Ukraine
Darum kämpfen die Klitschkos für die Ukraine
Den einen nannten sie "Dr. Steelhammer", der andere schaffte es zum Kiewer Bürgermeister. Nun stehen sie an der Front im Ukraine-Krieg.
Als Boxer haben sie alles erreicht, nun kämpfen Witali Klitschko und sein Bruder Wladimir in Kiew ihren gefährlichsten Kampf – mit ungewissem Ausgang. Als Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt ist Witali seit Beginn des russischen Angriffskriegs eines der Gesichter des Widerstands seiner Landsleute. Bilder von ihm mit Schutzweste bei der Trauung eines Ehepaares an der Front oder beim Gang durch die als Luftschutzbunker dienenden Kiewer U-Bahnhöfe gehen um die Welt. Immer an seiner Seite: sein jüngerer Bruder Wladimir.
Deutschland als zweite Heimat
Die Klitschko-Brüder, in der Ukraine ebenso populär wie im Westen, wissen um ihre immense symbolische Bedeutung für ihre Landsleute und ihre Rolle als deren prominente Stimme im Ausland. Seit Tagen versichern sie immer wieder, dass sie das Land nicht verlassen werden. "Wenn ich ginge, wäre das Verrat, und ich könnte niemals mehr in den Spiegel sehen", sagte Witali der "Welt am Sonntag".
"Natürlich kann man woanders sein", ergänzte Wladimir im selben Interview: "Aber man hat ein Zuhause." Das Gespräch führten die Brüder auf Deutsch, ihre Verbindungen nach Deutschland sind eng. Beide waren während ihrer Zeit als Schwergewichtsboxer auf Weltniveau lange beim Hamburger Universum-Boxstall unter Vertrag.
Dort gaben beide 1996 ihr Profidebüt, dort ließen sie sich mit ihren Familien nieder und gründeten Unternehmen. Witalis Ehefrau Natalia und ihre Kinder leben weiter an der Elbe. Natalia sprach dort kürzlich auf einer Großdemonstration gegen den Krieg.
Langer Weg zum Bürgermeisteramt
Witali ist inzwischen 50 Jahre alt. Seine Boxkarriere, die ihn bis auf den Weltmeisterthron führte, endete 2013. Schon zu Profizeiten engagierte sich der Zwei-Meter-Hüne für die pro-europäischen und demokratischen Kräfte in seinem Heimatland, seit der sogenannten Orangenen Revolution 2004 ist er in der Ukraine politisch aktiv.
Endgültig zur ernstzunehmenden liberalen Galionsfigur avancierte er während der Proteste gegen den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch 2014. Damals gingen Bilder von Klitschko um die Welt, wie er auf den Barrikaden im Zentrum Kiews zu den Menschen sprach.
Nachdem Janukowitsch gestürzt worden war, blieb Klitschko in der ukrainischen Politik. Zeitweise galt er sogar als dessen möglicher Nachfolger, aber dafür fehlte ihm Erfahrung. 2014 kandidierte er stattdessen erstmals erfolgreich als Bürgermeisterkandidat in Kiew. 2015 und 2020 wurde er im Amt bestätigt. In einem ausführlichen Interview mit 20 Minuten blickte er Anfang Februar auf eine mögliche russische Invasion voraus.
Sein fünf Jahre jüngerer Bruder Wladimir setzte seine gleichfalls von Weltmeistertiteln gekrönte Karriere bis 2017 fort und blieb in Deutschland. In Anlehnung an den Spitznamen "Dr. Eisenfaust", den sein fünf Jahre älterer Bruder erhielt, wurde Wladimir während seiner Karriere "Dr. Steelhammer" genannt. Auch er betätigte sich als Unterstützer der demokratischen Kräfte in der Ukraine. Im Februar ging er nach Kiew, um seinem Bruder zu helfen und sich als Freiwilliger für das ukrainische Militär zu melden.
Doktorabschlüsse und volksnahes Auftreten
Die Klitschkos stammen aus einer Militärfamilie. Witali wurde als Sohn eines sowjetischen Luftwaffenoffiziers aus der Ukraine am 19. Juli 1971 in Kirgistan geboren, Wladimir am 25. März 1976 in Kasachstan. 1984 zog die Familie in die Ukraine, wo die Brüder weiter aufwuchsen und lebten. Dort begann auch ihre Boxkarriere.
Gemeinsam dominierten die Klitschkos über viele Jahre hinweg das Schwergewichtsboxen. Zugleich wurden die mediengewandten Brüder, die als Sportwissenschaftler promovierten, mit ihrem freundlichen Auftreten zu Sympathieträgern abseits des Rings. Sie brachen mit dem Klischee des schlichten Schlägers, machten in Deutschland am Ende gar Fernsehwerbung für Kinder-Süßigkeiten und Fitnessstudios.
All das allerdings scheint derzeit weit weg, wie aus einem anderen Leben. Er habe geschworen, sein Land zu verteidigen, sagte Witali vor einigen Tagen in einem Interview mit dem ARD-"Morgenmagazin" aus dem zur Festung gewordenen Kiew.
"Wenn ich sterben muss, dann sterbe ich. Es ist eine Ehre, für sein Land zu sterben, für jeden, der sein Land liebt." Wenn er morgens aufwache, denke er, es sei alles ein Traum, fügte er noch an. "Aber es ist leider Realität."