieber Pflöcke mit Seilen, um sich von einem steilen Felsen abseilen zu können. Und auch: Kann man gleich für eine Nebenmission ein bisschen zusätzliche Fracht an den Zielort mitnehmen?
Fast wie eine futuristische Simulation
Erst ab diesem Zeitpunkt ist Sam Porter Bridges bereit, aufzubrechen und sich durch das Gelände an den Zielort zu kämpfen. Anfangs passiert das zu Fuß, später kann Sam ein Exoskelett und Gefährte wie ein futuristisches Bike oder einen Truck zum Transport von mehr Waren nutzen, auch Lieferdrohnen stehen bereit. Hat man die Wegstrecke geschafft, wird man am Zielort freundlich begrüßt, sackt Likes für die Lieferung ein, kann Material einlagern, klinkt den Ort ins chirale Netzwerk ein – und bekommt neue Lieferaufträge. Kein Witz, Sam Porter Bridges muss das gesamte Spiel über Waren ausliefern. Zusätzlich kann er in Nebenmissionen Waren an neue Orte oder unter Zeitdruck liefern. Egal ob Haupt-, Neben- oder andere Mission: In neun von zehn Fällen muss etwas irgendwo abgeliefert werden. Flucht- oder Schießszenarien kommen erst sehr spät ins Spiel, und in sehr zurückhaltenden Dosen.
Auf den Reisen selbst passieren so detailreiche Ereignisse, dass man gar von einer Transport-Simulation sprechen kann. Je nach Terrain strauchelt Sam beim Kontakt mit Felsen oder Mulden, rutscht steile Abhänge hinunter, wird im tiefen Wasser mitgerissen oder setzt sich hin, wenn die Ausdauer zur Neige geht. Bei den Unfällen verlorene Fracht kann wieder eingesammelt und montiert werden, erleidet aber Schaden. Diebe, die uns die Fracht abnehmen, können später in ihren Lagern selbst überfallen und die Beutestücke zurückgeraubt werden. Wer nicht fallen will, kann Sam mit dauerhaftem Halten der Controller-Schultertasten stabilisieren. Das belastet mit der Zeit aber nicht nur die Finger und Nerven, sondern lässt Sam auch langsamer vorwärts kommen. Wer stattdessen die Arme schwingend läuft, muss das Straucheln in eine Richtung alle paar Sekunden per Druck auf die gegenüberliegende Schultertaste ausgleichen. Und je mehr Sam trägt, desto öfter und leichter strauchelt er. Übrigens: Auch wildpinkeln kann Sam in "Death Stranding".
Die Angst vor dem Unsichtbaren wird entfacht
Was das Spiel aber zu einem neuen Genre macht sind die übernatürlichen Geschehnisse, auf die Sam Porter Bridges auf seinen Liefertouren trifft. So sorgt in vielen Gebieten ein heftiger Zeitregen dafür, dass Fracht, Gegenstände und die Personen selbst in Windeseile altern. Hier hilft nur, Unterschlupf zu suchen oder das Regengebiet so schnell wie möglich zu durchqueren. Für wirklichen Nervenkitzel sorgen aber die BTs, die "beatched things", unsichtbare Wesen, die nach dem Jahrtausendereignis Death Stranding in die echte Welt herübergeschwappt sind. Sie machen Jagd auf die Lebenden, verschlingen sie und sorgen damit für Voidouts – gewaltige Explosionen, die am Ort des Geschehnisses nur dauerhafte Leere für den Spieldurchgang hinterlassen.
