Ansage an den Westen
Das ist der "einzige Weg", um Putins Regime zu brechen
Der renommierte Historiker Timothy Snyder argumentiert, dass der Ukraine-Krieg erst enden wird, sobald es zu Veränderungen innerhalb Russlands kommt.
In wenigen Tagen geht Wladimir Putins blutiger Krieg gegen die Ukraine in sein drittes Jahr. Mit der Unterstützung der westlichen NATO-Länder haben es die Verteidiger bis jetzt geschafft, sich gegen die zumindest auf dem Papier erdrückende Übermacht der russischen Armee zu erwehren. Der Konflikt direkt an den Grenzen der EU war auch bestimmendes Thema bei der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz.
An dieser hatte auch der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder (54, siehe Infobox zu seiner Person unten) teilgenommen. Am Montag schilderte er bei einer Pressekonferenz in Wien seine Eindrücke aus München.
Klare Ansage an die westlichen Verbündeten
"Die Ukraine macht sich ganz gut, indem sie Erfolge allein – auch ohne uns – erzielt", sagte er mit Blick auf den Krieg im Schwarzen Meer. Dort gelinge es der Ukraine weiterhin die russische Flotte in Schach und damit den Weg für Getreideexporte zur See offen zu halten. "Das ist von essentieller Bedeutung".
Er fordert in seinen Arbeiten nicht nur Putins schiefe Narrative von angeblichen historischen Ansprüchen heraus, sondern machte in Wien nun auch eine klare Ansage an die westlichen Verbündeten, sich nicht selbst einzureden, dass die Ukraine diesen Konflikt nicht gewinnen könne.
Timothy Snyder (*1969, Ohio) ist Professor an der Yale University sowie Permanent Fellow am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM). Er spricht zehn europäische Sprachen und gilt als einer der weltweit renommiertesten Experten für Holocaustforschung und Osteuropäische Geschichte.
Seine Veröffentlichungen beinhalten u.a. den Bestseller "Bloodlands: Europa zwischen Hitler und Stalin", "Black Earth: Der Holocaust und warum er sich wiederholen kann" und "On Tyranny: Twenty Lessons From the Twentieth Century".
Der jüngeren Öffentlichkeit wurde er zusätzlich bekannt als seine auf YouTube übertragene Vorlesungsreihe über die Geschichte der Ukraine im Herbst 2022 viral ging.
"Der einzige Weg, wie Russland den Krieg gewinnen kann, ist, wenn der Westen sich selbst einredet, dass Russland gewinnen muss", wird Snyder durch den "Standard" zitiert.
"Der Krieg endet, wenn sich auf der russischen Seite etwas ändert."
Er hat auch eine Lektion für geschichtsvergessene Rechtspopulisten im Gepäck, die vordergründig laut nach Frieden rufen, damit aber eigentlich eine bedingungslose Kapitulation Kiews vor dem Kreml meinen.
Kriege enden erst, wenn das politische System einer Seite nicht mehr mitmachen kann oder will, schärft der Historiker nach. Das hätten die Sowjets in Afghanistan erfahren müssen, die Amerikaner in Vietnam. Dabei würden Regierungen sich abzeichnende Niederlage oft lange nicht eingestehen wollen, doch "man wusste es irgendwann einfach", dass man verloren hatte.
"Die relevante Frage ist nicht, ob die Ukraine weitermachen kann, sondern wie Russland weitermachen kann – wie viel sind die Russen noch bereit einzustecken, wie reagieren sie, wenn es noch weitere Mobilisierungen gibt? Der Krieg endet, wenn sich auf der russischen Seite etwas ändert."
"Generationenkrieg der Alten gegen die Jungen"
Putins autokratisches und erzkonservatives Regime hätte den jungen Russen fast alle Möglichkeiten zur Entfaltung genommen. In den anderen postsowjetischen Ländern könnten die Jungen über die Zukunft sprechen, in Russland würden sie aber von den Alten, die der Vergangenheit – bzw. dem, was sie dafür halten – nachhängen, unterdrückt. "Es ist ein Generationenkrieg der Alten gegen die Jungen", analysiert der Yale-Professor.
Kreml-Kritiker tot: Weltweit gedenken Menschen Alexej Nawalny
Der Tod von Putin-Kritiker Alexej Nawalny habe aufgezeigt, "was mit Russland falsch ist". Dass davon aber große Umwälzungen ausgelöst werden, glaubt Snyder aber nicht. "Aber eines Tages wird das Regime zusammenbrechen – das ist kein Wunschdenken."
"Wir können Russland nicht ändern, das kann es nur selbst"
Der Historiker warnt aber den Westen vor dem Irrglauben, die innenpolitische Einstellung der Bürger Russlands könne von außen wesentlich beeinflusst werden. "Das haben wir versucht, und es ist gescheitert. [...] Wir verstehen sie nicht."
"Wir können Russland nicht ändern, das kann es nur selbst", macht Snyder klar. Dem Westen bliebe nur, der Ukraine zu helfen, der russischen Armee die größtmöglichen Verluste zuzufügen, was wiederum den Kreml in Bedrängnis bringen werde.
"Der einzige Weg, wie [Putins] Regime brechen kann, besteht darin, den Krieg zu verlieren. Das sagen alle meine russischen Freunde."
Analyst erwartet "Hiobsbotschaften" aus Ukraine
Das sagt sich leicht, die Umsetzung ist aber eine Herkulesaufgabe, die viele Menschenleben kostet. Die Situation an der Front wird für die Ukrainer derzeit immer schwieriger, Mangel an Waffen, Munition und frischem Personal machen sich bemerkbar. Zuletzt musste der neu bestellte Armeechef Oleksander Sirski die Stadt Awdijiwka nach Monaten erbitterten und verlustreichen Verteidigungskampfes aufgegeben werden.
Trotz der Feuerüberlegenheit der russischen Artillerie glaubt etwa Verteidigungsexperte Franz-Stefan Gady nicht daran, dass die Ukraine deswegen "unmittelbar vor dem Zusammenbruch steht", auch ein Frontkollaps zeichne sich derzeit nicht ab." Er sieht aber ein schwieriges Jahr voller "Hiobsbotschaften" voraus, in sich die Ukrainer selbst deutlich in die Defensive drängen müssten, um Kraft für einen neuen Gegenschlag zu sammeln.
Bei all dem sei die Fortsetzung der westlichen Nachschublieferungen essentiell, zuletzt stand aber besonders die Unterstützung der USA dank Donald Trump auf immer wackligeren Beinen.
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder betont nach seiner Teilnahme an der Münchner Sicherheitskonferenz, dass die Ukraine in der Lage ist, den Krieg gegen Russland zu führen
- Er warnt den Westen davor, anzunehmen, dass Russland den Konflikt gewinnen müsse
- Er argumentiert, dass der Krieg nur enden wird, wenn sich in Russland etwas ändert