Überraschend verstorben
Bierleins Vize sagt, was Regierung von ihr lernen kann
Altkanzlerin Brigitte Bierlein ist am Montag überraschend verstorben. Ihr damaliger Vizekanzler erinnert im ORF an ihre herausragenden Qualitäten.
Auf den Tag genau fünf Jahre nach ihrer Angelobung als erste Bundeskanzlerin der Republik Österreich ist Brigitte Bierlein von uns gegangen. Der plötzliche Tod der 74-jährigen Top-Juristin schockte am Montag das ganze Land.
Die gesamte Spitzenpolitik kondolierte, Bundespräsident Alexander Van der Bellen verabschiedete sich in einem berührenden Video-Nachruf: Bierlein sei "für uns alle ein Vorbild" gewesen.
VIDEO: Van der Bellens berührender Nachruf auf Brigitte Bierlein
In der ZIB2 erinnerte sich ihr Weggefährte und damaliger Vizekanzler Clemens Jabloner an die gemeinsamen 218 Tage im Amt mit jener starken Frau, die nie eine Politikerin sein wollte.
"Meine erste Assoziation war, dass hier ein besonders lauterer und freundlicher Mensch gestorben ist. Dass sie so weltzugewandt war und, dass ihr die Welt abhanden gekommen ist – und sie der Welt abhanden gekommen ist", schilderte der langjährige Präsident des Verwaltungsgerichtshof seine Gedanken nachdem er von ihrem Tod erfahren hatte. Obwohl er seit einigen Wochen gewusst habe, dass es ihr sehr schlecht gehe, sei die Nachricht dennoch "erschütternd" gewesen.
Durch und durch kompetent
Bierlein, die sich selbst nicht als Feministin verstand, hatte eine herausragende Karriere hingelegt und war gleich mehrfach die erste Frau in vielen Top-Positionen der Justiz. Das habe sie durch ihre hohe Fachkompetenz und ihr zwischenmenschliches Gespür geschafft, erinnerte sich Jabloner im Gespräch mit Armin Wolf: "Sie hat in idealer Weise diese fachlichen und sozialen Fähigkeiten verbinden können. Es stand bei ihr nicht im Vordergrund, dass jetzt sie als Frau das wird, sondern es war eine gewisse Selbstverständlichkeit, die sich aus ihrer Qualität ergeben hat."
Die Popularität von Bierleins sachlicher und ruhiger Expertenregierung schreibt Jabloner der aufgeheizten Stimmung in Folge der ÖVP-FPÖ-Regierung von Sebastian Kurz und dem Ibiza-Skandal davor zu: "Ich glaube, dass davor eine Politik auf die Spitze getrieben wurde, die die tägliche Aufregung gesucht hat. Es ist vielleicht so, dass die Menschen in Österreich nicht unbedingt diese tägliche Aufregung, die auch eine Belästigungscharakter annehmen kann, so gerne erdulden möchten."
Die folgende Phase der Beruhigung, Besinnung und Reparatur habe den Bürgern gezeigt, dass der Staat und die Gesellschaft auch "ohne dieses Getöse auskommen" könne. Politik sei zwar auch von Bierleins Expertenregierung gemacht worden, "aber es wurde nicht in spektakulärer Weise jetzt verkündet, was man sich vorstellt."
"Zusammengewürfelten Haufen" geeint
Er und die übrigen Minister seien ein "zusammengewürfelten Haufen" aus Personen gewesen, die sich alle eher weniger als mehr gekannt hatten. Es sei die besondere Leistung Bierleins gewesen, sie alle binnen kürzester Zeit zu einem Team zu formen. Es habe schnell ein Wir-Gefühl unter den Mitgliedern gegeben, das auch über das Ende der Regierung hinausgewirkt hatte, so Jabloner.
"Brigitte Bierlein war eine der freundlichsten Menschen, denen ich je begegnen bin". Diese Qualität habe sie auch als Kanzlerin nicht verloren. Als Regierungschefin habe sie "unvergleichliche Mischung" aus Lauterkeit und Autorität, ohne jegliche Anbiederei ausgestrahlt. Trotz ihrer Offenheit und Freundlichkeit habe sie immer eine gewisse Distanz gewahrt.
Rat für künftige Regierungen
Auf Nachfrage des Moderators hat Jabloner auch einen Rat für künftige Regierungen parat: "Lernen sollten die Minister und Ministerinnen, dass sie sich mit dem eigenen Ressort und dessen Notwendigkeiten vertraut machen. Dass sie die Strukturen durchschauen und nicht so sehr fixiert sind auf spektakuläre Leuchttürme, die aufgestellt werden."
Dazu gehöre auch, die eigenen Bediensteten zu verstehen, zu leiten und ihre Aufgaben ernst zu nehmen. "Also Politik in einem tieferen Sinn machen, als das vielleicht nur das Tagesgeschäft darstellt."
Er schloss mit einem berührenden Nachruf auf Bierlein: "Sie war eine Citoyenne und im besten Sinn bürgerlich und eine große Dame."
Die Bilder des Tages
Auf den Punkt gebracht
- Brigitte Bierlein, die erste Bundeskanzlerin Österreichs, ist am fünften Jahrestag ihrer Angelobung verstorben
- Ihr plötzlicher Tod hat das Land schockiert, und Politiker wie Bundespräsident Alexander Van der Bellen haben ihre Verdienste gewürdigt
- Ihr Weggefährte Clemens Jabloner erinnerte sich an ihre Kompetenz und betonte, dass sie eine einzigartige Regierung geführt habe, die auch über ihr Ende hinauswirkte