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"Assassin's Creed Mirage" im Test – alte Stärken
Das neue "Assassin's Creed Mirage" besinnt sich der Wurzeln der Serie und streicht Sammelwut und Rollenspiel-Überfluss für mehr Action und Schleichen.
Mit "Assassin's Creed Origins", dem zehnten Teil der Action-Adventure-Reihe, erfand Ubisoft das Gameplay der Reihe im Jahr 2017 zum Teil neu. So durften angehende Assassinen nun freier in der offenen Spielwelt auf Erkundung gehen und dabei Haupt- und Nebenmissionen selbst anwählen oder sich ihrer Sammelwut mit Hunderten versteckten Geheimnissen und Items nachgehen. Auch das Kampfsystem wurde völlig umgebaut und machte dynamischere Gefechte statt dem simplen Anschleichen und Zuschlagen möglich. Das folgende "AC"-Game "Odyssey" (2018) ergänzte dies noch um weit mehr Rollenspiel-Elemente wie Dialog-Optionen, je nach Vorgangsweise unterschiedliche Missionen und auch verschiedene Enden.
Diese Rollenspiel-Elemente zogen sich bis in die kleinsten Details, etwa ein Rache-System beim Töten von friedlichen Bürgern, ein sehr ausführliches Fähigkeiten-System mit zahlreichen freischaltbaren und aktiven Skills (der Vorgänger bot nur passive Effekte) oder auch, dass man je nach gewählten Taten und Dialogen romantische Beziehungen mit NPCs eingehen durfte. Zudem wurde der Kampf durch aufladbare Attacken und ein Ausrüstungssystem noch komplexer und Rollenspiel-lastiger. "Assassin's Creed Valhalla" trieb die Entwicklung im Jahr 2020 schließlich auf die Spitze – inklusive komplett anpassbarer Spielfigur, völlig einzigartigen Ausrüstungsgegenständen und einem beachtlich ausführlichen Skill-Tree.
Quasi ein spielerischer Neustart der Assassinen-Reihe
Nun geht es mit dem neuen "Assassin's Creed Mirage" (für PC, PlayStation 4 und 5, Xbox One und Series X|S sowie Amazon Luna) wieder komplett zurück zu den Anfängen der Serie – man könnte das Game sogar als spielerischen Neustart bezeichnen. Heißt: Im Mittelpunkt von "Mirage" steht das Anschleichen an und möglichst lautlose Ausschalten eines Ziels. Gigantische Spielwelt, überbordende Rollenspiel-Elemente, Ablenkungen an jeder Ecke – das alles haben die Macher im neuen Teil entweder komplett gestrichen oder drastisch reduziert. Und auch bei der Handlung geht es ein gutes Stück vor die Zeit des vor drei Jahren erschienenen "Valhalla" und in ein ganz anderes Setting – nämlich ins Bagdad des 9. Jahrhunderts.
Auch seine eigene Spielfigur darf man sich in "Mirage" nicht mehr erschaffen. Stattdessen treffen wir als Protagonisten auf Basim Ibn Ishaq, den Fans bereits aus dem Vorgänger kennen. Zum Auftakt von "Mirage" ist Basim allerdings noch ein Straßendieb, der die Märkte Bagdads durchstreift und alles mitgehen lässt, das dort so herumliegt oder von den NPCs in ihren Taschen getragen wird. Flink, wie er dazu sein muss, huscht Basim durch die engen Gassen der Stadt, taucht in der Menge unter oder aber springt akrobatisch über die Dächer der Häuser. Geplagt von mysteriösen Albträumen findet Basim schließlich Hilfe und Rückhalt bei den "Verborgenen", die ihn zu dem Meisterassassinen ausbilden wollen, den Fans kennen.