Dafür, dass Sam die BTs erkennen kann, sorgen die BBs, die "Bridge Babys". Die Babys entstammen "Totmüttern", künstlich am Leben gehaltenen Frauen, die die BBs als "Werkzeuge" gebären. Immer wieder wird Sam darauf hingewiesen, keine Bindung zu seinem BB aufzubauen, auch wenn es einen anlächelt, bei Gefahr wimmert und weint oder von Sam per Wiegen und sanftem Zureden beruhigt werden kann. Je nach Fähigkeit können Figuren in Death Stranding die BTs dank der BBs fühlen, erkennen, sogar sehen. Sam nimmt ihre Präsenz war, Fragile wiederum kann sie sogar sehen und Amelie ist soweit, sie aus großen Distanzen zu orten und zu umgehen.
Alleine der Scanner hat zig verschiedene Signale
Verbunden ist das BB mit einer Art Scanner namens Odradek. Der kann per Druck auf die R1-Taste die Umgebung scannen, gefährliche beziehungsweise begehbare Terrains anzeigen, die eigens geplante Route einblenden, aber auch vor den BTs warnen. Je nach Situation verfügt der Scanner über zig verschiedene Bewegungs- und Lichtsignale, die der Spieler lernen muss. Je schneller er etwa auf- und zuklappt, umso näher ist ein BT. Wechselt er in die orange Farbe, steht ein direktes Zusammentreffen mit den mysteriösen Wesen bevor. Dann hilft nur noch eines: Zeigen sich teerartige Fußabdrücke der Wesen um Sams Körper, hält man per Buttondruck für kurze Zeit die Luft an und hofft das Beste.
Hilft das nicht, wird Sam von den schwarzen Wesen in eine Teer-Welle gerissen und steht einem größeren, Kraken-artigen "beached things", den Minibossen, gegenüber. Zwar kann man noch versuchen, sich per Eigenblut in Granaten- und Projektilform zu wehren, zieht dabei aber meist den kürzeren. Doch der Bildschirmtod bedeutet nicht den wahren Spieltod. Zwar ist das Gebiet per Voidout zerstört, Sam landet aber als Wiedergänger in der Parallelwelt, die durch das Death Stranding mit der echten Welt verbunden wurde und aus der die BTs zu stammen scheinen. Sie wirkt wie eine düstere Unterwasserwelt, in der die Wesen an schwarzen Strängen, die auch in der echten Welt zu finden sind, schweben, während Tierwesen herumschwimmen und verlorenes Gut eingesammelt werden kann. Per neuerlichem Tastendruck erwacht Sam wieder in der "echten" Spielwelt, meist in einem Ruheraum einer Paketstation.
Waffen aus Körperflüssigkeiten fertigen
Die persönlichen Zimmer in den Stationen sind es auch, die Sam neue Kraft sammeln und die Ausdauer- und Flüssigkeitsbalken wieder auffüllen lassen. Hier findet Sam ein Bett zum Schlafen, in der freien Wildbahn muss er heiße Quellen oder einfach das Terrain zum Schlafen nutzen, dass sich ihm gerade bietet. Außerdem kann sich im Zimmer das BB erholen, Sam seine Ausrüstung personalisieren, oder die Dusche und das WC benutzt werden. Apropos: Aus den beim Duschen und dem Toilettgang "gewonnen" Flüssigkeiten und Materialien werden automatisch verschiedene Granaten hergestellt. Als Wiedergänger scheint nämlich nicht nur Sams Blut, sondern alle seine Körperflüssigkeiten den BTs zu schaden.
Zwar legt "Death Stranding" dem Spieler zahlreiche Waffen in die Hand, doch Töten ist nicht nur aufgrund der drohenden Voidouts, die offenbar geschehen, wenn ein Toter in die andere Welt wechselt, keine Option. Auf Menschen trifft Sam bis auf die Plünderer fast nie, und wenn lassen sie sich oft nur ausknocken und kurzfristig außer Gefecht setzen, um nicht die Umgebung zu zerstören. Auch BTs sind kaum zu töten. Blutgranaten und Co. machen sie nur sichtbarer, lähmen sie oder lassen sie kurzfristig verschwinden. Wer sie länger loswerden will, muss später, ohne zu viel zu verraten, ihren Strang mit der Spielwelt kappen. Wer schlau ist, umgeht sowieso die MULE-Banditen ebenso wie die BTs, denn Tod und Kampf sind unwichtig, es zählt nur die Fracht.
