"Verheerende" Auswirkungen
Atlantik-Kollaps droht – das sind die Folgen für Europa
Europa verdankt sein gemäßigtes Klima einem riesigen System an Meeresströmungen im Atlantik. Doch dieses könnte in wenigen Jahrzehnten kollabieren.
Der Golfstrom ist vielen ein Begriff, allerdings ist er nur Teil der weniger bekannten und begrifflich deutlich sperrigeren Atlantische Meridionale Umwälzbewegung (AMOC, siehe Infobox unten).
Wie das Herz Blut durch den menschlichen Körper pumpt sie gigantischen Wassermengen in einem Kreislauf durch den Atlantik. Warmes Wasser aus Süden wird in den Norden geschaufelt wo es seine Wärme abgibt, absinkt und kalt wieder zurückfließt. Dieses System an Meeresströmungen ist der Grund, weshalb ein großer Teil Nordamerikas und Europas das aktuell vorherrschende gemäßigte Klima genießen kann.
Jetzt steuert diese maritime Lebenskreislauf laut neuesten Erkenntnissen niederländischer Forscher allerdings auf einen "verheerenden Kipppunkt" zu. Und – auch das zeigen die Modellrechnungen – der Kollaps wird rasend schnell ablaufen. Die Folgen würden Europa für immer verändern.
Das Team rund um Klimaphysiker René Van Westen von der Universität Utrecht hat dazu mit einem Supercomputer und dem hochmodernen Klimamodell Community Earth System Model (CESM) die Auswirkungen eines steigenden Süßwasserzuflusses im Atlantik, u.a. durch verstärkte polare Eisschmelze in Folge der Erderwärmung, auf das AMOC-Strömungssystem über einen Zeitraum von 4.400 Jahren simuliert.
AMOC bestimmt unser Klima
Die Atlantische Meridionale Umwälzbewegung (AMOC) funktioniert wie eine Art riesiges globales Förderband: Sie transportiert warmes, sehr salziges Wasser aus den Tropen Richtung Polarkreis, wo das Wasser abkühlt und wegen seiner größeren Dichte absinkt. In der Tiefe strömt es dann deutlich abgekühlt in südlicher Richtung ab.
Die Meeresströmungen transportieren so Wärme und Nährstoffe in verschiedene Gebiete der Erde und tragen entscheidend dazu bei, dass das Klima in großen Teilen der nördlichen Hemisphäre relativ mild bleibt.
Durch das Mehr an Süßwasser verringert sich nämlich der Salzgehalt des Nordatlantiks und damit auch dessen Dichte, was einen Abriss der Atlantik-Umwälzbewegung zu Folge haben wird. In der Modellrechnung passierte das abrupt ab Modelljahr 1758 (siehe die Grafiken in der folgenden Diashow).
Kipppunkt nahe – Atlantik-Strömung steht vor Kollaps
Diesen schon länger angenommenen Kipppunkt zeigt die niederländische Studie, die am 9. Februar 2024 in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift "Science Advances" veröffentlicht wurde, nun in aller Klarheit und dazu erstmals im Kontext eines globalen Klimamodells.
AMOC bereits "auf Kippkurs"
Mit dem gefundenen Kipppunkt begaben sich die Forscher auf die Suche nach bereits sichtbaren Frühwarnzeichen auf Basis aktueller Beobachtungsdaten aus dem Südatlantik – und kamen zu einer vernichtenden Schlussfolgerung. Die AMOC befindet sich bereits "auf Kippkurs" und steuert auf einen neuerlichen Kollaps zu.
Neuerlich? Ja, denn die Strömung ist in der Erdgeschichte bereits mehrmals kollabiert, zuletzt vor etwa 12.000-13.000 Jahren. Auch damals dürfte eine rasante Gletscherschmelze zum Ende der letzten Eiszeit (Weichsel-Kaltzeit) die Ursache für den rund 1.000 Jahre dauernden Kälterückfall der jüngeren Dryas in der Nordatlantikregion gewesen sein, wie der Klimatologe Stefan Rahmstorf in seiner Analyse der niederländischen Studie hervorhebt.