Die Story wurde mit viel Liebe zum Detail umgesetzt
Auch "Mirage" bietet beim Start das, was so viele "AC"-Games davor in petto hatten: Der Protagonist erleidet einen brutalen Schicksalsschlag, schließt sich der Assassinen-Gemeinschaft an, wird von einem Mitglied – in diesem Fall der Meisterin Roshan – in die Tugenden und das Wissen der Bruderschaft eingeweiht und rückt schließlich zu Missionen und Aufgaben aus, die die Welt vor dem Bösen beschützen sollen. Das bekannte Konzept wird aber erzählerisch etwas umgedreht, denn durften wir bisher viele angehende Assassinen kennenlernen, die der Gemeinschaft erst skeptisch gegenüberstanden und in ihre Rolle erst hineinfinden mussten, ist Basim von Anfang an Feuer und Flamme und wird später von Zweifeln geplagt.
Die Handlung von "Mirage" wird mit viel Liebe zum Detail erzählt und lebt von den überraschend glaubwürdigen Motiven seines Protagonisten sowie der finsteren Bedrohung des Geheimbunds der Ältesten. Im Spielverlauf wird dann durch die Missionen und Videosequenzen immer mehr enthüllt, wer hinter dem Geheimbund steckt, was er eigentlich vorhat und wie wir ihn stoppen sollen. Und es wäre kein "Assassin's Creed", wenn wir dabei nicht zahlreiche Zielpersonen ausschalten müssten. Beim Gameplay zeigt "Mirage" von Beginn an, dass es hier ums Schleichen und nicht um wilde Prügeleien geht – so drehen sich die ersten Spielstunden fast ausschließlich darum, unerkannt Objekte zu stehlen oder in Gebäude einzudringen.
Stealth steht im Mittelpunkt – und das spektakulär
Später geht es dann natürlich auch darum, die Zielpersonen zu eliminieren und ungesehen vom Tatort zu entkommen. Damit das gelingt, bietet "Mirage" gleich mehrere Stealth-Mechaniken an. Plätze und Personen können von Verstecken oder Hausdächern aus beobachtet und markiert werden oder wir schicken später im Spiel unseren tierischen Begleiter, den Adler Enkidu, los, um für uns die Feinde ausfindig zu machen. Der Adler kann allerdings von den Feinden erkannt und attackiert werden – woraufhin wir erst die Angreifer ausschalten müssen, um weiter spähen zu können. Werden wir entdeckt, dürfen wir uns per Rauchbomben und Ablenkungen aus dem Staub machen, Wachen lassen sich wiederum per Blasrohr lähmen.
Auch Fallen können genutzt werden, um Feinde auf ihren Routen zu stoppen – schade allerdings, dass die Gegner zum größten Teil einfach stumpf ihre Wege abmarschieren und auch nach unserer Entdeckung samt anschließendem Untertauchen nach kurzer Zeit wieder ihren gewohnten Aufgaben nachgehen, als ob nie etwas gewesen wäre. Auch im Kampf des 25 bis 30 Stunden dauernden Abenteuers haben sie nicht allzu viel Einfallsreichtum zu bieten und können leicht besiegt werden – wenn sie nicht meist in großer Zahl gemeinsam auftreten würden. Gegen die Gruppen hilft dann ein sehr verschlankter Fähigkeiten-Baum, der einige Attacken und Werkzeuge freischaltet. Kurzweilig spielen sich die Kämpfe allemal.
Neue Ketten-Attentate bringen frischen Gameplay-Wind
Dass die Gefechte spannend bleiben, liegt an den besonderen Fähigkeiten unseres Protagonisten – inklusive des gänzlich neuen Ketten-Attentats. Dieses verlangsamt die Spielzeit einige Momente drastisch und lässt uns mehrere Feinde in der direkten Umgebung markieren. Läuft die Zeit daraufhin wieder normal weiter, werden die Gegner von Basim automatisch attackiert und erledigt, ohne dass wir eingreifen müssen. Geht es wiederum um die "manuellen" Attentate, dürfen wir auf die ikonische Klinge an unserem Unterarm und Instrumente wie Wurfmesser zurückgreifen, im normalen Kampf darf Basim schließlich auch viele Säbel und Dolche nutzen und muss dabei die Angriffe der Feinde parieren und auf Konter warten.