Schwer zu durchschauende Mechaniken
Es dauert seine Zeit, bis man die verschiedenen Level-Systeme und Mechaniken von "Death Stranding" durchschaut hat. Skills, Fertig- und Fähigkeiten sind undurchsichtig und steigen mit einer ebenso abstrakten Währung: Likes. Sie bekommt man, wenn man sich um sein BB kümmert, eine besonders schadensfreie Lieferung zustellt, eigentlich bei jeder Tätigkeit in Death Stranding. In einem fünfeckigen Diagramm steigt nach jedem erfüllten Auftrag eine Fähigkeit, erst spät entdeckt man aber, dass die Werte mit benötigter Zeit oder dem Materialzustand zusammenhängen. Eine individuelle Verteilung der gewonnenen Likes ist nicht möglich und sie ermöglichen auch nicht mehr, als neue Gerätschaften zu benutzen oder mehr Fracht tragen zu können.
Dies offenbart ein Problem, an dem "Death Stranding" leidet. In so gut wie allen Bereichen sind die Tätigkeiten und Mechaniken anfangs extrem mühsam und undurchschaubar, während sie im späteren Verlauf sich selbst obsolet machen. Kämpft man anfangs mühsam über Berggipfel, um einem BT-Schwarm zu umgehen, dauert das ewig und erfordert Geduld, Vorsicht und zahlreiche Hilfsmittel wie Leitern und Seile. Während man noch langsam die Materialien für die Herstellung der Items zusammenkratzt, werden sie schon wieder unbrauchbar, sobald man ein Exoskelett ergattert hat. Dass man zeitgleich ganze Straßen und Brücken anlegen kann wird wiederum von dem bald darauf erhaltenen Gefährt konterkariert, dass über Stock und Stein brettert. Zwar sind die Möglichkeiten von "Death Stranding" beeindruckend, sie sind aber zu mühsam erlernbar und frustrierend einsetzbar, da sie sich im Verlauf des Spiels selbst unnötig machen.
Auch im Multiplayer-Modus geht es um Likes
In der Postapokalypse ist die Welt ziemlich leer. Wie erwähnt kommuniziert Sam meist nur mit Hologrammen, Begegnungen gibt es kaum und wenn nur mit der mysteriösen Terroristengruppe oder Plünderern, sehr selten mit normalen Überlebenden. Auch die Städte, die nach und nach miteinander verbunden werden, haben wenig zu bieten. Sie sehen beinahe einheitlich aus, die Lieferzentren gar exakt gleich. Egal ob Wildnis oder Stadt, Sam kann zwar in die Leere hineinrufen und erhält gelegentlich von einer Stimme Antwort, zu Gesicht bekommt man aber auch andere Spieler nicht. Dafür ihre Hinterlassenschaften, und gemeint ist nicht nur die Pinkelstelle eines anderen Spielers. Im asynchronen Multiplayermodus kann man Schilder mit aufmunternden Worten oder Warnungen, Leitern, Seile und Brücken für Abkürzungen, Briefkästen für die Warenabgabe und einige Konstrukte mehr pflanzen.
Hat man eine Region ins chirale Netzwerk eingeklinkt, werden auch die Bauten der anderen Spieler sicht- und nutzbar. Ist eine Konstruktion besonders sinnvoll, vergibt man dafür ein Like an den oder die verantwortlichen Spieler – und kassiert im Gegenzug Likes für eigene Werke. An den Lieferterminals und Briefkästen kann man zudem Fracht abladen und darauf hoffen, dass sie von anderen Spielern an den Zielort gebracht wird oder das wiederum für andere Spieler erledigen. Selbst Waffen, Ausrüstung und Herstellungmaterialen können in Gemeinschaftsspinds hinterlegt und anderen Spielern zur Verfügung gestellt werden. Nach und nach kommt so ein Gemeinschaftsgefühl in der einsamen Welt auf. Und das ist auch der Sinn des Spiels: Nicht nur Sam, auch der Spieler soll lernen, wie wertvoll, gar lebensnotwendig Freundschaften und Gemeinschaftssinn sind.