Deshalb können die Wissenschaftler auch gut abschätzen, was die Folgen einer Wiederholung wären: "Schlechte Nachrichten für das Klimasystem und für die Menschheit", ziehen die niederländischen Forscher in ihrer Veröffentlichung ein düsteres Fazit.
Bis zu 30 Grad kältere Winter
Auch der deutsche Kollege spricht von "verheerenden Auswirkungen" eines solchen AMOC-Kollaps in der heutigen Zeit, insbesondere für Nordeuropa von Großbritannien bis Skandinavien. Die Wintertemperaturen würden innerhalb eines Jahrhunderts um 10 bis 30 Grad Celsius abfallen, was bereits nach ein oder zwei Jahrzehnten zu einem völlig anderen Klima führen würde. "Dies ist im Einklang mit paläoklimatischen Daten für abrupte Änderungen der Ozeanzirkulation", bestätigt Rahmstorf.
Selbst im deutlich südlicher und kontinentaler gelegenen Österreich wären die Auswirkungen noch zu spüren. Laut der Studie käme es etwa in Wien zu merkbar kälteren Wintern, die Februartemperaturen würden in etwa um 5 bis 10 Grad absinken (siehe Diashow oben). Zudem könnte es mehr Winterstürme geben.
Einziger positiver Aspekt: die immer heißer werdenden Sommer würden leicht (circa 1 Grad) abgekühlt. Doch auch hier gibt es ein Aber. Die Ergebnisse einer weiteren Studie deuten darauf hin, dass eine Abschwächung des Golfstroms und somit kühlere Wassertemperaturen im Nordatlantik die großräumige Luftdruckverteilung der Region entscheidend verändern, wie auch der UWZ-Meteorologe Nikolas Zimmermann hervorhebt. Das wiederum dürfte im Sommer Hitzewellen in Europa begünstigen, wie es etwa auch im Jahr 2015 der Fall war. "Damals war der subpolare Atlantik so kalt wie noch nie zuvor seit Messbeginn und in Mitteleuropa gab es einen der bislang heißesten Sommer der Messgeschichte", erklärt er.
Kollaps noch in diesem Jahrhundert?
Die Auswirkungen wären aber nicht auf Europa beschränkt, sondern global. Es käme zu erheblichen Verschiebungen der tropischen Niederschlagsgürtel und der Meeresspiegel des Nordatlantiks würde regional um bis zu einem Meter ansteigen. Und das in einem Tempo, für das keine Küstenstadt bisher gewappnet ist.
Wann es dazu kommt, ist unklar. Die Niederländer verweisen in ihrer Arbeit auf eine im Vorjahr erschienene Studie dänischer Kollegen (Ditlevsen et al.). Deren Schätzung, dass der Kipppunkt "höchstwahrscheinlich zwischen 2025 und 2095 (95% Konfidenzintervall)" erreicht sein wird, "könnte akkurat sein". Van Westen räumt aber ein, dass solche Berechnungen aber mit großen Unsicherheiten behaftet seien.
Sehen wir eindeutiges Warnsignal, ist es bereits zu spät
"Angesichts der Auswirkungen muss das Risiko eines AMOC-Zusammenbruchs unbedingt vermieden werden", warnt Rahmstorf. "Wie ich schon früher sagte: Die Frage ist nicht, ob wir sicher sind, dass dies passieren wird. Es geht darum, dass wir dies mit einer Wahrscheinlichkeit von 99,9 % ausschließen müssen."
Er mahnt vor einem "Abwarten-und-Teetrinken"-Ansatz: "Sobald wir ein eindeutiges Warnsignal haben, wird es angesichts der Trägheit des Systems zu spät sein, etwas dagegen zu unternehmen."