Österreich

Betreuer überfordert, Polizei muss in jede 2. Jugend-WG 

Die Volksanwaltschaft überprüfte 131 sozialpädagogische Wohngemeinschaften in ganz Österreich. Personalmangel führt dabei oft zu Polizeieinsätzen.

Christine Ziechert
In 41 % der WGs musste die Polizei wegen aggressivem Verhaltens von Jugendlichen anrücken (Symbolbild).
In 41 % der WGs musste die Polizei wegen aggressivem Verhaltens von Jugendlichen anrücken (Symbolbild).
Getty Images/iStockphoto

Fehlendes Personal, falsche oder unzureichende Ausbildung und teilweise massive Überforderung: Die Volksanwaltschaft besuchte von April 2021 bis Oktober 2022 insgesamt 131 (von rund 500) sozialpädagogischen Wohngemeinschaften für Kinder und Jugendliche in ganz Österreich – mit bedenklichen Ergebnissen.

So gaben die Betreuer in 41 % der Einrichtungen an, dass es in den letzten sechs Monaten (vor dem Besuch) zu einem oder mehreren Polizeieinsätzen wegen aggressivem Verhaltens der Minderjährigen gekommen war. In einigen Einrichtungen mussten die Beamten sogar wöchentlich oder monatlich anrücken. In einer Wohngemeinschaft kam es zu ständigen Polizei-Einsätzen.

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    Helmut Graf
    "In fast jeder zweiten Einrichtung wussten sich die Beschäftigten nur mehr zu helfen, indem sie die Polizei gerufen haben" - Volksanwalt Bernhard Achitz

    "Dieses Ergebnis hat mich sehr überrascht. Es hat sich gezeigt, dass es Auswirkungen hat, wenn man am falschen Platz spart. In fast jeder zweiten Einrichtung wussten sich die Beschäftigten nur mehr zu helfen, indem sie die Polizei gerufen haben. Wir halten das für sehr bedenklich", meint Volksanwalt Bernhard Achitz im Rahmen eines Pressegesprächs.

    Ähnlich zeigen sich die Zahlen bei der Häufigkeit der Psychiatrie-Einweisungen: 42 % der Betreuer gaben an, darauf zurückgegriffen zu haben. Achitz führt dies unter anderem auf unzureichende Kompetenzen und falsche Deeskalationstechniken zurück und fordert verpflichtende Fort- und Weiterbildungsprogramme etwa zum Thema Traumapädagogik.

    Oft nur ein Betreuer für acht bis 12 Kinder

    Nur die Hälfte der Betreuer in den Wohngemeinschaften hat zudem eine sozialpädagogische Ausbildung und ist damit für den Einsatz in diesen Einrichtungen gut gerüstet: "Das kann so nicht funktionieren. Es gibt Träger, in deren WGs nicht ein einziger Betreuer mit sozialpädagogischer Ausbildung arbeitet. Es braucht Verständnis für Traumatisierungen und qualifiziertes Personal", kritisiert Gerald Herowitsch-Trinkl vom Dachverband Österreichischer Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtungen.

    Ein weiterer Kritikpunkt: Teils massiver Personalmangel und hohe Fluktuation in den Teams: "Die Personalnot ist massiv. Diese Situation wird durch oft fehlende Standards noch verschärft", meint Herowitsch-Trinkl. Hinzu kommt, dass es bundesweit keine einheitlichen Vorgaben in Bezug auf den Betreuungsschlüssel gibt – jedes Bundesland entscheidet eigenständig. So kümmert sich häufig in der Nacht, aber auch tagsüber, nur ein Sozialpädagoge um acht bis 12 Kinder: "Aus unserer Sicht müssten mindestens zwei Sozialpädagogen vor Ort sein, noch besser wären drei", so Herowitsch-Trinkl.

    "Es gab Freiheitsentziehungen wie Ausgangssperren, Einsperren ins Zimmer, aber auch die Verabreichung von beruhigenden Medikamenten" - Bernhard Achitz

    Nicht im Fokus der unangemeldeten Besuche standen mögliche Menschenrechtsverletzungen und menschenunwürdiges Verhalten. Dennoch wurde auch hier Fälle festgestellt: "Es gab Freiheitsentziehungen wie Ausgangssperren, Einsperren ins Zimmer, aber auch die Verabreichung von beruhigenden Medikamenten", meint Volksanwalt Achitz und verspricht eine Wiederholung der Besuche in "angemessener Zeit".

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