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Breivik schrieb Opfer Brief und bat um Begnadigung

Am 22. Juli 2011 erschoss Anders Behring Breivik Dutzende Jugendliche auf der Insel Utøya. Seine Opfer lässt er bis heute nicht in Ruhe.

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Anders Behring Breivik tötete 77 Menschen.
Anders Behring Breivik tötete 77 Menschen.
LISE AASERUD / AFP / picturedesk.com

"Ob der 22. Juli Norwegen verändert hat?" Kamzy Gunaratnam schüttelt den Kopf und bringt damit ihre schwarzen Locken in Bewegung. "So leicht ist das nicht", sagt die 33-Jährige bestimmt. "Wir haben uns das Versprechen gegeben: Nie wieder 22. Juli. Wir haben einander versprochen, niemals zuzulassen, dass sich ein solcher Hass ausbreitet. Und dieses Versprechen haben wir nicht gehalten."

Nicht nur Gunaratnam sieht das so: In einer aktuellen Studie zu den Nachwirkungen des Massenmords sagen rund 60 Prozent der Norweger, dass die verantwortlichen Politiker nach dem 22. Juli 2011 nicht genug gegen den Rechtsextremismus im Land unternommen hätten.

"Ich dachte, ich müsste wählen, wie ich sterben will"

Heute, am 22. Juli, ist es zehn Jahre her, dass Norwegen die schlimmste Gewalttat seiner Geschichte seit dem Zweiten Weltkrieg erlebte. Der Terrorist Anders Behring Breivik zündete im Osloer Regierungsviertel eine selbstgebaute Bombe und tötete damit acht Menschen. Anschließend fuhr er zur Insel Utøya, wo die Jugendorganisation der Sozialdemokraten ihr jährliches Zeltlager veranstaltete.

Breivik hatte sich selbst eine "Lizenz zur Jagd auf Multikulti-Verräter" ausgestellt, er wollte die ganze Junggeneration der Sozialdemokraten auslöschen. Er erreichte die Insel als Polizist verkleidet und erschoss die Teilnehmer wahllos. Breivik tötete 69 überwiegend jungen Menschen.

Kamzy Gunaratnam überlebte. Weil sie sich schnell entschieden hatte, zum Festland zu schwimmen. Zuvor hatte sie sich in einem WC eingeschlossen, war dann losgerannt und hatte sich unter einer Klippe am Ufer versteckt. Dann sprang sie ins Wasser und schwamm um ihr Leben. "Ich dachte, ich müsste wählen, wie ich sterben will. Ich bin nicht gut im Schwimmen, aber ich wollte auch nicht erschossen werden."

"Liebe Kamzy Gunaratnam" mit Smiley

Heute ist die gebürtige Tamilin, die wegen des Bürgerkriegs zwischen Tamilen und Singhalesen mit drei Jahren nach Norwegen gekommen war, die stellvertretende Bürgermeisterin von Oslo. Eines ihrer wichtigsten Ziele ist die Bekämpfung des Rechtsradikalismus. "Die Leute sprechen nicht gern darüber, dass Breivik ein Ergebnis der norwegischen Gesellschaft ist", sagt sie. "Wir müssen uns fragen, wie wir verhindern können, dass sich der 22. Juli wiederholt."

Für sie selbst wiederholte sich der 22. Juli ein Stück weit, als sie letztes Jahr einen 22 Seiten langen Brief im Büro vorfand. Unterzeichnet war er von einem Fjotolf Hansen. "Es fühlte sich an, als würde das ganze Rathaus unter meinen Füßen schwanken", erzählt Gunaratnam dem Magazin "Der Spiegel".

Sie wusste nur zu gut, wer dieser Fjotolf Hansen war, nämlich Anders Behring Breivik, der sich seit 2017 so nennt. "Liebe Kamzy Gunaratnam", schrieb er aus dem Gefängnis Skien heraus – und setzte hinter die Anrede ein Smiley. Gunaratnam wurde es speiübel.

Um bessere Haftbedingungen gebeten

Auf den 22 Seiten legt der Rechtsterrorist dar, wie er sich gewandelt hat: Vom Rechtsextremisten zum demokratischen Rechtspopulisten. Dazu habe er allerhand Verschwörungsmythen gewälzt. Den Vogel aber schoss Breivik ab, als er Gunaratnam um bessere Haftbedingungen bat – und um eine Begnadigung nach 21 Jahren Haft.

In Norwegen beträgt die Höchststrafe 21 Jahre. Geht von dem Verurteilten aber weiterhin Gefahr aus, kann die Haftstrafe verlängert werden. Davon wird im Fall Breivik allgemein ausgegangen. Um Verzeihung bat Breivik in seinem Brief nicht, er zeigt bis heute keine Reue.

Kamzy Gunaratnam
Kamzy Gunaratnam
Sigrid Harms / dpa / picturedesk.com

Breiviks Brief hat Gunaratnam ihrem Anwalt gegeben. Er solle dafür sorgen, dass sie keine Zusendungen mehr aus dem Gefängnis kriegt. Gleichzeitig antwortete sie dem Massenmörder in einem offenen Brief, den sie in einem Buch veröffentlichte, das vor einigen Wochen in Norwegen erschien.

"Du wolltest mich töten. Warum, für wen?", fragt sie Breivik darin. Weiter schreibt Oslos stellvertretende Bürgermeisterin: Sie setze sich als Politikerin für bessere Schulen, mehr sozialen Zusammenhalt und gegen die Vernachlässigung von Kindern ein – ein Kampf, den sie sogar für Breivik führe. Immerhin sei er ein Scheidungskind, das daheim und in der Schule übersehen und vernachlässigt worden sei, ehe er sich radikalisierte.

Für diesen Kampf habe sie sich für die richtigen Mittel entschieden, er für die falschen: "Ich bin besser als Du, Anders. Ich bin eine bessere Norwegerin".

Breivik beklagt sich über kalten Kaffee

Ob und wie Breivik auf Gunaratnams offenen Brief reagierte, ist nicht bekannt. Åsne Seierstad, die ein Buch über Breivik geschrieben hat, erzählt über den Gefängnisalltag des 42-Jährigen: "Er spricht von Plastikbesteck als 'quälerisches Dasein' oder von kaltem Kaffee oder davon, 20 Minuten warten zu müssen, bevor er rausgelassen wird. Er redet über diese Dinge, als wären sie schlechter Zimmerservice in einem Hotel".

Da passt es auch gut, dass Breivik Filmproduzenten die Rechte an der Verfilmung seines Lebens anbieten soll – für mehrere Millionen Euro. Zudem habe er in seiner Luxuszelle – er verfügt über drei Zimmer – bereits eine Biografie sowie ein Drehbuch verfasst sowie Einladungen zu Interviews verschickt. "Er hat nie Reue gezeigt", so Autorin Seierstad. "Was er will, ist eine Bühne, einen Ort, um seine Gedanken und seine Botschaften zu teilen. Und um mehr Unterstützer zu gewinnen."

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