Ukraine

Chaos, Panik – 260.000 Russen flüchten vor Putin

In Russland geht die Angst um. Tausende protestieren gegen die Teilmobilmachung für den Krieg – andere reagieren mit Gewalt oder flüchten.

Unruhen in Russland: Tausende protestieren gegen Russlands Krieg in der Ukraine.
Unruhen in Russland: Tausende protestieren gegen Russlands Krieg in der Ukraine.
Alexander Zemlianichenko / AP / picturedesk.com

In den fünf Tagen nach Putins Verkündung der Teilmobilmachung in Russland sind bereits 260.000 Männer aus dem Land geflohen. Das berichtet die Zeitung "Nowaya Gazeta". Das russische Medienunternehmen "The Bell" berichtet zudem davon, dass ersten Männern an Flughäfen und Grenzübergängen die Ausreise verweigert wird, berichtet "Focus". Die Angriffe auf Rekrutierungsbüros haben nach der Ankündigung der Mobilisierung zugenommen. In Sibirien schoss ein Mann (25) auf einen Militärkommissar und verletzte ihn schwer, in Westrussland kam es zu einem Brandanschlag.

"Wie man sich zu Hause den Arm bricht" war in Russland einer der meistgewählten Suchbegriffe auf Google, nachdem Präsident Wladimir Putin die Teilmobilmachung verkündet hatte. Die Suchanfrage war zuvor gar nicht aufgetaucht, schnellte nach der Ansprache Putins am vergangenen Mittwoch aber auf den Wert 38 auf einer 100er-Skala der Häufigkeit von Anfragen. Hintergrund: Putin will rund 300.000 Reservisten einziehen lassen, um nach den Niederlagen der russischen Armee in der Ukraine die dort noch besetzten Gebiete zu halten.

Die Russen flüchten: Riesiger Stau an der russisch-georgischen Grenze.
Die Russen flüchten: Riesiger Stau an der russisch-georgischen Grenze.
via REUTERS

Denn viele Russen, denen eine mögliche Einberufung droht, versuchen mit allen Mitteln, der Rekrutierung zu entgehen. Schon jetzt ist die russische Sprache um ein neues Wort reicher geworden: "Mogilisazija" – eine Mischung aus den Begriffen "Mobilisierung" und "Grab". Nach wie vor stauen sich an den Grenzen zu Georgien oder Kasachstan – Länder, für die keine Visa nötig sind – die Autokolonnen, Flüge ins Ausland sind auf Tage ausverkauft oder bei weiten Zielen kaum zu bezahlen. Georgien hat allerdings mittlerweile seine Grenzen für Russen geschlossen.

Russland will die Grenzen schließen

Laut einem Bericht des Nachrichtenportals Meduza will Russland in wenigen Tagen seine Grenzen für Männer im mobilisierungsfähigen Alter schließen. Das Portal beruft sich dabei auf zwei nicht näher genannte Quellen im Kreml. Demnach sollen am Mittwoch, 28. September, die Grenzen geschlossen werden, um so eine Flucht von wehrpflichtigen Bürgern zu verhindern.

Bisweilen schlagen junge Männer aber auch andere Wege ein, um der Rekrutierung zu entgehen. Im Dorf Endirej in Dagestan etwa blockierten Anwohner eine Straße, um so die von Wladimir Putin angeordnete Teilmobilisierung zu behindern, wie OVD-Info am Sonntag mitteilte.  Auf Videos ist zu sehen, wie Polizisten Gewehre in die Luft richten, dann sind Schüsse zu hören. Laut dagestanischen Medien war der Protest eine Reaktion darauf, dass aus dem Dorf 110 Männer in den Krieg gegen die Ukraine gezwungen wurden.

