Ukraine
"Das wäre Selbstmord" – nun spricht Putins Erzfeind
Mehr als zehn Jahre saß Michail Borissowitsch Chodorkowski mutmaßlich politisch motiviert in Haft. Zu Wladimir Putin sagt er nun, er sei "besessen".
Der ehemalige Oligarch und Multimilliardär Michail Borissowitsch Chodorkowski finanzierte in Russland Oppositionsparteien und legte sich damit mit dem Kreml und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin an. Nachdem er verkündet hatte, dass die Medien und Gerichte nicht frei arbeiten dürften und Menschenrechte in Russland quasi nicht existent seien, wurden Ermittlungen eingeleitet. Chodorkowski saß schließlich von 2003 bis 2013 wegen Steuerhinterziehung und Betrug in Haft.
Beobachter bezeichneten die Haft allerdings als politisch motiviert. Chodorkowski ließ sich mit seiner Familie nach seiner Freilassung in London nieder, wird aber von Russland wegen eines Mordfalles gesucht. Am späten Montagabend äußerte sich der Geschäftsmann zum Ukraine-Krieg und zu Putin in der ORF-"ZiB 2". Wenden sich die Oligarchen nun gegen Putin? "Das ist eine sehr vorsichtige Distanzierung. Das macht überhaupt keinen Eindruck, weil Oligarchen sind ein Instrument Putins, aber nicht seine Berater", so der Milliardär zu ORF-Moderator Armin Wolf.
„"Es ist wichtig, dass sie Putin sagen, dass er bald seine Macht verlieren wird"“
Außerdem wisse man nicht, wie sich die Oligarchen persönlich gegenüber Putin äußern würden – vielleicht würden sie Putin versichern, dass sie für die Kapitulation der Ukraine seien, so Chodorkowski. Doch wer kann Putin dann aufhalten? "Ich glaube wir haben es hier mit einem voll ausgebildeten, totalitären Regime zu tun, das sich bereits etabliert hat. Und niemand in Putins innerer Umgebung hat genug Einfluss, um ihn zu stoppen. Es ist trotzdem wichtig, dass, sobald die Menschen verstehen, dass diese Kampagne in Kiew in der Ukraine steckengeblieben ist, dass sie dann Putin sagen, dass er bald seine Macht verlieren wird", so Chodorkowski.
"Davon haben wir heutzutage nur eine vage Ahnung", sagt der Putin-Feind dazu, wann der Präsident seine Macht verlieren würde. Putin müsse aber Menschen in die Ukraine schicken, die in Russland politische Proteste hätten niederschlagen müssen. Umso mehr solcher Personen Putin schicken müsse, umso schwieriger sei es, die Proteste in Russland unter Kontrolle zu halten. Umgekehrt, je mehr Putin die Proteste unterdrücken wolle, umso weniger Truppen könne er in die Ukraine schicken, so der Geschäftsmann. Und die Proteste würden zunehmen, wenn die Bürger die Sanktionen in der eigenen Brieftasche spüren würden und sobald Putin den Tod von Soldaten nicht mehr vertuschen könne.
„"Putin hat von seiner eigenen Armee geglaubt, dass sie unübertroffen ist. Aber die Armee kann diesen Widerstand nicht brechen"“
Sei ein Protestaufruf von London aus nicht recht einfach und risikolos, wollte Moderator Wolf wissen. "Das ist amüsant zu hören, denn ich befinde mich 300 Meter weit weg von der Stelle, an der Litwinenko vergiftet wurde und ein paar Dutzend Kilometer weit weg von dort, wo Skripal vergiftet wurde. Aber sonst haben Sie natürlich recht, es ist absolut risiko- und gefahrlos. Ich rufe die Russen dazu auf, an diesen Protesten teilzunehmen, und das könnte man als Rat eines Außenstehenden empfinden, wäre ich nicht zehn Jahre lang in Gefängnissen gesessen", so Chodorkowski.
"Aus irgendeinem Grund, den ich nicht verstehe, hat Putin geglaubt, dass die Ukraine ihn als Befreier von der Kiewer Junta begrüßen werde, die er sich selbst ausgedacht hat. Tatsächlich gibt es keine Blumen, sondern eine militärische Antwort, einen sehr ernsten Widerstand. Putin hat von seiner eigenen Armee geglaubt, dass sie unübertroffen ist. Aber die Armee kann diesen Widerstand nicht brechen. Sein dritter Fehler war zu glauben, die Russen unterstützen diesen Krieg. In Wahrheit sehen die Russen diesen Krieg nur durch die Propaganda. Und diese Propaganda zerbricht, sobald die russischen Soldaten auf die Menschen treffen, gegen die sie kämpfen", sagte Chodorkowski.
„"Eine Alternative wäre, taktische Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen, aber das wäre Selbstmord"“
Putin werde sehr schnell verstehen, dass er nicht mit der Loyalität seiner Armee rechnen könne, attestierte der Milliardär: "Er war niemals ein genialer Stratege, das habe ich immer wieder betont. Diejenigen, die ihn für einen solchen gehalten haben, die haben sich davon überzeugen können, dass das ein Irrglaube war. Das Problem eines autoritären Führers ist, dass er keinen Zugang zu realen Informationen hat. Er wird nur mit Informationen gefüttert, die ihm gefallen."
Nur schwer vorstellen könne sich der Geschäftsmann, dass Putin tatsächlich Atomwaffen im Ukraine-Krieg einsetzen werde: "Er ist ein besessener Mensch und nicht ganz berechenbar. Aber er ist kein Selbstmörder. Das sieht man ja, wenn man sich anschaut, welche Entfernung er am Tisch gegenüber seinen engsten Mitarbeitern einhält. Er hat Angst vor dem Tod. Und Atomwaffen einzusetzen, das wäre der sichere Tod." Putin werde "in ein paar Wochen" verstehen, dass seine Armee in einem Gebiet mit feindlicher Bevölkerung nicht versorgt werden könne und dass er die Städte nicht einnehmen könne, so der Geschäftsmann. Seine Einschätzung: Putin werde mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Oleksandrowytsch Selenskyj "aus einer schwachen Position" heraus verhandeln müssen. Eine Alternative wäre, "taktische Atomwaffen in der Ukraine einzusetzen, aber das wäre Selbstmord."