Sportmix
9,99! Kühlschrank-Doping beim schnellsten Österreicher
Markus Fuchs ist der schnellste Österreicher aller Zeiten. Vor der WM in Budapest verrät er, warum ihn ein Blick auf den Kühlschrank schneller macht.
Markus Fuchs ist der schnellste Österreicher. In 10,08 Sekunden lief der 27-jährige Mödlinger im Juni die 100 Meter in St. Pölten. Damit knackte er den 1988 aufgestellten Uralt-Rekord von Andreas Berger. Fuchs will die magische Marke von zehn Sekunden durchbrechen. Am liebsten bei der anstehenden Leichtathletik-WM, die am 19. August in Budapest startet.
"Heute": Sie liefen die 100 Meter in 10,08 Sekunden. Wann fallen die 10 Sekunden?
Markus Fuchs: "Ich habe daheim am Kühlschrank ein Post-it picken. Da steht ganz groß 9,99 drauf. Das ist das magische Ziel. Mir ist aber auch die Reise und der Weg dorthin wichtig. Ich bin sicher, dass ich der erste Österreicher werde, der diese Zeit irgendwann erreicht. Größenwahnsinnig werde ich aber auch dann nicht."
Wie hilft Ihnen das Post-it?
„Ich schaue es mir oft an. (lacht) Das ist wichtig, weil ich Ziele brauche. Ein Champion wirst du nicht von heute auf morgen. Lange hatte ich am Kühlschrank positive Sprüche hängen. Das ist jetzt vorbei, die 9,99 reichen mir als Antrieb.“
Markus Fuchs merkte bereits als Kind, dass er pfeilschnell ist. Seine Eltern ließen ihn und seine Brüder viele Sportarten ausprobieren: Turnen, Tennis, Handball. Der Sprint faszinierte ihn am meisten. "Das ist mein Leben", sagt er. "Ich habe mich aufgeopfert für diesen Rekord. Das ist ein emotionaler Meilenstein."
100-Meter-Sprints sind oft magische Sport-Momente. Warum?
"Ein Sprintfinale ist nicht nur Show, es ist das pure Leben. Die Zeit scheint kurz still zu stehen. Am Start bist du ganz alleine. Jeder ist in seinem Tunnel, der Nervenkitzel ist groß und Selbstsicherheit extrem wichtig. Sprinter sind oft Psychos. Ich zum Beispiel bin ein ganz sensibler Typ. Die schwierigste für mich ist, dass ich nicht denken darf. Ein guter Sprint passiert von alleine."
Sie sagen, Sprinter sind oft Psychos. Sie auch?
"Ich bin ein Perfektionist. Ich probiere immer, das Beste für mich rauszuholen. Ich teste den besten Kopfpolster raus oder welcher Kaffee mir am meisten gut tut. Ich optimierte mein komplettes Umfeld: Trainer, Physiotherapeut, Osteopath – alles selbst ausgesucht. Auch die besten Spikes am Schuh. Ich will einfach alles unter meiner Kontrolle haben.“
Könnten Sie einen Marathon laufen?
"Nein, könnte ich nicht. Wenn ich 30 Minuten radle, geht mir die Pumpe. Lange Läufe machen mir keinen Spaß und sind auch nicht zielführend für mich."
Bei der Leichtathletik-EM im Frühjahr lief Fuchs über 60 Meter ins Finale, wurde in Istanbul Siebenter. "Ich habe bei Großereignissen oft nicht das gezeigt, was ich kann", sagt er. Auf der WM-Bühne zu liefern, ist aber nötig, um bei den großen Meetings starten zu können. Die Leichtathletik funktioniert in der Spitze nach dem Einladungssystem. 16 Plätze gibt es bei Meetings für die schnellsten Europäer über 100 Meter.
Was ist Ihr wichtigster Muskel?
"Mein Kopf. Beim Sprinten bist du immer am Limit, du musst im Training immer 100 Prozent abliefern. Der Kopf kontrolliert den Willen und somit auch die Kraft."
Apropos Kopf: In wie viele Teile zerlegen Sie den perfekten 100-Meter-Lauf?
"So vieles ist wichtig. Ich könnte ihn in 1.000 Puzzleteile zerlegen."