Beeindruckend ist zudem, dass nun auch die Spielwelt realistischer auf Basim reagiert. Werden wir bei Taschendiebstählen ertappt, schlagen Zeugen bei Wachen Alarm, umgekehrt können NPCs aber auch zu Helfern werden, wenn wir ihnen ein bisschen Kleingeld zustecken. Durch Notizen und Fundstücke in der Spielwelt bekommen wir zudem immer wieder Hinweise auf Schleichwege und versteckte Eingänge zu Gebäuden. Wie zuletzt darf man auf der Flucht auch in Menschengruppen untertauchen, neu ist aber eine Mechanik, die ein simples Verstecken nicht mehr so einfach macht. Je nachdem, wie oft wir bei Verbrechen erwischt werden, wird in der Stadt intensiver nach uns gefahndet – und Bürger erkennen uns schnell wieder.
Schöne Erinnerungen an das allererste "Assassin's Creed"
Dass Schleichen immer die beste Option im Spiel ist, wird auch durch die sehr begrenzten Möglichkeiten, mit denen wir unsere Spielfigur stärken können, garantiert. So halten wir selbst gegen Ende des Spiels hin nicht viele gegnerische Treffer aus, während wir uns im Vorgänger "Valhalla" ab einem gewissen Charakterlevel einfach durch die Feinde mähen konnten. Und: Bei den "Blackbox" genannten Missionen, in denen es um das Attentat an je einem Mitglied der Ältesten geht, kommt man ohne Stealth gar nicht mehr weiter, denn Basim muss in ihnen mit ganz wenigen Waffen und Items auskommen und sich deshalb überlegen, wie und wo er am besten zuschlägt. Das erinnert spektakulär an frühere Games wie das erste "AC".
Das Bagdad des Spiels ist in vier Bezirke aufgeteilt, deren Umgebungen man zwischen den Hauptmissionen erkunden darf. Anders als in den jüngsten Teilen ist die Welt aber nicht vollgepflastert von Sammel-Aufgaben und Geheimnissen, sondern zeigt das Leben in der Stadt, nette Dialoge und auch die eine oder andere Nebenmission. Und auch die Story läuft linearer ab, man springt nicht mehr zwischen verschiedenen Handlungssträngen hin und her. Entsprechend zwiegespalten dürfte die Meinung der Fans ausfallen – wer die jüngsten, Rollenspiel-lastigen Teile "Origins", "Odyssey" und "Valhalla" mochte, wird mit "Mirage" vielleicht nicht so leicht warm, Fans der älteren Games aber werden den neusten Teil der Reihe mehr als heiß lieben.
"Assassin's Creed Mirage" im Test – neues Spiel, alte Stärken
Eine Mechanik schließlich stammt aber doch eindeutig aus den jüngeren Teilen der Reihe, und das ist der Parkourlauf. Heißt: Unsere Spielfigur kraxelt mit nur einem Knopfdruck Mauern hoch und springt von Dach zu Dach, ohne dass man wie bei älteren Teilen eingreifen muss. Einzig die Richtung, wohin es gehen soll, bestimmen wir, den Rest schafft Basim alleine. Auch das wird wohl die Fans in zwei Gruppen teilen. Einig werden sich dagegen alle Spieler bei der Technik und der Spielwelt sein. In detailliertester Grafik und mit viel Abwechslung wird die Furcht vor einer eintönigen Wüstenstadt weggeblasen – und wir staunen über riesige Mauer-Anlagen, Wildnis mit Tempeln, belebte Märkte und unglaublich belebt wirkende Wohngebiete.
Lebensechter denn je sehen dank flüssigerer Bewegungen und detaillierterer Bekleidung auch die Figuren im Spiel aus – abgerundet wird die fantastische Optik von atemberaubenden Licht- und Schatteneffekten, etwa bei einem Sonnenuntergang am Horizont von Bagdad. Was "Assassin's Creed Mirage" nicht geworden ist, ist der von einigen Fans möglicherweise erwartete Neuanfang der Reihe auf allen Ebenen. Der neue Teil bringt aber den Fokus auf Schleichen und die gut geplanten Attentate der Anfangsjahre der Serie zurück, verbessert das Erlebnis durch ausgezeichnete Grafik, spannende Missionen und eine interessante Handlung – und hat dennoch einige Neuerungen wie die actiongeladenen Ketten-Attentate zu bieten.