Aus der Antarktis
Fund in 651 Meter langem Bohrkern entsetzt Forscher
Erstmals wurde eine rasante Eisschmelze nachgewiesen, die vor 8.000 Jahren alles veränderte. Forscher fürchten, dass das wieder passieren könnte.
Eisbohrkerne liefern der Wissenschaft einen einzigartigen Blick in die Vergangenheit der Erde. Forschern der Universität Cambridge und der British Antarctic Survey haben darin nun erstmals direkte Hinweise gefunden, dass es zum Ende der letzten Eiszeit zu einer dramatischen Gletscherschmelze in Rekordtempo gekommen ist. Es kam zu einem massiven Rückzug des Eises, der sich erst auf ungefähr dem heutigen Niveau wieder stabilisierte.
Vor rund 8.000 Jahren hatte die westantarktische Eisschicht demnach 450 Meter an Dicke verloren – und das alles innerhalb von nur zwei Jahrhunderten. Die im Fachmagazin "Nature Geoscience" veröffentlichte Studie zeigt auf, wie fragil das antarktische Eis gegenüber globalen Temperaturveränderungen reagiert.
651 Meter langer Bohrkern
Es ist laut Angaben der Universität das erste Mal überhaupt, dass die aus Modellrechnungen bereits angenommene Schmelze in der Antarktis genau datiert und nachgewiesen werden konnte.
Dazu bohrten sich Wissenschafter im Jahr 2019 durch die Eisschicht am sogenannten "Skytrain Eisdom" (eng. Skytrain Ice Rise) bis zum Felsenuntergrund hinunter. Der resultierende Bohrkern war satte 651 Meter lang.
Die anschließenden Messungen von eingeschlossenen Wasser-Isotopen und uralten Luftbläschen zeigten einen rapiden Rückgang in der Dicke vor rund 8.000 Jahren. Etwa 300 Jahre später wurden sogar Natriumrückstände aus Meeresgischt gefunden. Das zeigt, dass das heute vorliegende Filchner-Ronne-Schelfeis damals hunderte Kilometer weiter Inland endete.
"Das war klar ein Kipppunkt"
"Wir haben jetzt den direkten Beweis, dass die Eisschicht in der Vergangenheit eine rapide Schmelze erlebt hat [...]. Als das Eis dünner wurde, hat es sich sehr schnell zurückgezogen. Das war klar ein Kipppunkt und ein außer Kontrolle geratener Prozess", sagt Studienautor und Cambridge-Professor Eric Wolff.
Der Westantarktische Eisschild ist dafür besonders anfällig, da das Eis auf Felsenboden aufsitzt, der eigentlich unter dem Meeresspiegel liegt. Durch das weltweite Tauwetter dürfte es damals zu einem Ablösen und Unterspülung der Eisschicht mit wärmerem Meerwasser gekommen sein, was dann die Schmelze am nahen Bohrpunkt auslöste.
"Es könnte neuerlich passieren"
Die Entdeckung schockt. Die Sorge der Forscher: die voranschreitende Erderwärmung könnte einen neuerlichen Kollaps des Westantarktischen Eisschilds zur Folge haben. Wolff: "Das ist kein Szenario, das nur in unseren Modellrechnungen existiert, und es könnte neuerlich passieren, wenn Teile der Eisschicht instabil werden."
Jetzt sei es bedeutend, herauszufinden, welches Maß an Erwärmung eine solch rasante Schmelze heutzutage auslösen könnte, mahnt der Forscher. Die dank dem Bohrkern gewonnenen Daten aus der Vergangenheit sollen helfen, die bestehenden Klimamodelle sowie deren Vorhersagen zur Geschwindigkeit in der Zukunft zu verbessern.
Die Schmelze ist bereits im Gange: 2023 wurde bereits ein neues Rekord-Minimum der Meereisausdehnung in der Südpolregion beobachtet. In Summe beinhaltet der antarktische Eisschild so viel Süßwasser, dass bei einem kompletten Abtauen der weltweite Meeresspiegel um 57 Meter ansteigen würde.
Auf den Punkt gebracht
- Forschungsbohrkerne aus der Antarktis haben Hinweise darauf geliefert, dass es zum Ende der letzten Eiszeit zu einer dramatischen Gletscherschmelze gekommen ist, bei der die westantarktische Eisschicht innerhalb von nur zwei Jahrhunderten 450 Meter an Dicke verloren hat
- Diese Entdeckung verdeutlicht die Empfindlichkeit des antarktischen Eises gegenüber globalen Temperaturschwankungen und gibt Anlass zur Sorge, dass die aktuelle Erderwärmung zu einem erneuten Kollaps des Westantarktischen Eisschilds führen könnte
- Die gewonnenen Daten sollen dazu beitragen, bestehende Klimamodelle zu verbessern und die möglichen Auswirkungen einer beschleunigten Eisschmelze in der Zukunft besser zu verstehen