Bitte nicht. Welche drei Puzzlestücke sind die wichtigsten, um schnell zu sein?
"Erstens: Man muss den Laufstil an die Proportionen des eigenen Körpers anpassen. Jeder hat andere Hebel, ist verschieden groß und schwer. Der zweite Punkt ist eine stabile mentale Stärke. Und der dritte Punkt ist die kluge Planung der Trainingszyklen und der Wettkampfvorbereitung."
Gibt es eigentlich Lebensmittel, die schnell machen?
"Ich esse nicht viel Fleisch. Vielleicht ist das aber auch nur ein Hirngespinst von mir. Ich habe keinen Ernährungsberater, esse das, wo ich mich wohl fühle. In der Küche bin ich der Chef, ich komme zwei Mal am Tag selbst und frisch.“
Wann sündigen Sie?
"In den zwei, drei Wochen im Jahr, wo ich Urlaub mache. Da gönne ich mir eine totale Auszeit, gehe auch gerne auf Partys. Ich bin auch da ein absoluter Genießer."
"Ich bin ein Träumer", sagt Fuchs über sich selbst. Sein großes Ziel ist die Quali für die Olympischen Spiele in Paris 2024. Privatsponsoren hat er aktuell keine. "Ich mache es nicht fürs Geld. Das tut kein Leichtathlet im Land."
Ihr Weg ging nicht immer nach oben. 2015 wurden Sie beim Heeressport aussortiert. Sie arbeiteten dann in einem Einkaufszentrum.
"Ich war Verkäufer bei der Modekette Zara. Ich glaube, ich habe dort einen Eindruck hinterlassen, die monatlichen Zahlen in der Filiale wurden mit mir besser. Ich habe am Vormittag gearbeitet, am Nachmittag trainiert. Es war anstrengend und deshalb ein wichtiger Zwischenschritt."
Seit 2020 trainieren Sie in der Schweiz im legendären Letzigrund. Warum?
"Ich bin angestanden in Österreich. Ich ging nach Zürich, weil sich die Schweizer besser entwickelten als ich. Jetzt profitiere ich von Patrick Saile und seinem Know-how. Mir hat es regelrecht die Augen geöffnet. Ich habe mich auch menschlich entwickelt, mein Horizont hat sich geöffnet. Sportlich ist dort klar: Entweder du bist Profi, oder du bist es nicht. Ich schlafe heute jede Nacht zumindest acht Stunden. Ich habe den Zucker stark reduziert: Süßes oder Haribo gibt es bei mir nicht mehr."
Für den Lauf unter 10 Sekunden: Welche Bedingungen wünschen Sie sich?
"27 Grad Außentemperatur, eine Bahn hart wie Beton, die Tribüne voller brüllender Menschen, meine Freundin und die Familie auf der Ziellinie. Ich glaube, dass auch im Training eine Bestzeit möglich wäre, weil ich da lockerer bin. Ich arbeite im Training aber kaum mit Stoppuhr, gehe mehr nach meinem Gefühl. Ich bin so ein feinfühliger Mensch und spüre genau, was schnell ist. Es klingt blöd, aber ich spüre jedes Hundertstel. Bei Intervall-Läufen kann ich auf eine Zehntel genau die gewünschte Zeit laufen."
Ist der Bolt-Rekord von 9,58 Sekunden für die Ewigkeit?
"Bolt ist der beste Sprinter aller Zeiten. Millionen von Athleten werden sich an seiner Zeit die Zähne ausbeißen. Ich habe Bolt 2015 in Ostrava das erste Mal gesehen. Ihn umgab eine unfassbare Energie, sein Selbstvertrauen lag in der Luft. Er wäre heute noch schneller als früher."
Warum?
"Weil alles besser geworden ist. Die Schuhe mit Carbon, die federleichten Materialien. Heute gibt es bei Meetings eine Rückenwindgarantie, es wird der Start je nach Wind gedreht. Bolt kämpfte damals noch mit dem Gegenwind."
Was ist Ihr Limit?
"Das wüsste ich selber gerne. Oft sind die Gedanken das Limit und genau das will ich vermeiden. Man darf sich nicht limitieren."