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    Das eigene Volk übt in Russland nach der Teilmobilisierung nun den Aufstand gegen Wladimir Putin.
    Das eigene Volk übt in Russland nach der Teilmobilisierung nun den Aufstand gegen Wladimir Putin.
    ALEXANDER NEMENOV / AFP / picturedesk.com

    In der russischen Teilrepublik Dagestan eskalierte am Wochenende in mehreren Orten der Widerstand gegen die Einberufungen. Frauen gingen mit Fäusten auf Polizisten los, weil sie verhindern wollten, dass ihre Männer, Söhne oder Brüder im Krieg in der Ukraine sterben. Viele riefen, dass sie nichts gegen Ukrainer hätten und deshalb nicht schießen würden auf sie. Ein Polizist feuerte mit einer Maschinenpistole in die Luft, um die wütende Menschenmenge zur Ruhe zu bringen. Zeitweise wurde auch eine Fernverkehrsstraße mit Sitzblockaden der Dagestaner gesperrt.

    Molotow-Cocktails und Panzer

    An anderen Orten versuchen die Menschen offenbar, das Problem an der Wurzel zu packen, und fackeln Einberufungs- und Militärinstitutionen ab. Entsprechende Einträge auf Social Media zeigen angeblich ausgebrannte Gebäude, die von den Behörden für die Rekrutierung genutzt werden. Auf einem Video ist zu sehen, wie ein Wehrpflichtiger in Urjupinsk im Oblast Wolgograd mit seinem Schiguli die Türe eines Rekrutierungsbüros rammt und danach Molotow-Cocktails gegen das Gebäude wirft.

    Die russische Teilmobilmachung hat zu einem Exodus aus Russland geführt. An Grenzübergängen zu Nachbarländern wie Georgien, Kasachstan und der Mongolei bildeten sich lange Autoschlangen, Augenzeugen berichteten von stundenlangen Wartezeiten. Die meisten Direktflüge in Länder ohne Visumsanforderungen für Russen sind bereits ausverkauft, auch die Ticketpreise sind enorm gestiegen.

    Am russisch-georgischen Grenzübergang "Oberer Lars" berichten Augenzeugen auf Twitter von 30 Kilometern Stau, russische Männer würden versuchen, zu Fuß, mit Fahrrädern oder Motorrollern die Grenze zu überqueren. Teils hätten Männer bis zu 48 Stunden gewartet, bis sie die Grenze nach Georgien überqueren konnten, berichtet die Nachrichtenagentur Reuters.

    "Warum nehmt ihr unsere Kinder?"

    Die von der Nachrichtenagentur AFP an der Grenze interviewten Männer gaben alle an, mit der Ausreise einer Einberufung entgehen zu wollen. Inzwischen setzt der russische Geheimdienst Panzer ein, um Reservisten daran zu hindern, das Land zu verlassen, wie das russische Newsportal "Meduza" am Montag berichtet. Die Panzer würden benötigt, "falls Reservisten beschließen, den Lars-Kontrollpunkt zu durchbrechen und das Land zu verlassen, ohne ein Grenzübertrittsverfahren durchlaufen zu haben". Videos zeigen, wie russische Truppen auf einem gepanzerten Fahrzeug an dem Grenzübergang eintreffen.

    Der Kreml selbst hatte am Montag "Fehler" bei der Umsetzung der Teilmobilmachung eingeräumt. "In der Tat gab es Fälle, in denen gegen das Dekret verstoßen wurde", sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Angesichts der zahlreichen Ausreisen von Russen im kampffähigen Alter ließ Peskow durchblicken, dass Grenzschließungen nicht undenkbar seien.

    Gleichzeitig kam es am Wochenende in Russland erneut zu Protesten. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OVD-Info wurden in Machatschkala in der Kaukasusregion Dagestan am Sonntag mehr als 100 Menschen festgenommen. Russische Medien veröffentlichten Videos von Frauen, die sich während der Demonstration mit Polizisten streiten. "Warum nehmt ihr unsere Kinder?", fragt eine von ihnen.

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