Teamgeist geht trotz Leere vor Einzelkampf
"Death Stranding" sorgt im Multiplayer dafür, dass nicht nur die Städte in ein gemeinsames Netzwerk eingeklinkt werden, sondern auch physisch verbunden werden. Mehrere Spieler können gemeinsam Materialien für ein Bauprojekt zur Verfügung stellen und einen Highway Stück für Stück durch eine ehemalige Steinwüste errichten. Oder sie pflanzen Warnschilder um die BT-Gebiete und sorgen gleichzeitig mit Leitern und Seilen für eine sichere Ausweichroute. Teamarbeit ist unablässig, denn sonst funktioniert der Lieferweg nicht: Das Bike muss an Generatoren aufgeladen werden, Wachtürme zeigen wertvolle Materialien oder Plündererlager in der Nähe an. Es ist beeindruckend zu sehen, wie sich die Welt immer mehr durch Zusammenarbeit verändert, das Gefühl einer gewissen Einsamkeit verschwindet aber kaum.
Sams Wanderungen über teils 20 Minuten und mehr sind seltsam still, Musik spielt nur zu sehr seltenen, ausgewählten Zeitpunkten. Schade, denn gerade die vorhandenen Musikstücke sind unglaublich stimmig und gut gewählt. Ständiger Begleiter bleibt dagegen Schweigen sowie das ein oder andere kurze Selbstgespräch von Sam. Wären da nicht die vielen Videosequenzen in den jeweils einer Nebenfigur gewidmeten Episoden des Spiels, es würde ebenso wie ein großes Puzzle wie die Spielwelt selbst wirken. Die Videosequenzen haben sich aber eine Auszeichnung verdient: Sie sehen atemberaubend realistisch aus, Mimik und Gestik von Figuren lebensecht. Und auch wenn die Handlung anfangs skurril wirkt, sie raubt dem Spieler mit ihren Details, durchdachten Hintergrundgeschichten, toll herausgearbeiteten Figuren und gewaltigen Emotionen den Atem. So etwas gab es in der Gamewelt noch nie! Das Star-Aufgebot trägt gewaltig dazu bei.
Ein Meisterwerk zum Kopfschütteln
"Death Stranding" ist beeindruckend, innovativ, neuartig, doch es wird dem Durchschnittsspieler, der auf schnelle Erfolge oder eine lockere Runde zocken aus ist, nicht schmecken. Möglich gar, dass viele Spieler nach drei, vier Stunden aus Frustration oder Langeweile den Controller in die Ecke pfeffern und das Spiel nie wieder anfassen werden. Denn weiß man nicht, was "Death Stranding" nach rund 25 bis 30 teils mühsamem Spielstunden noch zu bieten hat, kann man die Motivation verlieren, es selbst herauszufinden. "Death Stranding", ein Meisterwerk zum Kopfschütteln.
Erst ab der Mitte und immer weiter gegen Ende hin zeigt sich die fantastische Handlung des Spiels, das Gameplay wird abwechslungsreicher und die Möglichkeiten scheinen endlos. Dann macht es auch richtig Spaß, die Welt zu retten, denn Mechaniken und Einstellungen bei Ausrüstung und Gegenständen kann man dann schon mit verbundenen Augen bedienen. "Death Stranding" kann als Geniestreich bezeichnet werden, der sich allerdings nur jenen Spielern offenbaren wird, die wie Sam bereit sind, größte Mühen auf sich zu nehmen und bis zum Ende durchzuhalten.